Prozess in GladbachMann stößt schwangere Freundin in den Bauch, wird freigesprochen

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Justitia am Gericht

Justitia an einem Gerichtsgebäude (Symbolbild)

Bergisch Gladbach – Wenn man vom Paragrafen 218 redet, denkt man meist an frühere politische Auseinandersetzungen um die grundsätzliche Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs. Nie umstritten war aber die Strafbarkeit des „besonders schweren Falls“, der dann gegeben ist, wenn der Abbruch gegen den Willen der Frau geschieht.

Wegen eines versuchten besonders schweren Falls des Schwangerschaftsabbruchs stand jetzt ein 27-jähriger Rhein-Berger vor Gericht. Udo K. (Namen geändert) hatte seiner im vierten Monat schwangeren 17-jährigen Freundin Jenny das Knie in den Bauch gerammt. Das ungeborene Kind überlebte, es lebt jetzt bei Pflegeeltern. Udo und Jenny sind weiterhin ein Paar zusammen. Ein weiteres Kind ist unterwegs. Und Udo wurde freigesprochen.

Beide haben ein Aggressionsproblem

Der Strafprozess bei Strafrichter Reinhard Bohn gibt Einblicke in eine Welt weit jenseits irgendwelcher auch nur halbwegs geordneten bürgerlichen Lebensverhältnisse. Eine Welt, über die die Ämter sonst aus Datenschutzgründen wenig bis gar nicht reden.

Jenny und Udo haben sich gesucht und gefunden. Udo als angelernter Dauerpraktikant des Hausmeisters einer Jugendhilfeeinrichtung, in der er früher selbst aufgewachsen ist, Jenny als Bewohnerin. Udo und Jenny gaben und geben sich gegenseitig Halt, aber die zanken auch viel, und sie haben nach eigenen Aussagen beide ein ziemliches Aggressionsproblem.

Angeklagter bringt Selbstverteidigung an

Am Tattag, dem 3. Juli 2020, sitzen sie beide auf einer Schaukel. Es gibt Streit, und im Laufe des Streites, so l die Anklage, steht Udo auf und rammt seiner schwangeren Freundin das Knie in den Bauch. Der Tod des Kindes hätte die Folge sein können, doch eine Untersuchung im Krankenhaus ergibt, dass nichts passiert ist. „Der Kleine ist gesund und putzmunter“, sagt Udo vor Gericht. „Niemals würde ich meinem Kind etwas tun.“

Zusammen mit seinem Verteidiger sagt er, es sei Notwehr gewesen: „Wir waren im Streit. Plötzlich stand Jenny auf und wollte mir in die Hoden schlagen.“ Er habe reflexartig das Knie hochgerissen und dabei Jenny getroffen. Bei dieser Version bleibt Udo konsequent. Sie widerspricht der von Jennys Vormund zur Anzeige gebrachten Version diametral.

SEK-Einsatz in betreuter Wohngruppe in Bonn

Und auch Jenny gibt genau denselben Hergang zu Protokoll, trotz der eindringlichen Hinweise des Richters auf ihre Wahrheitspflicht. Genau so sei es gewesen und nicht anders. Bei weiteren Fragen, etwa zur Herkunft von blauen Flecken an ihren Armen, die ihr Vormund mit Fotos dokumentiert hatte, beruft sie sich auf Erinnerungslücken. „Die sind wahrscheinlich von Herrn K., aber nicht von diesem Tag. Und sie fragt patzig: „Wer hat denn die Fotos zur Polizei gebracht?“

Aktuell lebt Jenny offiziell „bei meiner Mama“ in Köln, tatsächlich aber vorwiegend mit Udo in Rhein-Berg. Das Baby ist nicht mehr bei ihr. Sie war mit dem Kleinen zunächst in eine betreute Wohngruppe nach Bonn gezogen. Doch dort, sagte es Udo in der Verhandlung, sei sie so sehr reglementiert und kommandiert worden, dass es fast ein böses Ende genommen hätte. Udo: „Es gab einen SEK-Einsatz, weil sie angekündigt hat, sich selbst und dem Kind etwas anzutun. Jenny braucht ihre Freiheit, sie muss raus.“ Der Polizeieinsatz endete glimpflich, doch das Baby ist jetzt bei Pflegeeltern.

Angeklagter und Opfer wollen Baby zurück

Nach den Worten von Udos Verteidiger hat das junge Paar große Pläne, aber auch noch viel Arbeit vor sich. Die beiden seien „kindliche Erwachsene, die in eine Rolle reinwachsen müssen, die ihnen eine Nummer zu groß ist.“ Sie wollten versuchen, eine ganz normale Familie zu werden und auch das Baby, das sie nur gelegentlich sehen dürften, bei sich aufzunehmen.

Angesichts der mehr als dürftigen Beweislage regt Richter Bohn an, das Verfahren gegen Udo wegen geringer Schuld gegen Auflage einzustellen. Er wolle dem jungen Mann ein Anti-Aggressions-Training zur Auflage machen. Dagegen sperrte sich der Verteidiger: Ein Anti-Aggressions-Training sei zwar sicher eine gute Idee, aber „das war eine klassische Notwehrsituation. Mein Mandant hat das Recht auf einen Freispruch.“

Gericht muss Angeklagten freisprechen

Da mit der Haltung des Verteidigers die Einststellung vom Tisch ist, forderte die Staatsanwältin eine Verurteilung: „Ein Knie im Bauch einer Schwangeren kann nicht das mildeste Mittel sein. Das ist nicht durch Notwehr gedeckt.“

Die Mindeststrafe von sechs Monaten sei zur Bewährung auszusetzen sei, außerdem 300 Euro Buße zu zahlen. Dagegen plädiert der Verteidiger nun auch förmlich auf Freispruch. Die Staatsanwältin setze eine vorsätzliche Handlung voraus, und das abwegig: „Es ging nicht um die Schwangerschaft, sondern um den Schutz er eigenen Extremitäten. Ein Mann hat das Recht, seine Hoden zu verteidigen.“ Dass das Knie dabei in Bauchhöhe gelangt sei, sei „Pech, das aber der Angreifer zu tragen hat“.

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Udo betont in seinem letzten Wort, dass er nun schon seit zwei Jahren mit Jenny zusammen sei. Und er beteuert: „Ich würde meinem Kind, das ich von Herzen liebe, niemals etwas antun.“

Unmittelbar danach verkündet Richter Bohn sein Urteil: „Der Angeklagte wird freigesprochen.“ Gleichwohl appelliert er dingend an Udo, sich seinen Aggressionsproblemen zu stellen und sich dabei nicht nur ausgedehnte Jogging-Runden zu stützen. „Das Familiengericht werden Sie damit nicht überzeugen können.“ Udo verspricht: „Das werde ich machen.

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