Hilfskonvoi aus OverathSo erlebt unser Reporter die Fahrt nach Rumänien

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Im Armenviertel von Sebes werden die Hilfsgüter dringend benötigt.

Overath/Sebeș – „Da ist aber Gummi geflogen“, tönt es aus dem Funkgerät. Die Fahrer treten in die Eisen. Kurz hinter Regensburg wäre die Fahrt für einen Lastzug des Overather Hilfskonvois ins rumänische Sebeș beinah jäh ausgebremst worden. In einer Baustelle war er von der Spur abgekommen.

Zehn Minuten später atmen allerdings alle auf: Bei der Reifenkontrolle in einem Gewerbegebiet zeigt sich, dass die Pneus keinen Kratzer abbekommen haben. Jetzt muss nur noch der komplette Lastzug-Konvoi auf engstem Raum drehen... Mir wird schon beim Wenden des Sprinter-Gespanns, das ich als Reporter im Wechsel mit Karin Fischer steuern darf, etwas mulmig. Aber es funktioniert, und schon bald heißt’s über Funk: „Auch die Neun ist wieder auf der Bahn.“

Mulmiges Gefühl bei Zollkontrolle an der Grenze

Hinter Passau müssen die Mautboxen für die Fahrt durch Österreich aufgeladen werden – in Deutschland sind die Hilfstransporter von der Abgabe befreit. Nachdem fürs Mittagessen auf einem Rastplatz Kartoffelsuppe auf dem Gaskocher aus dem Versorgungsfahrzeug im Schatten der Lkw aufgewärmt worden ist, rollt die Kolonne noch am Nachmittag über die Grenze nach Ungarn. Karin Fischer denkt daran, wie sie bei früheren Hilfskonvois in Ungarn auf Rastplätzen übernachtet haben. Norbert Kuhl ging damals mit ihrem Hund Rex Streife und hat tatsächlich eines Nachts Reifendiebe unter einem Lkw aufgescheucht – und vertrieben.

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Mit einer Menschenkette werden die mehreren Hundert Kartons mit Kleidung, Haushaltswaren und anderen Hilfsgütern abgeladen.

Diesmal geht’s spät am Abend in ein günstiges Hotel. Überraschung am Morgen: Auf dem Vorplatz ist während der Nacht ein Wochenmarkt aufgebaut worden. Nur mit Mühe gelingt es, die Lastzüge durch das Gewühl zu bugsieren. Als der Zoll an der rumänischen Grenze in sämtliche Fahrzeuge sehen will, wird’s mir als Neuling doch etwas mulmig. Aber: Alles Routine. Wir können passieren.

Für die Gäste in den Garten gezogen

Immer ärmlicher werden die Häuser am Straßenrand. Einige sind nur noch Ruinen. An einem Bahnübergang wartet ein Mädchen. In pinkfarbener Leggins. Auf den ersten Blick ist sie keine 18 Jahre alt. Sie wartet wohl kaum auf eine Freundin, die sie mitnimmt. Und sie ist nicht die einzige, die wir am weiteren Weg nach Sebeș sehen, wo der Konvoi am Nachmittag des zweiten Tour-Tages auf einen umzäunten Lkw-Parkplatz rollt.

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Eine Matratze auf Steinen, ein Ofen und fließendes Wasser nur drei Häuser weiter: Auch das ist Leben in Sebeș.

Ein blinder humpelnder und ein an die Kette gelegter weiterer Hund sollen die Lastwagen bewachen, so lange sie noch beladen sind. Pfarrer Victor Suteu begrüßt die Trucker, die er bei sich im Haus und bei Gemeindemitgliedern beherbergt. Feuerwehrmann Filip Avram zieht dafür in ein kleines Zelt im Garten, bringt Frau und Kinder bei der Verwandtschaft unter, damit die Helfer aus Deutschland in Schlaf- und Kinderzimmer übernachten können.

Fahrräder, Pflegebetten, Kleidung in Bananenkartons

Berufskraftfahrer Tobias „Ossi“ Draßdo ist gerührt: „Die geben alles“, sagt er. Am Abend gibt’s Gulasch über offenem Feuer, am Morgen im Hause des Pastors eine kalte Dusche. „Ich hatte mal eine Gasheizung“, sagt er, „aber jemand anderes brauchte sie dringender, da habe ich sie ausgebaut“, erklärt der 62-jährige Vater von fünf Kindern, der mit seiner verstorbenen ersten Frau unter seinem Dach bereits 28 Pflegekinder ein Zuhause gegeben hat.

Mit Möbeln aus Overath

Vom Haus der Ärmsten in die eigenen vier Wände

Petruza war gerade sechs Jahre alt, als ihre Mutter starb. Anderthalb Jahre später starb auch der Vater, standen Petruza und ihre vier Geschwister alleine da. „Sie hatten nicht mal mehr Geld für die Beerdigung und lebten hier“, sagt Pfarrer Victor Suteu und zeigt auf das Mehrfamilienhaus am Rande der Stadt.

