Neukunden? Nein, dankeEnergieversorger schotten sich ab – Ein Überblick

Lesezeit 3 Minuten
Strom- und Gaspreise sorgen bei Versorgungsunternehmen im Kreis für Probleme und einen Stop im Neukundengeschäft.

Strom- und Gaspreise sorgen bei Versorgungsunternehmen im Kreis für Probleme und einen Stop im Neukundengeschäft.

Rhein-Berg – „Aktuell ist der Energiemarkt in einer sehr turbulenten Lage. Aus diesem Grund bieten wir derzeit keine langfristigen Verträge, zum Beispiel mit Preisversprechen für Neukunden an.“ So, oder so ähnlich, heißt es bei den Versorgungsunternehmen der Region. Die Unternehmen haben das Neukundengeschäft komplett eingestellt. Eine Situation wie sie es seit der Liberalisierung des Energiemarktes 1998 noch nie gab.

Die Rösrather Stadtwerke waren die Letzten, die zumindest für Rösrather Bürger günstige Angebote offenhielten. Damit ist es auch vorbei. Wilfried Müller, Kaufmännischer Geschäftsführer bei den Rösrather Stadtwerken: „Wir sind von der Nachfrage überrollt worden und auch wir müssen das Neukunden-Geschäft komplett schließen, um eine Schieflage des eigenen Unternehmens zu vermeiden.“

Quittung für die Schnäppchen-Sucher?

Belkaw, Aggerenergie, Overather O-Saft oder Rösrather Stadtwerke – sie alle kämpfen mit einer Entwicklung, die jahrelang für vollkommen undenkbar gehalten wurde. Auf breiter Front und ohne Ausnahme schießen die Preise für Gas und Strom durch die Decke. Tausende von Kunden sind in Rhein-Berg von Insolvenzen, beziehungsweise Lieferstopps, der Billiganbieter betroffen, deren Geschäftsmodell es war, nicht langfristig, sondern kurzfristig auf dem Energiemarkt einzukaufen. Weniger trifft es die Anbieter von Ökostrom oder Ökogas, die ohnehin in dem Hochpreissegment unterwegs waren, aber dafür besonders zertifizierte Produkte anbieten – dort gibt es ebenfalls langfristige Lieferverträge.

Umstrittene Liberalisierung

1998 wurde per Gesetz der Energiemarkt liberalisiert. Kunden sollten unter mehreren Angeboten bei Strom und Gas frei auswählen dürfen. Damit sollte in einem Markt, der bis dahin nur von wenigen Anbietern beherrscht wurde, für mehr Preistransparenz gesorgt werden. Es dauerte allerdings sehr lange, insbesondere beim Gas, bis tatsächlich Kunden wechseln konnten. Die neuen Anbieter versorgen sich kurzfristig an den ebenfalls neu geschaffenen Energiebörsen. Die derzeitigen Turbulenzen stellen nach Meinungen von Experten das gesamte Konstrukt der Liberalisierung in Frage. (nie)

Wer von den Billiganbietern in die Grundversorgung zurückfällt, für den wird es richtig teuer. Der Preis kann sich schnell vervierfachen. Zahlte eine Familie im vergangenen Jahr für Strom und Gas bei Billiganbietern pro Monat günstige 180 Euro, springt die Belastung jetzt schnell auf das Doppelte – oder noch mehr. Bestandskunden der Grundversorger können sich bestätigt sehen. Jetzt bekommen die Schnäppchen-Sucher eben die Quittung.

Wechsel zum günstigeren Anbieter nicht möglich

Aber ganz so einfach ist das nicht. Keiner der Grundversorger ist darauf eingestellt, mit einem Schlag die nun geforderte höhere Verbrauchsmenge zu liefern, ohne teuer auf dem Energiemarkt nachzukaufen. Deshalb der augenblickliche Stopp beim Neukundengeschäft. Welchen Preis kann man anbieten, um aus gestrandeten Verbrauchern langfristige Kunden zu machen? Wilfried Müller von den Stadtwerken Rösrath mag im Augenblick darauf keine Antwort geben. „Die ganze Branche ist verunsichert und rechnet.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Derzeit gehen die Anbieter etwa für die Region Rhein-Berg laut dem Vergleichsportal Check24 mit ganz unterschiedlichen Zahlen an den Start. In Bergisch Gladbach zahlt danach eine Familie im Gas-Grundtarif mit 15.000 Kilowatt Jahresverbrauch 222 Euro im Monat. Für die gleiche Menge Gas wird in Overath 185 Euro berechnet. Aber ein Wechsel zum günstigeren Anbieter in der Nachbargemeinde ist derzeit nicht möglich. Wechsel sind allenfalls zu noch teureren Anbietern möglich. Der freie Energiemarkt, so wie ihn die Energierechtsnovelle 1998 plante, hat aufgehört zu existieren.

Sollten die Preise dauerhaft so hoch bleiben, dann wird es bald alle Kunden treffen. Dann wären die Steigerungen beim Grundtarif zum Jahreswechsel 2021/22 sozusagen nur die Ouvertüre für eine generelle, massive Verteuerung. Festlegen will sich im Augenblick niemand.

KStA abonnieren