Leben auf der AlmFrank Eggeling nahm sich eine Auszeit im Kuhstall

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Frank Eggeling mit dem Team der Südtiroler Bergalm, auf der er fünf Wochen lang lebte und arbeitete: Bauer Erich, auf dem Arm Lena, Frank Eggeling, Aushilfe Maya, Emma, Bäuerin Alexandra und Julian (links)

Frank Eggeling lebte für fünf Wochen lang als Aushilfe auf der Südtiroler Bergalm Obisell. Das Team: Bauer Erich mit der kleinen Lena, Frank Eggeling, Aushilfe Maya, Tochter Emma, Bäuerin Alexandra und Sohn Julian (von links).

Den Start in den Ruhestand läutete der Bank-Manager mit Kuhglockengeläut ein.

Leben auf der Alm: Man denkt an das Kinderbuch Heidi, an saftige Wiesen und glückliche Kühe, an Großvater, der am Abend die Milch seiner Tiere zu frischem Käse verarbeitet und Heidi dabei noch eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt.

Die Obisell-Alm in Südtirol hat von all dem etwas – und ist doch ganz anders: „Es ist ganz weit weg von Heidi“, sagt Frank Eggeling. „Und sehr harte Arbeit.“ Der Odenthaler, jahrelang beruflich im hektischen Getriebe des Bank-Managements unterwegs, wollte seinen Vorruhestand mit einem radikalen Schnitt einläuten: mit Kuhglockengeläut auf der Alm.

Statt Meetings täglich schwere Muskelarbeit 

Fünf Wochen lang lebte der 59-Jährige als „Knecht“ auf der Obisell-Alm, hoch in den Bergen über Meran. Ein karges, hartes Leben mit ganz eigenen Rhythmus und eigener Schönheit. Streng und doch befreiend.

Eine Bergalm in Südtirol mit Terrasse für Wanderer.

Hoch über Meran liegt die Obisell-Alm in 2000 Meter Höhe. Sie ist Anlaufstation für viele Wanderer, die hier verpflegt werden.

Keine Team-Meetings und keine vollen Terminkalender, kein klingelndes Handy und keine Auslandsflüge, stattdessen klare Luft und schwere Muskelarbeit. Am Ende eines langen Tages hätte es zu einer Gute-Nacht-Geschichte wie bei Kinderbuchheldin Heidi auf keinen Fall mehr gereicht, meint Frank Eggeling, der erst seit wenigen Tagen wieder zurück ist im Bergischen.

Das Team auf der Alm ist weitgehend auf sich allein gestellt

Nach 16 Stunden auf den Beinen, immer zwischen Küche und Stall, wälze man sich nicht mehr schlaflos wie ein Städter auf der Matratze hin und her, sagt er. Selbst dann nicht, wenn es zunächst ungewohnt ist, den einzigen Schlafraum mit den übrigen sechs Menschen auf der Almhütte zu teilen.

Frank Eggeling läuft neben einer Kuh mit Glocke und Hörnern her, um sie auf die Wiese zu leiten.

Wer führt hier wen auf die Alm? Frank Eggeling mit einer von zwölf Kühen, die er versorgen musste.

Das Team auf so einer abgelegenen Alm sei weitgehend auf sich allein gestellt, berichtet Eggeling: Der letzte Parkplatz zweieinhalb Stunden Fußmarsch entfernt, nur für die nötigsten Waren gibt es eine kleine Transportseilbahn, für den medizinischen Notfall den Helikopter der Bergnotrettung.

Das Handy funktionierte nur nach Kletterpartie auf den Nachbargipfel

Im Haus informiert man sich über das Radio, der Strom kommt über eine Fotovoltaikanlage und einen Generator, für die Hygiene nutzt man erwärmtes Quellwasser, das Plumpsklo wurde vor zwei Jahren durch ein normales WC ersetzt und es gibt sogar eine Dusche. Nur das Handy, das der „Flachlandtiroler aus Odenthal“ mitgebracht hatte, das hatte nur selten Empfang „und das auch nur, wenn ich 200 Meter hoch auf einen Nachbargipfel geklettert bin“, amüsiert sich Eggeling.

Drei graue Kühe auf grasen auf einer Bergalm.

Bergidylle: Das Tiroler Grauvieh wird nur abends und morgens zum Melken in den Stall getrieben.

Als der Neuzugang auf der Alm ankam, „gab es ein großes Hallo und dann ging es direkt ab in den Stall“, erinnert er sich. Von nun an ist Eggeling, Ex-Banker und „Jungknecht“, zuständig für zwölf Kühe, fünf Schweine, 33 Hühner, vier Wachteln, etliche Meerschweinchen und Kaninchen.

Für das „Abenteuer Melken“ brauchte Frank Eggeling viel Mut

Die Kühe, immer draußen auf der Alm, müssen morgens und abends zum Melken in den Stall getrieben werden. Das erledigt verlässlich Border Collie Lily, der Hütehund der Familie, routinierter als das Greenhorn Eggeling. Denn tierische Referenzen hatte der Odenthaler nicht wirklich aufzuweisen: „Wir hatten mal eine Katze“, sagt der 59-Jährige selbstironisch.

Die verfügte aber nicht über respekteinflößende Hörner wie das imposante Tiroler Grauvieh und so muss Frank Eggeling für das Abenteuer Melken seinen ganzen Mut zusammennehmen: „Man muss sich erst mal zwischen die Tiere zwängen, was gar nicht so einfach ist“, sagt er. Dann werden die Zitzen gesäubert und die Kühe mit der Hand kurz angemolken, bevor die Melkmaschine zum Einsatz kommt.

