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ModeDer Adrashop in Gladbach will mit Second-Hand-Ware den Überkonsum eindämmen

5 min
Vier Mitglieder des Adrashop-Teams stehen rund um eine Kleiderstange.

Das Team im Adrashop achtet auf die Qualität der angenommenen Ware.

Das Geschäft nimmt Kleiderspenden entgegen, doch oftmals erwartet die Mitarbeitenden eine Textillawine anstelle von hochwertigen Stücken.

Fünf Kleidungsstücke zieht Helga Rommerskirchen aus der schwarzen Tasche: ein gelbes T-Shirt, eine karierte Bluse, einen weißen Pullover, ein langärmliges Oberteil und eine knallblaue Hose. Jedes einzelne inspiziert sie, schaut auf die Nähte und Knöpfe, überprüft Kragen und Achseln. Dann faltet sie das T-Shirt, die Bluse und das langärmlige Oberteil. Den Rest legt sie zurück in die Tasche. „Der Pulli hat gelbe Streifen am Kragen, die Hose einen Fleck auf dem Bein. Die können wir nicht annehmen“, sagt sie.

So läuft das hier, in dem kleinen sozialen Second-Hand-Laden Adrashop in Bergisch Gladbach, der von Sachspenden der örtlichen Bürgerinnen und Bürgern lebt und in dem Rommerskirchen tätig ist. Alles, was nicht in die aktuelle Saison passt – etwa Winterjacken – wird in Kisten geräumt, die sich an den Wänden stapeln.

Dass wir Spenden ablehnen, soll nicht arrogant erscheinen. Aber wir ertrinken sonst in Müll
Helga Rommerskirchen, Mitarbeitende im Adrashop

„Wir wollen hier als Second-Hand-Laden ein attraktives und nachhaltiges Angebot schaffen, auch um Spenden für den guten Zweck zu sammeln“, erklärt Shopleiterin Silvia Nern, die aus dem Lager ins Ladenlokal kommt und eine Tasche mitgebracht hat. Das Innenfutter ist nach außen gestülpt, in der Mitte prangt ein großer brauner Fleck. „Kaputte oder verschmutzte Stücke wie diese lehnen wir eigentlich ab, aber ich glaube das hier kriege ich wieder sauber.“

Ein Regal voller Kisten, in denen Kleidung und weitere Waren untergebracht werden.

In den Regalen des Second-Hand-Ladens stapelt sich die gut sortierte Ware für die nächste Saison.

Die Tasche ist eine Ausnahme, normalerweise ist zum Waschen keine Zeit. „Dass wir Spenden ablehnen, soll nicht arrogant erscheinen. Aber wir ertrinken sonst in Müll“, sagt Rommerskirchen. Und damit das nicht passiert, gibt es für die Spenden bestimmte Regeln: Es dürfen zum Beispiel nur kleine Mengen abgegeben werden und die Kleidung soll sauber, ohne Löcher oder defekte Nähte und nicht älter als fünf bis zehn Jahre sein.

Ein großes Problem ist die schiere Masse an Kleidung

„Die meisten sind nicht böse, wenn wir ihnen die Sachen wieder zurückgeben. Wir freuen uns natürlich, wenn sich die Menschen vorher Gedanken über ihre Spende gemacht haben“, erklärt Rommerskirchen. So macht es Jadranka Schwarzenberg, die schon öfter etwas im Shop abgegeben hat. Diesmal hat sie zwei Blusen, frisch aus der Reinigung samt Bügel und Folie, und eine Hose dabei. Rommerskirchen begutachtet die Abgabe, die Entscheidung ist schnell getroffen: „Das nehmen wir alles. Nur die Bügel gebe ich Ihnen wieder zurück“, sagt sie. „Ich spende hier nur Sachen, die noch wirklich gut sind, aber die ich nicht mehr trage“ erklärt Schwarzenberg und steckt die Bügel ein.

Schwarzenberg ist das Vorzeigebeispiel, doch nicht immer läuft es so rund. Ein großes Problem ist vor allem die schiere Masse an Kleidung. „Manchmal kommen hier Menschen mit fünf Säcken hin. Die müssen wir dann samt Spende wieder nach Hause schicken“, sagt Rommerskirchen. „Wir haben gar nicht die Zeit, alles durchzuschauen und zu sortieren.“ Vor Ort engagieren sich zwar rund 40 Ehrenamtliche, teils helfen sie aber nur drei Stunden die Woche aus.

