„Sie arbeiten stark mit sozialen Bindungen“Experte zu Freikirchen und City-Church

Gert Pickel ist Religionssoziologe an der Uni Leipzig.
Copyright: Gerd Pickel
Bergisch Gladbach – Professor Dr. Gert Pickel ist Professor für Religions- und Kirchensoziologie am Institut für Praktische Theologie an der Universität Leipzig. Alina Bremer hat mit ihm über die City-Church gesprochen.
Wie ist die City-Church einzuordnen?
Sie kann als neue religiöse Gemeinschaft bezeichnet werden. Bei vielen Pfingstkirchen gibt es ein paar Punkte, die man im Auge behalten sollte. Sie wirken sehr modern von außen, durch die Event-orientierte Form, mit der Musik, die gespielt wird, und den Themen, die besprochen werden. Aber im Kern sind sie sehr dogmatisch und konservativ. Sie legen die Bibel wörtlich aus und sind mit modernen Wertestrukturen wie sexueller Vielfalt oder modernen Rollenbildern nicht zu vereinbaren. Viele Pfingstkirchen koppeln sich von der Außenwelt ab, um ihre Mitglieder nicht zu verlieren. Sie arbeiten stark mit engen sozialen Bindungen. Das wird dann nicht nur auf den Gottesdienst beschränkt, sondern es passiert noch sehr viel drum herum, wie die Life Groups der City-Church. Alle sozialen Bindungen sollen sich auf die Gruppe konzentrieren. Das mag für viele Teilnehmende auch positiv sein, weil sie ihre Probleme mit Gleichgesinnten besprechen können. Aber starke Bindungskraft heißt auch starke Kontrolle. Das baut einen Druckfaktor auf und sorgt für einen Automatismus, der einen immer weiter in die Strukturen der Gemeinde reinzieht. Dadurch wird es sehr schwierig, sich wieder zu distanzieren.
Was macht Freikirchen so attraktiv?
Vor allem das soziale Element und die moderne äußere Form. Man schaut sich das ein paar Mal an, die Bindung wird enger, man identifiziert sich mehr und mehr mit den Werten. Und dann passiert das, was man niemals für möglich gehalten hätte: Man ist konservativ. Dazu kommt eine Erziehung hin zu einem bestimmten Glaubensmodell. Bei der City-Church sind das zum Beispiel die Alpha-Kurse, in denen Menschen, die noch nicht so gläubig sind, eine bestimmte religiöse Vorstellung auferlegt wird. Die sozialen Bindungen sorgen für eine starke Selbstverpflichtung. Bei der City-Church entsteht diese zum Beispiel dadurch, das alles von Herzen kommen soll. Wer weniger gibt, hat also ein kleineres Herz. Wenn man einen Menschen von außen verpflichten möchte, ist das schwierig. Aber wenn er sich selbst verpflichtet, ist er sehr viel strenger mit sich. So erklären sich auch die hohen Spenden. Dass diese erwartet werden, wird ganz offen kommuniziert. Mit Menschen, die sich davon abschrecken lassen, wollen sie nichts zu tun haben. Und die anderen lassen sich durch die soziale Bindung von den hohen Summen nicht abschrecken. Sie möchten die Gruppe nicht enttäuschen und sehen die hohen Summen als gegeben an.
Das könnte Sie auch interessieren:
Sehen Sie eine Gefahr für die etablierten Kirchen durch die freien Kirchen ?
Die Freikirchen haben weltweit einen deutlichen Zulauf, in Deutschland ist der vergleichsweise noch relativ klein. Außerdem ist die Bandbreite bei uns sehr groß, deswegen ist das noch nicht problematisch. Bedenklich ist, dass sie entgegen der modernen Werte-Entwicklung stehen. Die Volkskirchen halten nicht Schritt mit der immer schneller werdenden Entwicklung der Gesellschaft, während der Druck auf sie steigt. Gerade die Mitglieder der katholischen Kirche sind im Kern zutiefst erschüttert. Aber Raum für Entwicklungen ist immer da. Es gibt gute Modernisierungsmöglichkeiten. Ich rate allen Volkskirchen, neben modernen Inhalten auf zwei Standbeine zu setzen: Zum einen auf den Aspekt der sozialen Bindungen. Zum anderen sind Kirchen immer dann besonders beliebt, wenn sie Benachteiligten helfen. Gottesdienste, zu denen die Leute nur gehen, weil sie gläubig sind, funktionieren nicht mehr.