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Der Tag danachWas das Ergebnis der Europawahl im Rheinisch-Bergischen Kreis ändert

Lesezeit 5 Minuten
Farbtuben, aus denen Farbe läuft, liegen nebeneinander.

Entscheidend ist, was hinten rauskommt: Nicht nur den Wahlanalysten der Parteien hat die Europawahl manche Überraschung beschert. Manche Partei wird neu planen müssen.

Was die Europawahl für die Politik vor Ort bedeutet, wie neue Parteien durchstarteten und sogar die FDP gewann.

Aufstehen, Staub abklopfen und weiter geht’s? Am Tag nach der Europawahl zeigt sich für viele, was trotz hoher Wahlbeteiligung nicht mehr geht, wie sich die politische Landschaft verändert hat und dass es selbst für die Partei, die am stärksten abgeschnitten hat, nicht mehr zu allem reicht.

Einige Schlaglichter der politischen Analyse:

Für Schwarz-Grün allein in Rhein-Berg würde es nicht mehr reichen: Nicht nur für die Bergisch-Düsseldorfer Europa-Kandidatin der CDU, Miriam Viehmann, hat’s in der Wahlnacht nicht fürs Europaparlament gereicht. Auch die bei der Kommunalwahl 2020 noch mit sicherer Mehrheit fortgesetzte schwarz-grüne Mehrheit im Kreistag hätte bei der Kommunalwahl 2025 keine Mehrheit mehr (49,2 Prozent) – wenn das Ergebnis so wie bei der Europawahl am Sonntag ausfiel. „Am Sonntag war ja aber auch nicht Kommunalwahl“, wirft CDU-Kreisgeschäftsführer Lennart Höring ein und gibt zu bedenken: „Eine Koalition ist ja immer eine Partnerschaft auf Zeit.“

„Es könnte auch auf eine Dreier-Konstellation hinauslaufen“, sagt Kreistagsfraktionschef Uwe Pakendorf. Noch in der Nacht hatte CDU-Kreisparteichef und Bundestagsabgeordneter Dr. Hermann-Josef Tebroke nicht nur die hohe Wahlbeteiligung (69,48 Prozent) in Rhein-Berg gelobt, sondern sich auch erleichtert gezeigt, dass die AfD im Kreis weniger Zustimmung bekommen hatte als anderswo.

Grün-Rot will in Bergisch Gladbach weiter zusammenarbeiten: Wer die Vertreter des Grün-Roten Bündnisses in Bergisch Gladbach auf die Zukunft dieses Bündnisses ansprach, der bekam die schon fast trotzige Antwort: „Wir wollen die Reformpolitik fortsetzen und deshalb zusammen bleiben, wenn es irgendwie geht.“ Nach der Europawahl, mit den schlechten Ergebnisses für Sozialdemokraten und Grüne, hat sich an diesem Stimmungsbild wenig bis gar nichts geändert. 18,4 Prozent der Stimmen konnten die Grünen erreichen, SPD wählten 15,6 Prozent. Wäre dies das Ergebnis der Kommunalwahl, dann gäbe es nicht den Hauch einer Chance, dass Grün-Rot eine Mehrheit im Bergisch Gladbacher Stadtrat organisieren könnte.

Theresia Meinhardt, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, sieht dennoch keine Alternative für Grün-Rot in Bergisch Gladbach. „Ich schaue mir die Inhalte an und sehe, dass es für uns Grüne keine vernünftige Basis für eine Zusammenarbeit mit der CDU auf lokaler Ebene gibt. Ich sehe jedenfalls keine.“ Klaus Waldschmidt, der SPD-Fraktionsvorsitzende, bläst ins gleiche Horn. „Die Ergebnisse dieser Europawahl können nicht auf die Kommunalwahl im nächsten Jahr übertragen werden. Wenn es geht, wollen wir mit den Grünen weiter in Bergisch Gladbach die Stadt gestalten.“

Waldschmidt verweist auf die vielen kleineren Parteien, die sicher bei der Kommunalwahl nicht antreten werden. Waldschmidt weiter: „Und ich hoffe darauf, dass der Wähler honoriert, dass Grün-Rot einen riesigen Reformstau in der Stadt langsam aber sicher auflöst.“

In Kürten-Weiden, macht die AfD 17,6 Prozent

AfD auf dem Land stark: Eine für manche Demokraten besorgniserregende Überraschung des Wahltags: Sehr stark hat bei den Wählern, die am Sonntag in Kürten ihre Stimme abgegeben haben, die AfD abgeschnitten, in neun der 16 Wahlbezirke sogar als zweitstärkste Partei hinter der CDU (ohne Briefwahl).

