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Von der Schule in die FleischereiWie ein Kürtener Azubi eine Schweineschulter auslöst

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Meister und Azubi: Matthias Molitor mit Peppino Lennerts.

  • Welche Jobs sind besonders vom Fachkräftemangel betroffen? Wir schauen uns in der Region um.
  • Zu wenig Menschen entscheiden sich für eine Ausbildung. Was sind die Gründe?

Kürten – Ein verregneter Mittwochmorgen in Kürten: Zwei Kundinnen stehen vor der Wurst- und Fleischauslage in der Metzgerei Molitor. Hinter der Scheibe liegen kleine Würstchen und Scheiben mit Sülze, Salami, Leberwurst und Schinken. An solchen Scheiben hat man sich als Kind die Nase plattgedrückt, bis man ein Eckchen Fleischwurst geschenkt bekam.

Matthias Molitor betritt den Verkaufsbereich durch die Hintertür, in den Händen einen großen Haken, an dem dunkelrote Fleischstücke baumeln: „Hier ist noch der Gulasch!“ Er kommt direkt aus dem Bereich der Fleischerei, den sie dort „Wurstküche“ nennen: Dort wird das Fleisch verarbeitet, das später über die Theke geht.

Ausbildungsstart am 01. August

Die Eintretenden empfängt ein dichtes Geruchsgemenge aus Räucherfleisch, Eisen und salziger Sülze. An käfigartigen Konstruktionen baumeln fertige Würste zum Reifen, und noch einen Raum arbeitet ein junger Mann in weißem Kittel: Peppino Lennerts, 16 Jahre alt, Azubi. Er ist seit dem ersten August dabei, seit dem Sommer hat er seinen Schulabschluss.

„Mein Anfang hier war tatsächlich auch ein wenig coronaverschuldet“, erzählt Lennerts. Wegen des Homeoffice in der Schulzeit hat er mehr als sonst auf dem Geflügelhof seines Vaters ausgeholfen, und kam so darauf, das ohnehin anstehende Praktikum dann in einer Fleischerei zu machen. Im Anschluss daran kam er jeden zweiten Samstag zum helfen, bis feststand: Er wollte auch seine Ausbildung hier im Betrieb machen. „Die Samstage waren entscheidend“, erinnert sich der 16-Jährige. „Da durfte ich dann richtig mit anpacken, das hat richtig Spaß gemacht.“

Molitor: Rund 95 Prozent der Verkaufsware aus Eigenproduktion

Die Fleischerei Molitor ist ein Familienbetrieb in der zweiten Generation. Rund 95 Prozent der verkauften Waren stammen aus der Eigenproduktion. Ausnahmen sind Spezialitäten wie luftgetrockneter Schinken. Geht wegen der Wetterlage in Kürten schon gar nicht, erklärt Meister Matthias Molitor: „Der schimmelt dir hier weg.“

Vermutlich haben die wenigsten 16-Jährigen schon mal ein komplettes totes Schwein gesehen, geschweige denn eine Schulter „ausgelöst“, also das Fleisch fachgerecht für die verschiedenen Produkte zugeschnitten. Wenn man Peppino Lennerts zuhört, hat man das Gefühl, er könne das alles schon viel länger, als seine relativ kurze Erfahrung vermuten lässt. Dabei ist gerade das Wurstmachen neu für ihn gewesen, obwohl er einiges vom Heimathof schon kannte.

Frühes Aufstehen wird zur Routine

„Montags geht es los mit der Zerlegung der Schweine, also Schulter, Bäuche und Köpfe“, erklärt Lennerts routiniert. Dann produzieren sie Rohwurst, also zum Beispiel Mettwurst oder frische Bratwurst, dienstags ist Kochwurst (etwa Leberwurst) oder Brühwurst (Fleischwurst) dran. Gemütlich ausschlafen funktioniert mit dem Job übrigens nicht: Um fünf Uhr ist Lennerts schon im Betrieb.

