Ruhestand? Von wegen! Ferdinand Linzenich rechnet ab, räumt sein Büro – und macht auf der Bühne weiter.
KabarettistWieso Ferdinand Linzenich in den Halbruhestand geht

Ferdinand Linzenich bei seiner satirischen Weihnachtslesung "Kommt, setzt Euch zu mir" im Bergischen Löwen.
Copyright: Anton Luhr
Das Jahr neigt sich dem Ende und damit auch ein Abschnitt im Leben von Ferdinand Linzenich. Allerdings ganz anders, als mancher das bei der Ankündigung seiner traditionellen Lesung zum Jahresende erwartet hatte.
In seiner Ankündigung der traditionellen Auftritte zum Jahresende im Kölner Senftöpfchen und im Gladbacher Löwen hatte Linzenich davon geschrieben, dass er wenige Tage später seinen Ruhestand antreten werde und daher die „manchmal irrsinnigen 16.000 Arbeitstage zuvor“ resümieren und auch darauf eingehen wolle, warum es immer eine Herausforderung gewesen sei, „kein linker Kabarettist“ zu sein.
Wokeness ist nicht sein Ding
Die Vorstellung aus dem Off ist klassisch: Linzenich wird angekündigt, als heterosexueller Mann, der sich zur traditionellen Einehe bekenne, zum rheinischen Katholizismus, zu seiner bürgerlichen Lebensweise, zur freien Marktwirtschaft und zum „lauten Singen von Kirchenliedern in der Kneipe“. An der Uni sei er „einer der drei Studenten gewesen, die sich dazu bekannten: ,Ich bin ein Schwarzer'. Die anderen beiden „waren aus Kamerun und aus Ghana“, ist es aus dem Off zu hören. Nein, „Wokeness“ oder politische Korrektheit sind Linzenichs Sache nicht. Bewusst nicht.
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„Keine Taschenkontrolle am Eingang. Keine, Free Palestine' -Banner im Saal und keine Poller vor der Bühne. Ist das nicht schön?“, fragt er sein Publikum. Und nicht nur NRW-Innenminister Herbert Reul (siehe „Innenminister im Publikum“) muss angesichts der jüngsten Diskussionen über die Sicherheit auf Volksfesten und Weihnachtsmärkten schmunzeln.
Ich stehe wenige Tage von meinem Ruhestand im Unternehmen. Weihnachtslesung mache ich noch.
Wie war das mit Ruhestand? „Das war wohl etwas missverständlich“ klärt der Kabarettist und Gladbacher Unternehmer auf der Bühne auf: „Ich stehe wenige Tage von meinem Ruhestand im Unternehmen. Weihnachtslesung mache ich noch.“ Spricht's und kündigt gleich die Termine fürs nächste Jahr an: 29. November im Senftöpfchen, 10. Dezember im Bergischen Löwen.
„Ich stehe wenige Tage vor meinem Ruhestand als geschäftsführender Gesellschafter, und das löst bei mir zuhause sehr viel Unruhe aus. Da muss sich meine Frau auch drauf einstellen – und ich natürlich auch“, sagt der Gründer und – mit seinen Brüdern – langjährige Chef der Linzenich-Gruppe, die zahlreiche Fitnessstudios im Rheinland und im Bergischen betreibt. 16 .000 Tage sei er im Geschäft gewesen, resümiert Linzenich. „An circa 15.000 dieser Tage habe ich nachts schlecht geschlafen. An dem übrigen 1000 Tagen bin ich gar nicht ins Bett gegangen, weil ich wusste, du schläfst sowieso nicht. Ich habe acht Betriebsprüfungen überstanden und drei drohende Konkurse abgewendet. Ich habe grob geschätzt, in diesen 43,5 Jahren 450 Stunden beim Steuerberater gesessen, für die mehr als 4500 Stunden in Rechnung gestellt worden sind.“ Nein, Unternehmer sein in Deutschland ist nicht leicht, laut Linzenich „fast so eine Tragödie, wie schwanger sein im Vatikan“: „12.000 Stunden habe ich in Firmenveranstaltungen verbracht, wo die üblichen Verdächtigen die üblichen Reden gehalten haben. Ich habe dabei annähernd 500.000 Powerpoint-Charts gezeigt bekommen, von denen mich höchstens 500 interessiert haben. Hauptsächlich die Sätze ,Danke für Ihre Aufmerksamkeit' und ,Guten Appetit',“ bilanziert Linzenich augenzwinkernd.
Emotionale Erinnerungen
Doch es sind nicht nur die satirischen Einblicke in sein Leben als Unternehmer, die das Publikum an diesem Abend in den Bann ziehen. Es sind auch ganz emotionale Erinnerungen aus der eigenen Familiengeschichte, an der Linzenich sein Publikum teilhaben lässt. Nicht ohne natürlich zuvor seinen Bruder Johannes und dessen erste Tochter, um die es in der Geschichte „Verwandte mit Verspätung“ geht, vorab um ihr Einverständnis gefragt zu haben, wie der Kabarettist versichert.