Im Wahlkreis 10, Kürten-Weiden, machten am Sonntag 17,6 Prozent der Wählenden ihr Kreuz bei der in Teilen rechtsextremistischen Partei; Weiden ist der Wohnort des einzigen Gemeinderatmitglieds der AfD, dies könnte eine Rolle gespielt haben. Und: In Kürten-Mitte, Wahlkreis 40, fuhr die Rechtsaußenpartei mit 18,5 Prozent eines der höchsten Wahlergebnisse überhaupt im Kreis ein. Gerade in Kürten-Mitte wird derzeit heftig über neue Geflüchtetenprojekte diskutiert, drei große Standorte in Ortsnähe mit knapp 180 neuen Plätzen sind fertiggestellt beziehungsweise im Entstehen. Auch in Eichhof, Offermannsheide und Dürscheid kam die AfD auf Platz zwei bei den am Sonntag abgegebenen Stimmen.

Zum Vergleich: In Bergisch Gladbach erreichte die AfD trotz sehr starker Präsenz in der Fußgängerzone ihr schlechtestes Ergebnis im Kreisgebiet: 8,55 Prozent.

FDP hat in Europa bessere Chancen

FDP zählt zu den Gewinnern: Auch wenn das bundesweit ganz anders aussieht – in Rhein-Berg und in Bezug auf die Europawahl war die FDP am Sonntag ein Gewinner, 0,1 Prozentpunkte mehr als bei der Europawahl 2019 holten die Liberalen diesmal mit 8,0 Prozent – wie üblich, deutlich über dem Bundesergebnis (5,0 Prozent, minus 0,2 Prozentpunkte). Das Europawahlergebnis der Liberalen lag am Sonntag in Rhein-Berg auch über dem hiesigen FDP-Ergebnis bei der vergangenen Landtagswahl 2022 (7,1 Prozent) und Kreistagswahl 2020 (6,5 Prozent). FDP-Kreisvorsitzende Dorothee Wasmuth führt das auch auf gleich zwei Kandidaten, Willy Bartz aus Bergisch Gladbach und Annika Vogel aus Wermelskirchen zurück, die sehr rührig unterwegs gewesen seien.

Freie Wähler spielen kaum eine Rolle: Die Freien Wähler spielten bei der Europawahl mit 1,2 Prozent selbst in Kürten keine Rolle. Dabei ist die Wählervereinigung ansonsten hier lokal stark, erreichte bei der letzten Kommunalwahl mehr als 15 Prozent der Stimmen.

Volt arbeitet sich hoch: Auch bei den vergangenen Wahlen und insbesondere bei der ihnen besonders verbundenen Europawahl haben sich die Aktiven der als erster nationaler Ableger der 2017 gegründeten Vereinigung Volt Europa gegründeten Partei mit Positionen, Kandidaten und nicht zuletzt mit auffallendem Plakatwahlkampf ins Zeug gelegt. Mit 3,6 Prozent, die sie am Sonntag bei der Europawahl erzielten, liegen sie nicht nur vor den Freien Wählern (0,8 Prozent), sondern auch vor der Linken (1,6 Prozent). Besonders stark war Volt in Rösrath (5 Prozent), Leichlingen (4,9 Prozent) und Bergisch Gladbach (3,8 Prozent).

Bündnis Sahra Wagenknecht: Aus dem Stand heraus hat es die erst im Januar 2024 um die vormalige Linken-Politikern Sahra Wagenknecht gegründete Partei auf die erste Stelle nach der FDP geschafft. Mit 3,9 Prozent der Stimmen holten sie größere Stimmanteile als die Linke bei der vergangenen Europawahl 2019 in Rhein-Berg (3,4 Prozent). Nun ist die Partei „Die Linke“ im rheinisch-bergischen Kreisgebiet unterdessen noch weiter abgesackt: auf 1,6 Prozent.