Nach 38 JahrenBensberger Schöffenrichterin Birgit Brandes legt die Robe ab

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Strafrichterin Birgit Brandes beim Aktenstudium in ihrem Büro.

Nach 38 Jahren wechselt die Bensberger Schöffenrichterin und Gerichts-Vizechefin Birgit Brandes im März in den Ruhestand.

Fast 17 Jahre war sie Vize-Chefin am Bensberger Amtsgericht: Strafrichterin und ein bisschen Sozialarbeiterin. Jetzt geht Birgit Brandes.

„Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“: Der Udo-Jürgens-Klassiker von 1977 ist zeitlos, und die Bensberger Richterin Birgit Brandes wird schon bald bezeugen können, ob der Sänger damals gelogen oder die Wahrheit gesungen hat. Brandes, Strafrichterin, Schöffengerichtsvorsitzende und Vize-Chefin des Bensberger Amtsgerichts in Personalunion, vollendet am 16. März ihr 66. Lebensjahr und geht damit in Pension – nach 37 ½ Jahren, die sie die schwarze Richterrobe getragen hat.

Dass die gebürtige Kölnerin, seit vielen Jahren bekannt für ihre maßvollen Urteile, einmal Juristin werden würde, war schon früh klar: Sie stammt aus einer Familie, die zahlreiche Juristinnen und Juristen hervorgebracht hat. Ihr Vater war Rechtsanwalt in Köln, ihr Onkel Wolfgang Kurtenbach Vize-Chef des Bensberger Amtsgerichts.

Richterin Birgit Brandes ist verheiratet mit einem Kölner Polizisten 

„Ich bin schon als Jugendliche mit ins Büro meines Vaters gegangen und habe Akten sortiert“, erinnert sie sich. Ihre Jura-Noten gaben es her, dass sie ab 1986 als Richterin arbeiten konnte, zunächst in Bonn. Privat gründete die in Köln-Merheim aufgewachsene junge Richterin eine Familie und kaufte kurz vor der Geburt ihres Sohnes 1990 mit ihrem ersten Mann ein Haus in Bergisch Gladbach-Frankenforst.

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Journalisten filmen und fotografieren das Bensberger Schöffengericht vor Beginn des ersten Prozesses gegen einen der Kölner Nizza-Hooligans. In der Mitte Schöffenrichterin Birgit Brandes, eingerahmt von Schöffe und Schöffin, rechts Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn, der die Anklage vertrat.

Spektakulär: Beobachtet von zahlreichen Medienvertretern leitete Schöffenrichterin Brandes (M.) am 25. Januar 2023 den Prozess gegen einen in Rhein-Berg wohnenden Nizza-Hooligan.

„In dem Haus lebe ich immer noch, mittlerweile mit meinem zweiten Mann.“ Ende 2005 gaben sich Birgit Brandes, die den Namen des ersten Ehemannes wegen ihres Sohnes behalten hat, und der Kölner Polizeibeamte Ralf Remmert das Jawort. Beide brachten je ein Kind in die neue Patchwork-Familie mit.

Ein Strafprozess ist wie ein Überraschungsei.
Strafrichterin Birgit Brandes

Beruflich hatte Zivilrichterin Brandes die Chance, zum 1. April 2006 ans Bergisch Gladbacher Amtsgericht zu wechseln, dort allerdings als Strafrichterin Recht zu sprechen. Es war eine Umstellung: „Ein Strafprozess ist wie ein Überraschungsei.“ Anders als beim Streit um Gartenzäune und unbezahlte Rechnungen weiß der Strafrichter vorher nicht, was auf ihn zukommt – und muss schnell sein Urteil sprechen.

„Ich kann nicht nach jeder Verhandlung erst mal eine Pause einlegen und sagen, ich muss erst noch mal nachdenken.“ Zunächst machte sie ausschließlich Einzelrichterprozesse, ab 2007 auch die Schöffensachen. Seit dem 18. Juni 2007 ist sie zudem Vize-Chefin im Gericht.

Die Täter sind nicht immer böse Buben

In ihrem richterlichen Alltag hat sie es meist nicht mit den wirklich schweren Jungs zu tun – für die ist das Kölner Landgericht zuständig – sondern mit Fällen kleiner und mittlerer Kriminalität. Mit Dieben, Betrügern, Schlägern, vor allem aber mit Menschen, die eine Geschichte mit sich herumtragen.