Zwei Hornstöße und zwei Tritte waren die schmerzhafte Bilanz

Falsche Technik hat schnell schmerzhafte Folgen: „Zwei Hornstöße und zwei Tritte“, nennt Eggeling die Bilanz seiner Erfahrung. „Ein Horn hat mich am Kopf getroffen, weil ich nicht tief genug unten gearbeitet habe. Das ist ein sehr guter Lerneffekt“, nimmt er es sportlich. Auch Tritte beim Melken, sogenannte Kuhküsse, seien nicht zu verachten, wobei der allererste Tritt als „Kuhtaufe“ gelte.

Frank Eggeling melkt eine Kuh. Die Milch spritzt in einen grünen Krug.

Melken will gelernt sein: Frank Eggeling machte Bekanntschaft mit Hörnern und Hufen.

Nachdem Eggeling dergestalt energisch von den Kühen in seine Arbeit eingeführt worden war, geht ihm die Arbeit leichter von der Hand: Kühe und Schweine auf die Alm treiben, ausmisten, Hühner und Kleinvieh füttern. Und nicht zuletzt auch hungrige Wanderer, die bei gutem Wetter auf eine Rast vorbeischauen und für die Brot gebacken, täglich frisch gekocht und Almkäse hergestellt wird.

Das Leben auf der Alm läuft nach anderen Regeln ab als das im Tal

„An guten Tagen haben wir 60 bis 80 Essen herausgegeben, plus Backwaren“, so Eggeling, der ab mittags in die Rolle einer Servicekraft schlüpft. „Ich habe auch unseren köstlichen Käse verkauft, Speck- und Käsebrettl zubereitet“, sagt er nicht ohne Stolz. Noch spät abends wird Brotteig für den nächsten Tag vorbereitet, werden „rund 200 Knödel von Hand gedreht.“

Frank Eggeling knetet mit den Händen in einem großen Behälter mit Kloßteig.

Brot- und Kloßteig für die Gastronomie kneten, das gehörte auch zu den Aufgaben von Frank Eggeling.

Ein hartes Leben, das nach anderen Regeln abläuft als im Tal. „Ich habe mein ganzes Arbeitsleben immer sehr strukturiert gearbeitet", erzählt Eggeling. Oben auf der Alm werde wenig geplant. Aus gutem Grund: „Niemand weiß, ob gleich die Kuh durch den Zaun bricht oder der Generator ausfällt, auch das Wetter ist unberechenbar.“ So werde getan, was ansteht.

Auf der Alm ist vieles unkalkulierbar und man muss improvisieren

„Sie lassen viele Dinge auf sich zukommen und trauen sich zu improvisieren“, sagt der Odenthaler über seine Gastfamilie, von der er herzlich aufgenommen wurde. „Trotz der vielen Gäste hatten wir keinen Stress“, wundert er sich immer noch ein bisschen.

Das Team: Der Familienvater Erich, ein Universalhandwerker, „begnadeter Koch“ und Käseproduzent, „für den es nichts gab, was er nicht konnte“, so Eggeling. Die Mutter Alexandra, Managerin in der Küche, die den Gastbetrieb organisierte und von der 15 Jahre alten Aushilfskraft Maya unterstützt wurde.

Eine Käsemasse wird aus einem großen Behälter in mehrere kleine umgefüllt.

Die Spezialität der Obisell-Alm: Der handgemachte Almkäse.

Nicht zuletzt die Kinder Lena, Emma und Julian, mit ihren vier, acht und zehn Jahren „unglaublich selbstständig“. „Im Herbst, wenn die Schule beginnt, gehen sie wieder hinunter ins Dorf zu den Großeltern“, erklärt Eggeling. Bis nach dem Almabtrieb dann auch die Eltern nachkommen.

Es sei von Anfang an voll in die Familie integriert worden, herzlich, ohne viele Worte zu machen. Diese Wortkargheit - auch eine Umstellung, wenn man aus dem redseligen Rheinland kommt. „Es ist körperlich schon gewaltig an die Knochen gegangen“, sagt der 59-Jährige, „aber ich würde es wieder machen.“

Der Abschied sei tränenreich gewesen, aus Aushilfe, Almchef und Almchefin seien Freunde geworden. Vieles hat Frank Eggeling in seine alte Welt mitgenommen. Nicht nur den selbstgemachten Almkäse, ein Produkt, das er heute im Laden mit anderen Augen betrachtet - seit er weiß, wie viel Arbeit in ihm steckt. Vom ersten Kuhkuss an…


Die Obisell-Alm

Die Alm liegt in den Bergen Südtirols in einer Höhe von 2160 Metern. Sie gehört zur Gemeinde Riffian unweit von Meran in der Provinz Bozen. Die Alm ist von Mitte Juni bis Mitte Oktober als Rastplatz für Wanderer geöffnet, bietet warme Küche mit Produkten aus eigener Herstellung, aber keine Schlafplätze. Sie ist nur über einen Fußweg zu erreichen und wird über eine kleine Transportbahn aus dem Tal mit dem Nötigsten versorgt. Eine Spezialität der Alm ist die Herstellung von Käse aus Milch der eigenen zwölf Alm-Kühe. (spe)

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