„Die ersten Male waren schlimm“, grinst Lennerts verlegen. „Aber inzwischen geht’s, man muss sich halt ein bisschen dran halten, dass man um sieben auch im Bett liegt. Ich guck' dann vielleicht noch was oder so, aber halt nicht so lange. Und man wird hier morgens auch schnell wach.“ Sein Lehrer Matthias Molitor grinst ihn von der Seite an: „Oder man wird halt wachgemacht.“

Abitur-Zwang spricht gegen eine Ausbildung

Mittagspause: Fleischkäsebrötchen im Büro. Molitor und Lennerts unterhalten sich darüber, warum es zu wenig junge Menschen in die Ausbildung zieht. „Ich hab das in meiner Klasse gemerkt“, erzählt Azubi Lennerts. „Alle sagen einem immer, man muss das Abi machen, das kriegt man von daheim aus so mit.“ Von den 30 Leuten in seiner Klasse haben sich etwa sechs für die Ausbildung entschieden.

Ausbildung zum Fleischer

Dauer, Gehalt, Arbeitszeit

3 Jahre dauert die Ausbildung zum Fleischer.

Im ersten Lehrjahr verdient Peppino Lennerts bei Molitor 750 Euro, der Tarifvertrag schreibt etwas weniger vor.

Er arbeitet alle zwei Wochen auch Samstags, sonst unter der Woche von 5 Uhr morgens bis etwa ein Uhr Mittags.

Sein Ausbilder stimmt ihm da zu. „Abitur, sonst bist du nichts, heißt es“, schimpft er. „Dabei sieht man, wie junge Leute in der Lehre dann aufblühen. Und danach hast du Chancen, ein Meister zählt als Abitur, man kann dann auch nochmal studieren, wenn man das will. Keiner will mehr richtig arbeiten, nur noch rumsitzen. Man vergisst, wie gut das ist, was mit den Händen zu machen.“

„Eine Tariferhöhung müssen sich Ausbilder auch leisten können“

Ob mehr Gehalt die Ausbildung attraktiver machen könnte, oder eine kürzere Dauer? Matthias Molitor hält davon nicht viel. „Bei einer Sitzung hat mal wer gesagt: Eine Frau trägt ihr Kind neun Monate, kürzer ist nicht gut. So ist das mit der Ausbildung auch. Und als Betrieb muss ich sagen: Eine Tariferhöhung müssen sich die Ausbilder auch leisten können.“ Eine Zeitlang sei er in die Schulen gegangen, um auf das Thema Ausbildung aufmerksam zu machen.

Die Pause ist vorbei. Es geht zurück in die Wurstküche. In einem Raum reift Salami, noch ist sie weich und lässt sich eindrücken. In einem Plastikbottich davor liegt ein totes Ferkel, dessen Öhrchen über den Rand lugen. Sicher auch kein Anblick für alle – wie ist das eigentlich als Fleischer in einer Zeit, in der immer weniger Menschen Fleisch essen?

Mehr Bewusstsein für Fleischkonsum

„Man sollte die Ausbildung natürlich nicht anfangen, wenn man ohne Ekel nicht mit Fleisch umgehen kann“, sagt Lennerts, der gerade mit seinem Ausbilder eine Schweinehälfte an einen Haken wuchtet. „Und klar gibt es immer mehr Vegetarier und Veganer. Aber ich glaube, die, die noch Fleisch essen, achten immer mehr darauf, wo das Fleisch herkommt. Weniger Großhandel und so.“

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Lennerts trägt inzwischen eine Art Kettenhemd mit Handschuh, als Schutz. Er löst die Schulter des Schweins aus. Das rosafarbene bis dunkelrote Fleisch wird sorgsam eingeschnitten, einiges beiseitegelegt, „Butterfleisch“, sagt er. Er deutet auf das eine Stück, „das hier ist gut für Gulasch“ – die andere Seite – „das hier für Wurst.“ Drei Jahre dauert Peppino Lennerts‘ Ausbildung insgesamt. Er hat noch einiges vor sich. Es sieht nicht so aus, als würde ihn das stören.

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