Sie gehören zusammenWie eine Rösrather Handballgruppe von jungen Menschen mit Handicap spielt

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Die Mannschaft der Handballgruppe für Kinder mit Handicap streckt die Hände in die Luft.

Die Mannschaft der Handballgruppe für Kinder mit Handicap.

In der Gruppe ist jeder, wie er ist – egal was er kann oder welche Einschränkung er hat. Deswegen sind die Mitglieder so ein gutes Team.

Es ist 16 Uhr, und in der Dreifachsporthalle am Schulzentrum Rösrath herrscht ein wuseliges Durcheinander von ganz besonderen Menschen. Die Handballgruppe der HSG Rösrath/Forsbach für Kinder und Jugendliche mit Handicap hat Training. An diesem Tag ist es auch ein besonders Training, denn die Gruppe bekommt eigene Trikots. Sie sind ein Symbol. Ein Symbol, dass das gute Dutzend zusammengehört, dass sie ein Team sind. Das ist wichtig.

Besonders ist schließlich auch, dass „Fremde“ dabei sind. Drei Vertreter des Lions Club Rösrath, der unter anderem die Trikots gespendet hat, und die Frau von der Zeitung. Die Vier werden sich am Ende völlig integriert fühlen.

Ein Junge versucht drei Hula-Hoop-Reien zu ballacieren.

Eine Trainigseinheit für mehr Körpergefühl.

Louis Rückennummer ist die 20. „Ich hab zwei mehr als du“, neckt sein Bruder Bela. Er trägt die 21 und wird freundlich auf seinen Irrtum hingewiesen. Mehr sei es trotzdem. Louis hat das Bedürfnis nachzulegen. Er moniert gespielt theatralisch bei seiner Mutter: „Warum hat der Bela so ne coole Hose...und ich so eine?“ Die beiden 15-jährigen messen sich in brüderlicher Konkurrenz. Ansonsten sieht man sie die folgenden eineinhalb Stunden selten getrennt. Sie sind Zwillinge. Ein Zwillingspaar von gleich Dreien in der Gruppe.

Begrüßung durch „Cheftrainer“ Christian Faust. Alle sitzen im Kreis, bis auf Emil. Emil ist acht, und er möchte lieber mittendrin sitzen. Doch er fügt sich. Faust erklärt das Aufwärmspiel. Jeder steckt sich ein Trikot in den Hosenbund und versucht, möglichst viele der anderen zu „erobern“. „Aber…“, sagt er, „es gibt eine wichtige Regel: das eigene darf nicht festgehalten werden.“ Ein paar scheinen sich ihrer guten Idee beraubt zu sehen, aber die Regel wird allgemein anerkannt.

Ein Junge sitzt bei der Trainerin auf dem Schoß, ein anderer hat sich in eine umgedrehte Box gesetzt.

Ein Moment der Pause.

Anpfiff. Die Verfolgungsjagd mit Kindern, Trainern und Gästen beginnt. Manche der Kinder sind flott unterwegs, manche können nur gehen, Louis und Bela haben doppelt so lange Beine wie die Kleinsten, und Elijah kann gar nicht laufen. Er ist das einzige Kind im Rollstuhl. Ein ungleiches Spiel? Nicht unbedingt.

Wieder im Kreis fragt der Trainer: „Wer hat ein Trikot?“ Einige zeigen auf. „Prima, ihr habt euer Trikot verteidigt!“, sagt er. Es geht weiter mit zwei, drei und so weiter. Elijah zeigt jedes Mal auf – und wird jedes Mal von seinen Anschiebern gebremst. Erst bei der Sechs stupsen sie ihn an. „Jetzt, jetzt aufzeigen, Elijah!“. Der Achtjährige wedelt fröhlich mit den Armen – er hat gewonnen. „Jeder findet hier seine Nische“, wird Christian Faust später sagen.

Aufmerksamkeitsspanne meist nicht so hoch

Die Kinder haben verschiedenste Einschränkungen, manche gleich mehrere. „Recht häufig kommt Autismus dazu“, sagt Linda Berger, die Mutter von Emil und gleichzeitig Trainerin. Sie ist Sonderpädagogin oder – wie ihr Trainerkollege und Ehemann Daniel sagt – „Besonderspädagogin“.

Bei den meisten sei die Aufmerksamkeitsspanne tendenziell gering, die Frustrationsgrenze manchmal niedrig. Linda Berger hatte die Idee, diese Gruppe zu gründen. „Ich habe einfach mal angefragt – und sofort eine Antwort bekommen“, erzählt sie.