„Ich hatte ja all die Jahre, bis ich nach Bensberg kam, keine Strafsachen gemacht und wollte es eigentlich auch nicht so gerne, und musste hier feststellen, dass man häufig nicht nur Richter ist, sondern ein bisschen auch Sozialarbeiter. Die Angeklagten sind gar nicht unbedingt die ganz bösen Buben, die man hinter Schloss und Riegel bringen muss, sondern solche, bei denen wir im Gerichtssaal auch gemeinsam überlegen, was wir tun können, um sie auf den richtigen Weg zu bringen.“

Ich kann doch nicht zu einem Angeklagten sagen, weil du Alkoholiker bist, interessiert mich nicht, was du sagst.
Strafrichterin Birgit Brandes

Wenn die Bensberger Strafrichter, vor allem die erfahrenen, verhandeln, fällt oft auf, dass sie die Angeklagten nicht von oben behandeln oder abkanzeln. Dass sie augenscheinlich keine Berührungsängste haben. „Ich kann doch nicht zu einem Angeklagten sagen, weil du Alkoholiker bist, interessiert mich nicht, was du sagst“, sagt Birgit Brandes, die nach der Pensionierung oder dem Wechsel von gleich drei männlichen Kollegen in den vergangenen Monaten die mit Abstand erfahrenste Juristin im Kreis der Straf- und Jugendstrafrichter ist. „Man muss die Menschen doch im Rahmen des Möglichen mit Respekt behandeln.“

Angst, sagt sie, habe sie in ihrem Beruf nie gehabt. Sie sei auch noch nicht selbst bedroht worden. Zu den Verteidigern ihrer kleinen und mittelschweren Kunden pflegt Brandes ein gutes, entspanntes Verhältnis, das ganz offenkundig von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist. „Sie ist eine Richterin, die sehr klar sagt, was geht und was nicht“, gibt einer von ihnen außerhalb des Protokolls respektvoll zu Protokoll.

Gewaltopfer im engsten Umfeld der Richterin

Dass eine Strafrichterin ausgerechnet mit einem Polizeibeamten verheiratet ist – kann das nicht auch ein wenig die Urteilsfindung erschweren, weil sie wahlweise als zu polizeifreundlich erscheinen könnte oder auch (im Bemühen um Abgrenzung) als zu polizeikritisch, fragt der zum Zeitpunkt des Gesprächs unwissende Gesprächspartner die Richterin dann noch. „Ich meine, dass das kein Thema war“, sagt Birgit Brandes und lächelt. „Wobei ich in meinem Mann natürlich durchaus einen kompetenten Gesprächspartner hatte und seine Sicht der Dinge erfahren konnte – so wie aber auch umgekehrt.“

Dass ihr Ehemann, vor seiner Pensionierung zuletzt Chef der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kölner Polizei, selbst einmal zum Gewaltopfer geworden ist, erwähnt Richterin Brandes nicht. Ralf Remmert wurde im Februar 2011 am Rande eines Besprechungstermins von Fußball-Hooligans angegriffen. Über die Brutalität der Täter sagte der Beamte hinterher: „Ich dachte, mir geht es wie Daniel Nivel“ – das ist der französische Ordnungshüter, den bei der WM 1998 deutsche Hooligans fast zu Tode geprügelt hatten.

Brutaler Übergriff blieb ungesühnt

Nach der Attacke auf Remmert sprach das Kölner Amtsgericht zwei Angeklagte der Wilden Horde frei. „Ich konnte nicht sagen, welcher Fuß zu wem gehört“, sagte Remmert später dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. „Der Rechtsstaat hat gesiegt. Ich kann da gut mit umgehen.“ Schäden sind bei dem Polizeibeamten damals zum Glück nicht zurückgeblieben.

Für ihren Ehemann und für ihre Hobbys, darunter das Kochen, wird Birgit Brandes bald viel mehr Zeit haben. Gründonnerstag ist ihr letzter offizieller Arbeitstag. „Wir reisen sehr gerne. Ich freue mich darauf, dass das dann auch mal spontan geht.“ Und der Sohn heiratet im Juni.

Ehrenamt bei den Bergischen Löwinnen

Seit der Gründung vor einem Jahr engagiert sie sich im hiesigen Lions Club für Frauen, den Bergischen Löwinnen, und wird das noch verstärken.

Ihre Arbeitsstätte, das Amtsgericht, erlebt derweil einen großen Umbruch: Nach Vize-Chefin Brandes geht zwei Monate später auch Amtsgerichtsdirektorin Johanna Saul-Krickeberg in Pension — die Babyboomer gehen von Bord. Birgit Brandes bekennt für sich, sie gehe mit einem „kleinen weinenden und einem großen lachenden Auge“.

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