Die Menschen kaufen zu viel und nicht nachhaltig. Wir leben in einer Welt des Überkonsums
Silvia Nern, Shopleiterin

Mal abgesehen von der Arbeit, die die Kleidersäcke mit sich bringen, und dem Umstand, dass der Verwerter, der die im Shop nicht mehr zu verkaufenden Kleidungsstücke abgeholt und weiterverwertet hatte, laut Nern pleite gegangen ist, besorgt allein die Fülle an Textilien Rommerskirchen und auch die Shopleiterin. Auch weil das Ladenlokal selbst fast komplett vollgestellt ist. In jeder Ecke ist etwas zu finden: von Milchkannen über Lyrikbände von Rainer Maria Rilke bis hin zu Kuscheltieren und Bettwäsche. Und natürlich Kleidung – für Herren, Damen und Kinder. Kleiderstangen voller Jeans, Hemden und Blazer reihen sich aneinander, auch Schuhregale und Ständer mit Taschen und Tüchern. Selbst vor der Tür sind sie reihenweise zu finden.

Im Laden steht ein gut sortiertes Bücherregal.

Auch verschiedene Bücher können die Kundinnen und Kunden vor Ort erwerben.

Eine Kundin hockt vor einem Regal mit Haushaltswaren.

Haushaltswaren bietet der Adrashop ebenfalls an.

Doch das Problem fängt laut Nern eigentlich schon viel früher an. „Die Menschen kaufen zu viel und nicht nachhaltig. Wir leben in einer Welt des Überkonsums.“ Unrecht hat sie damit wohl nicht, immerhin erwerben die Deutschen laut Bundesumweltministerium im Schnitt jährlich sechzig Kleidungsstücke. Angeheizt werde die Situation durch den Trend zu günstiger, qualitativ geringwertiger Fast Fashion (dt. Schnelle Mode).

Das teuerste Kleidungsstück im Laden kostet 30 Euro

„Läden, die diese Billigware anbieten, befeuern den Konsum. Wir wollen den Trend lieber bremsen“, betont Nern. Eher selten würden solche Kleidungsstücke im Laden abgegeben, aber hin und wieder komme das schon vor. „Wenn sie noch gut erhalten ist, ist es besser, der Kleidung eine zweite Chance zu geben, als sie wegzuwerfen.“ Lieber nehme die Shopleiterin aber hochwertige Stücke an, die dürften dann auch etwas mehr kosten.

Normalerweise zahlen Kunden zum Beispiel für eine Damenhose fünf bis sechs Euro. Bei Markenkleidung steigen die Preise, die Hose kostet dann zwischen sieben und zehn Euro und bei besonders namenhaften Marken wie Calvin Klein zehn bis zwölf Euro. Und das teuerste Kleidungsstück? Da muss Nern erstmal nachdenken und eine Kollegin fragen. Die hat es schnell gefunden, direkt an der Kleiderstange neben der Eingangstür: eine dunkelgraue Lederjacke. Sie kostet 30 Euro. Eine Ausnahme.

Der Altkleidermarkt könnte zusammenbrechen

Neben Überkonsum und Fast Fashion sorgt sich Nern auch um die zugespitzte Situation auf dem Altkleidermarkt. Einem Bericht des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung zufolge steht das „Recycling von Alttextilien“ vor „einem möglichen Kollaps“. Die Gesellschaft „Gemeinschaft für textile Zukunft“ spricht von einer Krise, die unter anderem „der rapide Preisverfall für Alttextilien, bei steigenden Kosten für die Erfassung und Verwertung“ ausgelöst habe. „Es kommen gerade viele Dinge zusammen“, sagt Nern. Da wären laut Shopleiterin der Krieg in Osteuropa, die gestiegenen Energiekosten und die neue EU-Richtlinie, die das Wegwerfen von kaputter Kleidung in den Müll untersagt. „Der Recyclingmarkt ist zusammengebrochen.“

Ein großes Problem, dem man im Kleinen vielleicht ein Stück weit selbst entgegenwirken kann, indem man Textilien zum Beispiel repariert: „Eine Naht nähen, anstatt die Kleidung direkt wegzutun zum Beispiel. Oder ein Loch wie das hier“, sagt Nern und zeigt auf einen kleinen Riss in ihrem T-Shirt, „selbst zu stopfen.“ Früher sei das üblich gewesen, das kenne Nern noch von ihrer Mutter. „Heute fehlt uns dafür die Kultur.“