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Arzneimittel-EngpassOberbergs Apotheker mischen den Fiebersaft für Kinder selbst

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Eine Frau in weißem Kittel und mit Mundschutz stellt in einem Labor die Arzneimittel her.

Um Fiebersaft und Zäpfchen anbieten zu können, produziert Karin Lauterbach in Waldbröl die Medikamente selbst. Doch die Nachfrage ist so groß wie der Mangel in den Apotheken im Oberbergischen Kreis.

Als katastrophal beschreiben die Apotheken zwischen Marienheide und Waldbröl die aktuelle Versorgungslage bei Medikamenten für Kinder. Doch die Not macht auch erfinderisch.

„Eine Katastrophe ist das!“, empört sich Maria Lütgens aus Marienheide über eine Situation, die sie während ihrer 30-jährigen Berufstätigkeit noch nicht erlebt hat. Während die Grippe- und Erkältungswelle Oberberg fest im Griff hat, sind Eltern von kranken Kindern auf einer Odyssee von Apotheke zu Apotheke auf der verzweifelten Suche nach Restbeständen von Fiebersaft und Zäpfchen. Oft vergeblich.

Ibuprofen oder Paracetamol für Kinder? Fehlanzeige auch in der Vita-Apotheke in Derschlag. „Wir bekommen alle paar Tage ein paar Packungen“, heißt es. „Die Situation ist chaotisch“, bestätigt der Gummersbacher Apotheker Sven Schliwa. „Zurzeit habe ich nichts, angeblich soll ich nächste Woche Nachschub bekommen, aber das ist keineswegs sicher. Einige Lieferungen wurden kurzfristig wieder abgesagt.“

Gummersbacher Apotheker kritisiert Abhängigkeit von China und Indien

Es sei ein Engpass mit Ansage, meint der Inhaber der Hubertus-Apotheke. Bereits vor zehn Jahren sei auf einer Fortbildung der Apothekerkammer davor gewarnt worden, die Ausgangsstoffe für Medikamente nur noch aus Indien und China zu beziehen, seitdem habe sich die Situation kontinuierlich verschärft. „Alles musste billiger werden, so haben wir in Europa kaum noch Produktionsstätten für Rohstoffe, auch kaum noch Hersteller von Medikamenten.“

Gab es vor elf Jahren noch zwölf Hersteller von Fiebersäften und -zäpfchen für Kinder, so ist heute nur noch ein großer Hersteller übrig. „Da kann man wenig dran verdienen. Ein teures Krebsmedikament ist lukrativer für die Industrie.“ Maria Lütgens, Filialleiterin der Brücken-Apotheke in Marienheide, macht keinen Hehl aus ihrer Bitterkeit. Denn bei ihr stehen besorgte Eltern Schlange. „Im Ausland gibt es diesen Mangel offenbar nicht“, vergleicht sie. Da könne sie alles bestellen, allerdings nur jeweils ein einziges Präparat für einen konkreten Patienten, aber nichts auf Vorrat. „Das dauert auch viel zu lange, das dreijährige Kind mit 39,5 Grad Fieber braucht das Medikament jetzt!“

In Waldbröl setzt man auf Eigeninitiative

„Da verlassen sich Eltern dann nicht mehr auf die bewährten Wadenwickel, sondern bringen ihr Kind zur überfüllten Kinderarztpraxis oder in die – hoffnungslos überlaufene – Notaufnahme“, meint ihr Kollege Schliwa. Dabei seien Ibuprofen und Paracetamol für Erwachsene durchaus zu haben. „Man kann aber nicht einfach eine Tablette, die dafür nicht vorgesehen ist, in Viertel teilen. Da besteht das Risiko der Überdosierung“, warnt der Apotheker. So tauschen sich Eltern in ihren Netzwerken aus auf der Suche nach Zäpfchen und Fiebersaft. Schliwa hat den Eindruck, dass manche die knappen Medikamente auf Vorrat horten: „Es ist wie zur Coronazeit mit dem Klopapier.“

Ralph Olesinski, Inhaber der Adler-Apotheke in Waldbröl, besinnt sich derweil auf die Tradition. „Wir sind ja als Apotheke im Grunde ein Handwerksbetrieb und haben schon immer viel selbst gemacht.“ Während im Verkaufsraum gehustet und geschnupft wird und sich Eltern mit Rezepten vom Kinderarzt drängen, gießt Karin Lauterbach nebenan im Labor sorgfältig eine hellblaue Flüssigkeit in Blisterpackungen. Den Wirkstoff Ibuprofen hat sie sorgfältig abgewogen, das Granulat im Mörser zerkleinert, in einer warmen Trägermasse gelöst. Zehn Zäpfchen pro Packung entstehen so, 100 Stück produziert die Pharmazeutisch-technische Assistentin an diesem Nachmittag.

Im Moment haben wir noch die Ausgangsstoffe. Noch!
Ralph Olesinski, Inhaber der Adler-Apotheke in Waldbröl

Morgens habe sie schon zehn Flaschen Fiebersaft gemischt, „zu Mittag war schon alles weg“, erzählt sie. Denn inzwischen spricht sich im Kreis herum, dass hier eine Chance besteht, die begehrten Medikamente zu bekommen. „Im Moment haben wir noch die Ausgangsstoffe. Noch!“, betont der Inhaber der Adler Apotheke.

Längst nicht überall im Kreis greift man in den Apotheken zur Selbsthilfe. Manche verweisen auf die aufwendige Herstellung der Säfte und Zäpfchen, für die ihnen – auch krankheitsbedingt – die Mitarbeiter fehlten, andere berichten von Schwierigkeiten, die Rohstoffe zu bekommen. Maria Lütgens aus Marienheide hofft, demnächst eine Teilmenge des Ibuprofen-Granulats zu bekommen. Das könne, sorgfältig mit der Feinwaage abgewogen und je nach Gewicht des Kindes dosiert, auch mit Joghurt vermischt eingenommen werden.

Marienheide hofft auf eine Teillieferung 

„Dabei ist dieser Engpass die Spitze des Eisbergs der Misswirtschaft der Pharmaindustrie“, beklagt sie. Denn es fehle nicht nur am Fiebersaft für die Kinder, sondern auch für Erwachsene gebe es Engpässe bei Medikamenten, zum Beispiel bei einigen Antibiotika und Magentabletten. Andere nennen Blutdrucksenker.

Auch bestimmte Herzmedikamente und Cholesterinsenker seien schwer zu haben, ergänzt Sven Schliwa aus Gummersbach. „Wir telefonieren zurzeit sehr viel mit Ärzten, welches Medikament als Ersatz in Frage kommt. Die Umstellung ist für mache Patienten nicht einfach. Aber ein Notstand besteht nicht.“ Einig sind sich alle, dass zur Lösung der Probleme die Politik tätig werden muss.

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