Konzept in Rösrath ist niederschwellig und zwanglos

Verantwortlich dafür war Alexandros Tsotsonos, Jugendwart und stellvertretender Vereinsvorsitzender. Er arbeitet beim Deutschen Behindertensportverband und setzte die Idee in Rekordzeit um. „Das ist ja kein reines Handballtraining“, erklärt er das Konzept. „Es ist niederschwellig und zwanglos.“ Allein die große Halle verlange den Kindern ein hohes Maß an räumlicher Koordinierung ab. Dann schwärmt er eigentlich nur noch. „Es ist so schön zu sehen, wie sie sich über Dinge freuen, die für andere Kinder völlig selbstverständlich sind.“

Aufgebaut ist nun ein Parcours. Zwei Kästen und ein Slalom durch Reifen und Baustellenpylone. Klettern, Robben, Springen, Beine und Kopf sortieren und zusammenbringen. Die Jüngeren werfen danach mit Handbällen auf Pylone, die Älteren versuchen sich im Siebenmeterschießen aufs Tor.

Trainern macht Training mit behinderten Kindern Spaß

„Ich heiße Mian und habe die Nummer 13“, sagt der Jüngste der Gruppe ungefragt der Journalistin. „Eishockey finde ich auch cool.“ Der Siebenjährige ist pausenlos quer durch die Halle unterwegs und sucht Kontakt, auch mit Anschubsen. Emil ist das zu viel. Nach einem hilfesuchenden Blick zu seiner Mutter sagt er zu Mian: „Ich will das nicht“. Als der Erfolg nicht durchschlagend ist, ergänzt er listig: „Der Chris wartet auf dich.“ Der Trainer steht am entgegengesetzten Ende der Halle. Mian ist sichtlich im Interessenkonflikt. Er bleibt bei Emil, nimmt aber zwei Gänge raus.

„Ich hätte nie gedacht, dass mir das hier so einen Spaß macht“, sagt Christian Faust. Vieles sei spontan und unvorhersehbar – aber genau das mache es aus. Auf die Frage nach Veränderungen im Team sagt er: „Zu allererst in der Persönlichkeitsentwicklung.

Die Kinder bewegen sich frei, haben Vertrauen gefasst und trauen sich selbst viel mehr zu.“ Bei anfliegenden Bällen drehen sie den Kopf nicht mehr weg, den Sprung vom Kasten meistern sie mit Mut und sie lassen mehr Körperkontakt zu. Was es für die Kinder bedeutet, fasst Elijah so zusammen: „Hier zu sein und dabei zu sein“, sagt er. „Und dass es meine Mannschaft ist.“

In dieser Mannschaft ist Jolina das einzige Mädchen. Auf die Frage, wie das so sei, hat sie keine Antwort. Sie scheint sie gar nicht recht zu verstehen. Hier ist jeder wie er ist. Es spielt keine Rolle, was er kann oder nicht kann; auch nicht, ob er Junge oder Mädchen, groß oder klein, jünger oder älter ist. Nach dem Handball-Abschlussmatch dauert es, bis die Halle leer ist. Tschüss Emil. Tschüss Louis. Tschüss Chris. Tschüss Jolina. Der Abschied klingt ein bisschen wie bei der alten Fernsehserie „Die Waltons“. Wie eine große Familie, die zusammengehört und sich nur Gutes wünscht.


Offen für neue Mitglieder

Die HSG Rösrath/Forsbach ist ein Zusammenschluss für den gemeinsamen Handball-Spielbetrieb der Vereine SV Union Rösrath 1924 und Turnverein Forsbach 1914. Die Gruppe für Kinder und Jugendliche mit Handicap wurde 2023 gegründet und ist in der Region die einzige ihrer Art. Derzeit haben alle Kinder Behinderungen, doch ist die Gruppe grundsätzlich auf Inklusion ausgelegt und offen für alle, gleichgültig ob mit oder ohne Handicap, und auch mit welchem.

Begleitet werden die derzeit 13 Team-Mitglieder von fünf Trainerinnen und Trainern. Bis zu 20 Kinder wären mit diesem Trainerstab betreubar. Interessenten sind herzlich willkommen, sollten sich aber vorankündigen für den Besuch des Trainings. Dieses findet jeden Freitag von 16 – 17.30 Uhr in der Dreifachturnhalle am Schulzentrum Rösrath statt. (kgr)

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