Zwei Jahre in MarokkoGladbacherin wegen Kindesentziehung verurteilt

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Ein Schild mit der Aufschrift „Saal VIII Jugendgericht“ hängt in einem Gerichtsgebäude.

Eine Mutter muss ist wegen Kindesentziehung vor dem Bensberger Jugendgericht verurteilt worden.

Der Vater des Kindes hatte dem zweijährigen Aufenthalt in Marokko laut Gericht nicht zugestimmt. Die Frau wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.

Im Fall einer illegalen Kindesentziehung über einen Zeitraum von zwei Jahren hat das Amtsgericht Bergisch Gladbach am Donnerstag die 39-jährige Angeklagte zu 900 Euro Geldstrafe verurteilt. Die Summe entspricht 90 Tagessätzen zu zehn Euro und wird nicht in das polizeiliche Führungszeugnis der Mutter eines sechsjährigen Mädchens eingetragen. Der Staatsanwalt hatte drei Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung gefordert.

Das Gericht hielt die Frau für überführt, im Corona-Sommer 2020 ihre heute sechs Jahre alte Tochter ohne Einverständnis des Vaters und Ehemanns in ihre alte Heimat Marokko gebracht zu haben und erst nach zwei Jahren in ihrer alten Heimatstadt Rabat mit dem Kind nach Deutschland zurückgekehrt zu sein.

Mutter kehrte mit dem Kind erst nach zwei Jahren zurück

Seitdem haben sich die in Scheidung lebenden Eltern immerhin auf ein Umgangsrecht geeinigt: Töchterchen Verena (alle Namen geändert) wohnt jede zweite Woche freitags bis sonntags bei Vater Karim B. in Köln und verbringt auch jeweils eine Ferienwoche bei ihm. Am erste Tag im  Strafprozess gegen Mutter Fadila haben beide Elternteile unabhängig voneinander ihr Bemühen beteuert, dem Töchterchen den anderen Elternteil nicht völlig wegnehmen zu wollen.

Das Verfahren gegen die Mutter kam durch die Strafanzeige des Vaters in Gang. Am ersten Prozesstag ringt der am Köln/Bonner Flughafen arbeitende Familienvater intensiv mit sich selbst, ob er die Anzeige gegen die Noch-Ehefrau zurücknehmen solle. Richter Ertan Güven und der Staatsanwalt haben klargestellt, dass der Prozess davon abhinge.

Das ist ein Antragsdelikt wie einfache Körperverletzung. Die wird auch nur auf Antrag verfolgt – es sei denn, der Täter hat schon zum fünften Mal zugeschlagen und der Staat sagt, dass es jetzt reicht.
Richter Ertan Güven

Güven: „Das ist ein Antragsdelikt wie einfache Körperverletzung. Die wird auch nur auf Antrag verfolgt – es sei denn, der Täter hat schon zum fünften Mal zugeschlagen und der Staat sagt, dass es jetzt reicht.“ Doch sei Karim B. völlig frei in seiner Entscheidung und müsse sich nicht rechtfertigen. Eine Haftstrafe habe Fadila bei einer Verurteilung als Ersttäterin nicht zu befürchten.

Im Anschluss legt Richter Güven eine gut 40-minütige Verhandlungspause ein. Anschließend erklärt Karim B. erneut: „Ich will nicht, dass die Mutter meiner Tochter ins Gefängnis kommt.“ Und dann folgt ein „Aber“: Ganz ohne Strafe wolle er sie auch nicht davonkommen sehen. Zu viele Schmerzen, zu viele Mühen und zu viele Kosten habe sie ihm verursacht. So müsse er das Kindergeld zurückzahlen, das sie zu Unrecht weiter bezogen habe, als sie wieder in Marokko war. Auch wisse er nicht, ob sie wieder mit Verena nach Marokko umziehe.

Bergisch Gladbach: Aussagen widersprechen sich

Kennengelernt hatten sich die Eheleute, die beide marokkanische Wurzeln haben, in ihrem Herkunftsland. Während er seit Jahrzehnten in Deutschland lebte und arbeitete, war sie in Marokko als Beamtin tätig, folgte ihm aber der Liebe wegen nach Deutschland. Verena kam 2016 zur Welt, und bald merkten die beiden, dass es gemeinsam nicht mehr weiterging. Doch fiel die Trennung ins Corona-Jahr 2020.

Die gemeinsame Wohnung hatten sie schon gekündigt. Während er eine neue Wohnung in Köln fand, sah es für sie schlecht aus: Sie war nicht in Deutschland aufgewachsen und bei der Suche auf seine Hilfe angewiesen, wie sie es sah, beziehungsweise zu wählerisch, wie er es empfand. Und die Grenzen nach Marokko waren wegen Corona zunächst dicht. Im Sommer 2020 konnte sie mit Verena aus Deutschland aus- und nach Marokko einreisen. Sie hatte eine schriftliche Einverständniserklärung von Karim für einen mehrwöchigen Ferienaufenthalt, nicht aber für eine dauerhafte Umsiedlung.

Im Strafprozess widersprechen sich die Aussagen: Während sie angibt, mündlich habe er sein Okay für einen dauerhaften Wechsel sehr wohl erklärt, aber mit einer anscheinend vorgeschobenen Begründung die Schriftform abgelehnt, versichert er, dass er als liebender Vater mit mehr als Ferien niemals einverstanden gewesen wäre.

Ich habe meine Tochter nicht entführt.
Die Angeklagte

In der Folge gelang es Karim nach eigenem Bekunden, den Aufenthaltsort von Frau und Tochter mithilfe der Facebook-Standortübermittlung herauszufindenden. Er fuhr hin, sprach mit den Schwiegereltern und durfte schließlich eine Woche Urlaub mit der Tochter und seinen Eltern machen.

Doch anschließend ging ihm zufolge die faktische Kindesentziehung immer weiter, auch Videogespräche über Facebook oder Whatsapp fanden nur sehr sporadisch statt, bis sich die Mutter, mittlerweile auch deutsche Staatsbürgerin, entschloss, im Sommer 2022 wieder nach Deutschland zurückzukehren. Warum, fragt der Richter sie. „Für mich ist das eine große Sache“, antwortet die Ex-Beamtin, „ich habe meine Tochter nicht entführt!“ Und sie ergänzt etwas zögernd, dass sie ihrem Kind den Papa nicht habe nehmen wollen.

Richter Güven lässt durchblicken, dass er die Angaben des Vaters für glaubwürdig hält. Kindesentziehung sei kein Kavaliersdelikt. „So etwas darf niemand tun. Das darf nur der Staat, wenn das Kindeswohl gefährdet ist.“ Und man dürfe auch nicht dem Kind den Kontakt zum anderen Elternteil entziehen.

Am Ende des Prozesstages stellt Verteidiger Mehmet Kalkan den Antrag, ein befreundetes Ehepaar als Zeugen zu hören. Es könnte bestätigen, dass Karim mit einem dauerhaften Wechsel einverstanden gewesen sei. Doch hilft die Aussage des Paares, der Mann habe im Winter 2019/20 eine Rückkehr von Mutter und Kind nach Marokko angestrebt, der Frau nicht weiter:  Denn das sagt nichts über die Lage im Sommer 2020 aus. 

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