Vor einer Reihe von Türöffnung hängen lediglich Planen, Ofenrohre führen durch grobe Durchbrüche ins Freie, es stinkt nach Abfall und Fäkalien. „Hier konnten sie nicht bleiben“, sagt Victor Suteu mit fester Stimme. Er hat sich der fünf Waisen damals angenommen, mit Unterstützung seiner Gemeinde übergangsweise eine Unterkunft für die Fünf gesucht und dann mit Hilfe der Humanitären Hilfe Overath angefangen, ein Haus für die drei Mädchen und zwei Jungen zu bauen.

Bis heute weiß er genau, welches Waschbecken, welches Möbelstück, ja sogar welche einzelne Fliese welcher Transport der Overather Hilfsorganisation mit nach Sebeș gebracht hat. Mittlerweile hat Paula (24), die Älteste der Geschwister selbst zwei Kinder.

Auch ihr Mann Alex lebt nun mit in dem kleinen Häuschen auf der Anhöhe, für das die Mitstreiter der Humanitären Hilfe Overath Küchenmöbel ebenso besorgten wie Badarmaturen. „Wer weiß, was aus uns sonst geworden wäre“, sagt Paula und schaut über die Veranda in den kleinen Garten – weit weg vom Armenhaus am anderen Ende der Stadt. (wg)

Einige von ihnen wohnen heute an der Schotterstraße, in der am nächsten Morgen die ersten Hilfsgüter abgeladen werden: Fahrräder, Pflegebetten und die ersten von gefühlt Zehntausend Bananenkartons, in denen die Humanitäre Hilfe die gespendete Kleidung ebenso wie Haushaltsgeräte verpackt.

„Ich kann da nicht einfach nur zugucken“

Astrid Vogel, die bis letztes Jahr die Overather Kneipe Dom-Hotel als Wirtin geführt hat und im Konvoi mit Simon Stachowiak den ersten Lastwagen fährt, gehört daheim zu dem Team der Humanitären Hilfe Overath, das bei Wohnungsauflösungen die Hilfsgüter verpackt. Sie packt an, wenn Hilfe gebraucht wird, ob am Steuer eines Lkw oder wie jüngst gemeinsam mit dem Motorradclub von Fahrerkollege Florian Eschbach beim Aufräumen in den linksrheinischen Flutgebieten. „Ich kann da nicht einfach nur zugucken“, sagt die resolute Overatherin.

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Und hepp: Sergey Gerliz (oben) und Kalle Thomae beim Abladen des ersten Lastzugs in Sebeș.

Beim Abladen an der großen Lagerhalle, in der Pfarrer Victor Suteu die Hilfsgüter für die Bedürftigen sortiert und dann ausgibt, sind einige Helfer zur Stelle. Victors Söhne David und Isaac sind auch dabei. Sie packen an und helfen beim Übersetzen. Sie können Deutsch, weil sie die deutsche Klasse in der Schule besuchen, für deren Erhalt sich ihr Vater eingesetzt hat, seitdem nach dem Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceaușescu 1989 viele Deutschstämmige nach Deutschland ausgewandert sind.

T-Shirts in der Nacht geklaut

Wir bilden eine Menschenkette, um die Kartons vom Lkw ins Lager zu befördern. „Danke“ – „Mulțumiri“ – „Bitte“ – „Cu plăcere“. Bei der Arbeit lassen sich gut ein paar Worte Rumänisch lernen. Und am Abend stimmen wir am Lagerfeuer sogar Lieder gemeinsam an. „Oh Tannenbaum“ bei noch knapp 25 Grad – aber das haben unsere eifrigen Helfer eben in der Schule gelernt. Etwas verlegen denke ich, dass ich vor der Tour nicht mal einen vollständigen Satz auf Rumänisch gelernt habe.

Der nächste Morgen bringt eine bittere Überraschung: Das gesamte Lager ist durchwühlt worden. Es fehlen zwar nur ein paar Kleidungsstücke, aber die nächtliche Aktion zeigt uns, wie wertvoll selbst ein einfaches T-Shirt hier ist. Auch im Armenviertel treffen wir am Nachmittag auf die Spuren früherer Hilfstransporte: Kinder, die in Trikots bergischer Sportvereine herumlaufen, Erwachsene, die T-Shirts mit dem Aufdruck eines Gladbacher Unternehmens tragen.

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Welche Perspektiven die Hilfe aus Overath in Sebeș eröffnen, wie der Bürgermeister die Hilfe aus Deutschland sieht und warum der Abschied doch einer mit gemischten Gefühlen ist, lesen Sie im dritten Teil der Reportage.

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