Johannes sei damals 18 Jahre alt gewesen, seine Freundin aus der Nachbarschaft 17 – und schwanger, erinnert sich Linzenich an das Ereignis, das scheinbar so gar nicht in die Welt einer bürgerlichen, gut katholischen Familie in Refrath passen wollte. Das Kind wurde zwar – natürlich – zur Welt gebracht, dann aber sofort zur Adoption freigegeben. Und war doch in den folgenden Jahren immer irgendwie anwesend. Doch selbst der 18. Geburtstag der Tochter, an dem sie hätte erfahren dürfen, wer ihre leiblichen Eltern sind, verging, ohne dass sich jemand meldete. Erst als sie 36 Jahre alt war, gab es ein Lebenszeichen von Kerstin, so hieß die Tochter. Der Beginn einer ganz besonderen Annäherung. Später wurde Kerstins leiblicher Vater sogar ihr Trauzeuge und Ferdinand Linzenichs Tochter Christina Taufpatin ihres Kindes. „Gott sei Dank, eine wahre Geschichte“, schließt Linzenich auf der Bühne vor einem gerührten Auditorium.
So war ein Nazi-Gerichtshof für einen Tag die einzige freie Kabarettbühne im Dritten Reich.
Musikalisch und poetisch geht es weiter. Linzenich singt vom Menschen, der zu viel im Gestern und im Morgen lebe und zu wenig im Hier und Jetzt, bekennt sich in einem Gedicht dazu, ein Kind aller vier Jahreszeiten zu sein, und erinnert an den Kabarettisten Werner Finck, für den seine Spitzen gegen das Regime in der NS-Zeit tatsächlich lebensgefährlich hätten werden können. Sketche wie der über eine von ihm vermeintlich gepflanzte Hitler-Eiche („Vor ein paar Monaten war sie noch ganz klein, gerade bis zu meinen Knöcheln, dann reichte sie mir bis an die Knie, und jetzt steht sie mir schon bis zum Hals.“), endeten für Finck mit Arbeitsverbot und Konzentrationslager – aber auch mit einem Prozess vor dem Volksgerichtshof, nach dem die beteiligten Richter entlassen wurden. Sie hatten die Finck zur Last gelegten Sketche vor Gericht nachspielen lassen – und das Publikum habe sich vor Lachen nicht halten können, weiß Linzenich. „So war ein Nazi-Gerichtshof für einen Tag die einzige freie Kabarettbühne im Dritten Reich.“
Wie in seinen Anfängen auf der Bühne zitiert Linzenich an diesem Abend auch Literarisches wie Hölderlins „Einmal lebt ich, und mehr bedarf's nicht“ oder große Bühnenkollegen wie Charlie Chaplin, um nicht zuletzt auch Klassiker aus den eigenen Programmen zu rekapitulieren und dabei – etwa bei Kostproben aus dem von Linzenich und seinem Co-Autor Thomas Brückner verfassten „Satirische Lexikon rheinischer Lebensart“ – auch schon einen Ausblick auf die bevorstehende rheinische „Jahreszeit“ gibt: Was ein Dreigestirn ist? „Saisonale Dreiecksbeziehung zwischen zwei Folklore-Tunten und einem Transvestiten. Ohne wechselseitiges erotisches Interesse. Der Dienstwagen ist ein klobiges, möglichst kitschig gestaltetes Cabriolet, das von einem Traktor gezogen und nur einmal im Jahr benutzt wird.“
„Lasst uns also aufhören, andauernd das Leben zu verpassen“, wünscht der Kabarettist seinen Zuschauerinnen und Zuschauern am Ende – und wohl die meisten dürften sich gefreut haben, dass es auch im nächsten Jahr trotz (haupt-)beruflichem Ruhestands auf der Bühne mit Ferdinand Linzenich weitergeht.

Auch NRW-Innenminister Herbert Reul besuchte die Lesung von Ferdinand Linzenich:
Copyright: Anton Luhr
Nicht nur das Publikum, sondern auch der Geschäftsführer des Bürgerhauses Bergischer Löwe, Norbert Pfennings, staunten zunächst, als sie beim Gastspiel von Ferdinand Linzenich die Sicherheitskräfte vor dem Bürgerhaus und im großen Theatersaal bemerkten. Grund war nicht der Kabarettist auf der Bühne, sonder ein besonderer Gast: NRW-Innenminister Herbert Reul, der mit Ehefrau Gundula und Freunden Linzenichs Auftritt besuchte. „Wir kennen ihn ja schon seit Jahren und haben die Karten für heute Abend auch Freunden geschenkt“, sagt der Minister aus Leichlingen im Gespräch mit dieser Zeitung.

