„Wollte Situation nicht wahrhaben“So haben Ukrainerinnen in Rhein-Berg ein Jahr im Krieg erlebt

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Ukrainerinnen sitzen auf einem Sofa in einem Klassenzimmer.

Die Waldorfschule stellt Räume für Sprachkurse und hat Schüler aus der Ukraine aufgenommen. Einige von ihnen sind zusammengekommen und haben über das vergangene Jahr gesprochen.

Bei den Geflüchteten liegen widersprüchliche Emotionen ganz nah beieinander. Seit einem Jahr leben sie zwischen Dankbarkeit und Angst. 

Seit dem 24. Februar 2022 leben Menschen aus der Ukraine in einer Ausnahmesituation, die das vermeintlich Unvereinbare vereint. Für viele Geflüchtete liegen Verzweiflung und Hoffnung, Angst und Dankbarkeit, Heimweh und Neuanfang ganz nah beieinander – und bedeuten für sie heute teilweise etwas anderes, als noch vor einem Jahr.

Kira Hlazacheva sitztr auf einer Couch und schaut in die Kamera.

Kira Hlazacheva konnte ihre neue Situation anfangs nicht akzeptieren.

Die Verzweiflung bei Schülerin Kira Hlazacheva war nach der Flucht groß. Sie musste ihr gesamtes bisheriges Leben hinter sich lassen und wollte dringend wieder nach Hause. Jeden Tag stritt sie sich mit ihrer Mutter über die Rückkehr in die Heimat. „Das erste halbe Jahr des Kriegs ist aus meinem Leben rausgeschnitten. Ich wollte die Situation nicht wahrhaben“, erzählt sie heute. Mittlerweile habe sie die Lage aber akzeptiert und hoffe auf eine bessere Zukunft hier in Deutschland.

Die Hoffnung auf ein frühes Kriegsende war groß

Auch Tetiana Kisil hatte zunächst die Hoffnung, schnell wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können und setzt ein Jahr später auf eine Zukunft in Deutschland. „Ich dachte, dass wir im April oder Mai wieder zurück können, weil die Ukraine bis dahin gesiegt hat“, sagt sie. Sie ist mit ihrer Familie seit Mitte März in Deutschland. „Als wir losgefahren sind, wurden ständig Bomben gezündet“, erinnert sie sich.

Auf der Fahrt von Charkiw nach Deutschland habe sie im Internet eine Familie gefunden, die sie für einen Monat aufgenommen hat. „Sie haben uns viel über Deutschland beigebracht. Wir hatten ja keine Ahnung, was es hier für Regeln gibt“, sagt Tetiana Kisil. Die Familie setze alles daran, Deutsch zu lernen, so gut es geht. „Anders ist es schwer, hier anzukommen“, erklärt sie. Deswegen hat sie sofort den Anfänger-Sprachkurs des Vereins „Herwi“ besucht und geht immer noch regelmäßig ins Begegnungscafé in Refrath.

Die Sorge um Angehörige ist jeden Tag da

Hier erzählt sie, dass sie Angst vor dem Jahrestag habe. Sie hat noch Angehörige und Freunde in der Heimat, um die sie sich jeden Tag sorge. Als sie am Mittwoch mit einer Freundin telefonierte, habe sie Explosionen durchs Telefon gehört. Das zeige, dass die Sorgen berechtigt seien: „Es ist immer noch nicht sicher dort“, sagt Kisil. Deswegen sei sie sehr froh, dass sie hier in Deutschland so viel Hilfe bekomme, sich hier ein Leben aufzubauen. Dieses Nebeneinander von Dankbarkeit und Angst scheinen viele Geflüchtete zu kennen.

Yuliia Berdos Mann kämpft in der Ukraine und ihre 70-jährige Mutter habe sich die Strapazen der Flucht nicht zugetraut. Sie habe jeden Tag Angst um beide, auch wenn sie mit der Situation aktuell gut umgehen könnten, sagt die Ukrainerin. „Aus unserer Familie sind zum Glück alle gesund. Und sie haben sich an den Krieg gewöhnt. Aber für uns hier ist die Situation nicht normal“, erzählt sie.

Sie steht mit anderen Frauen und Jugendlichen in einem Klassenzimmer der Waldorfschule Bergisch Gladbach. Die Schule stellt Räume für Sprachkurse der VHS zur Verfügung und hat im vergangenen Jahr einige Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine aufgenommen.

Sabina Berdo sitzt auf einer Couch und schaut in die Kamera.

Sabina Berdo träumt davon, auf die Filmhochschule zu gehen.

Gleichzeitig ist auch Berdos sehr dankbar dafür, dass sie in Bergisch Gladbach so gut aufgenommen wurde und so viel Unterstützung bekommt. Sie hat früh geplant, mit ihren Kindern in Deutschland zu bleiben.

Ihre Tochter Sabina geht auf die Waldorfschule und träumt davon, an die Filmhochschule zu gehen. Sie strahlt, während sie von ihren Plänen erzählt und wird im nächsten Moment ernst und wirkt traurig, wenn sie von ihrem Vater spricht. Die Hoffnung, dass die Familie irgendwann wieder zusammenkommt, erhellt ihr Gesicht aber schnell wieder. „Vielleicht können mein Vater und meine Oma nach dem Krieg zu uns kommen“, sagt sie.

Kleine Tochter vermisst ihr Spielzeug von früher nur noch selten

Die Tochter von Natalia Beuko hat sich an den Neuanfang gewöhnt. Während Beuko im Gespräch im vergangenen Jahr noch erzählte, dass die Vierjährige immer wieder frage, wann es endlich nach Hause gehe, erwähne sie mittlerweile nur noch ab und zu Freunde oder ihr Spielzeug aus der Heimat. „Wir haben früh morgens unsere Kinder ins Auto gesetzt und sind einfach losgefahren“, erinnert sich die Mutter an den Tag, an dem sich ihr Leben für immer veränderte.

Natalia Beuko und ihr Mann hätten lange das Gefühl gehabt, dass alles nur ein schlimmer Albtraum ist, aus dem sie bald wieder aufwachen. „Aber wir sind erwachsene Menschen und verstehen, dass ein Krieg nicht in ein bis zwei Tagen vorbei ist“, fügt sie hinzu. Der Tag heute mache ihnen zu schaffen und sie würden der Ukraine und der Gefallenen gedenken. Die Familie habe schnell den Plan gefasst, in Deutschland zu bleiben. Ihr Sohn ist 16 Jahre alt, geht in Köln zur Schule, habe viele Freunde hier. Und ihre Tochter spricht schon so gut Deutsch, dass sie für die Familie übersetzen kann.

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