Geflüchtete in OberbergHilfe für traumatisierte Menschen aus der Ukraine in Wiehl

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Zwei Frauen stehen vor einer Tür mit der Hausnummer fünf und lächeln in die Kamera.

Inna Rybak ist Psychologin (r.) und betreut im Auftrag der Stadt Wiehl ukrainische Flüchtlinge. Valeria Schröck hilft beim Dolmetschen.

Die Psychologin Inna Rybak stammt selbst aus der Ukraine. In Wiehl kümmert sich die Frau um Landsleute, die traumatisiert sind, und Hilfe benötigen.

Inna Rybak kümmert sich in Wiehl um traumatisierte Landsleute aus der Ukraine von Reiner Thies Oberwiehl. Die heile Welt ist bunt. Zwerge, Kränze und Plastikblumensträußchen beschwören idyllische Heimeligkeit. Eine der Frauen, die hinter dem Stand der Ukrainehilfe auf dem Wiehler Weihnachtsmarkt stehen und die Dekoartikel anbieten, ist Inna Rybak. Dass es in den Seelen ihrer Landsleute so gar nicht rosarot aussieht, kann sich jeder denken. Aber wie es ihnen tatsächlich geht, weiß niemand so gut wie Rybak.

300 Menschen bereits betreut

Die 44-jährige Psychologin kümmert sich im Auftrag der Stadt Wiehl um ukrainische Familien. Etwa 300 Personen hat sie in den vergangenen Monaten betreut. Rybak unterscheidet vier Arten von Geflüchteten: „Einige wollten ohnehin auswandern und hatten schon Familie in Deutschland. Andere haben alles verloren und haben sich jetzt entschieden, sich ein neues Zuhause aufbauen.“ Die dritte Gruppe sei so traumatisiert, dass sie gar nicht weiß, wie es weitergehen könnte. Diese Menschen leben aus dem Koffer und vernachlässigen manchmal ihre Kinder. Die meisten aus der Ukraine Geflüchteten aber wollen wieder zurück, je früher desto besser, sagt Inna Rybak und meint auch sich selbst. „Wir sind mit dem Herzen noch zu Hause.“

In der Schule Fuß fassen

Wer seine Zukunft in Deutschland sieht, möchte, dass seine Kinder Deutsch lernen und hier in der Schule Fuß fassen. Bei den vielen Ukrainern, die hoffen, dass der Krieg im kommenden Jahr zum Ende kommt und sie ihr altes Leben wieder aufnehmen können, sieht das anders aus. Deren Kinder versuchen nachmittags per Distanzunterricht mit dem Lehrplan in der Ukraine Schritt zu halten und sind permanent erschöpft. „Sie sehen nicht ein, was ihnen die deutsche Schule bringen soll“, sagt Rybak.

Handgreiflichkeiten auf dem Schulhof

Bei den älteren, selbstständigen Schülern sei das Problem nicht so schwerwiegend. Die jüngeren Kinder aber spielen im Unterricht mit dem Handy. Und sie lassen sich eher in Konflikte mit russischstämmigen Schülern verwickeln. Inna Rybak weiß von Fällen, in denen der Krieg auf dem Schulhof zu Handgreiflichkeiten führte, die nur mit einiger Mühe beigelegt werden konnten. Inna Rybak wollte eigentlich einen Job als Putzfrau, als sie sich im Frühjahr bei Jörg Decker vorstellte. Als er merkte, dass Inna eine diplomierte Psychologin ist, hatte Decker eine bessere Idee. Er ist Geschäftsführer der Wiehler Sozialraummanagement GmbH, einem freien Träger der Jugendhilfe. „Wir hatten händeringend nach jemandem gesucht, der sich um minderjährige Geflüchtete aus der Ukraine kümmert.“

Erfahrungen mit den Traumata des Krieges

Inna Ryba hat Erfahrung mit den Traumata des Krieges. Unter anderem war sie an der telemedizinischen Betreuung der Zivilisten beteiligt, die wochenlang im Asow-Stahlwerk in Mariupol eingeschlossen waren. Die Finanzierung ihrer Arbeit in Wiehl war bald geklärt. Es fügte sich, dass die Stadt von Mitarbeitern und Geschäftsleitung der Firma Kampf eine Spende in Höhe von 20 000 Euro bekommen hatte, die für Geflüchtete aus der Ukraine eingesetzt werden sollte. Später kamen noch 5000 Euro von einem Benefizkonzert der evangelischen Gemeinde dazu. So wurde man sich einig, dass Inna Rybak für zunächst sechs Monate als Honorarkraft von Decker angestellt wird.

Zurück zum Ehemann

Diese Zeit ist um, Rybak kehrt jetzt für einige Zeit zu ihrem Mann in die Ukraine zurück. Wenn sie wieder in Oberberg ist, wird Decker sie gern weiterbeschäftigen: „Ihre Arbeit ist sehr professionell und unendlich viel wert für die ukrainische Community.“ Rybak beschränkte sich bald nicht mehr auf ihre Arbeit mit den unbegleiteten Jugendlichen, sondern machte sich daran, ihre Landsleute zu vernetzen, und gründete Selbsthilfegruppen.

Handzettel entworfen

Mit einer Umfrage erkundigte sie sich unter 200 Familien, wo sie Unterstützung brauchen. Sie entwarf einen Handzettel, auf dem sie auf Ukrainisch für ihr soziales und psychologisches Hilfsangebot warb unter dem Titel: „Jeder soll wissen, dass er nicht allein ist!“ Jörg Decker schlug vor, dass der Text auf der anderen Seite in Russisch abgedruckt wird – und stieß auf Ablehnung. Für Inna Rybak war das eine patriotische Grundsatzfrage. Und eine Frage des Marketings. Damit das Flugblatt nicht weggeworfen, sondern am Kühlschrank aufgehängt wird, ließ sie auf der Rückseite einen Kalender drucken. Denn sicher ist: Die Ukrainer in Oberberg zählen die Tage, bis sie wieder heimkehren können.

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