Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

GroßfamilieWarum eine Brühlerin vor 73 Jahren ein Staatsoberhaupt als Patenonkel bekam

Lesezeit 4 Minuten

Sibylle Fitzek (unten, 2.v.r) mit ihren Geschwistern und Eltern. Sie war das siebte Kind der Familie.

Sibylle Fitzek (73) war das siebte Kind ihrer Eltern. Bundespräsident Theodor Heuss übernahm die Patenschaft. Die Urkunde hält sie in Ehren.

„Dass du diese Urkunde noch hast, ist ja richtig toll“, staunt Mona (12). Und ihre neunjährige Schwester Mila sagt: „Oma, ich freue mich total für dich.“ Vorsichtig nehmen die beiden Mädchen das Dokument ihrer Großmutter Elisabeth Sibylle Fitzek (geborene Müller) in die Hände.

Das Papier ist ein wenig vergilbt, doch für sein Alter noch gut erhalten. „Ich habe immer gut darauf geachtet“, sagt Sibylle Fitzek (73). Denn die Urkunde belegt, dass der damalige Bundespräsident Theodor Heuss ihr Patenonkel war.

Bundespräsident Heuss nahm Gepflogenheit zur Ehrenpatenschaft wieder auf

„Bundespräsident Heuss entschloss sich im Herbst 1949 unmittelbar nach seiner Wahl, die alte Gepflogenheit der Übernahme der Ehrenpatenschaft durch das Staatsoberhaupt wieder aufzunehmen“, erklärt dazu der Sprecher des Bundespräsidialamts, Tobias Scheufele.

Leider sei nicht dokumentiert, wann Heuss die erste Ehrenpatenschaft übernommen hat und die wievielte Patenschaft die von Sibylle Müller war. Zwischen Herbst 1949 und dem 31. Dezember 2022 waren es rund 82.600 Ehrenpatenschaften, die von den bisherigen Bundespräsidenten übernommen wurden.

Brühlerin ist darauf, dass der Bundespräsident ihr Patenonkel war

Dass eine solche Ehrenpatenschaft etwas ganz Besonderes ist, wusste Sibylle Fitzek schon, als sie noch ein kleines Mädchen war. „Ich habe einen Patenonkel, der ist der Bundespräsident von Deutschland“, habe sie ihren Freundinnen voller Stolz einmal erzählt. „Das stimmt ja gar nicht“, hätten die geantwortet.

Doch Sibylle hatte Beweise. Und noch heute hat sie die fast ehrfurchtsvollen Blicke ihrer Freundinnen vor Augen, als sie ihnen das Dokument zeigte. Darauf steht: „Urkunde. Hiermit übernehme ich die Ehrenpatenschaft für Sibylle Elisabeth Müller, geboren am 29. September 1950 als 7. Kind der Eheleute Kurt Müller und Elisabeth, geborene Troschinskiy. Bonn, am 15. November 1950. Der Präsident der Bundesrepublik Deutschland.“ Unterschrieben von Theodor Heuss.

Brühlerin erinnert sich an das Patengeschenk von 500 D-Mark

„Ich bin sehr stolz auf diese Ehrenpatenschaft“, sagt Sibylle Fitzek. Von ihrer Mutter weiß sie, dass damit ein Geschenk von 500 D-Mark verbunden war. „Das Geld war damals ein Segen für unsere Familie“, berichtet die 73-Jährige. „Wir waren damals wirklich arm.“

1949 flüchteten ihre Eltern mit ihren sechs Kindern aus Ostpreußen in den Westen. Wohnungen seien überall knapp gewesen. So kam die Familie zunächst in eine Notunterkunft nach Wipperfürth. Als Molkereifachmann fand ihr Vater schnell Arbeit. Damit war auch die Voraussetzung dafür geschaffen, eine Wohnung zu bekommen.

Ein junges Mädchen und ihre Oma zeigen die gut erhaltene Urkunde über die Ehrenpatenschaft.

Sibylle Fitzek mit ihrer Enkeltochter Mila. Die Neunjährige ist beeindruckt von der Urkunde über die Ehrenpatenschaft.

„Es war eine kleine Zweizimmerwohnung“, erzählt Sibylle Fitzek. Dort in der Küche sei sie im September 1950 in diese wunderbare Großfamilie hineingeboren worden. „Das war das Beste, was mir hätte passieren können“, sagt sie. Sie sei stolz, Teil dieser Familie zu sein, die immer zusammenhalte.

Sibylle Fitzek beschreibt ihre Mutter als „klug, fleißig und kreativ“. Aus der heruntergekommenen Wohnung habe sie ein warmes, behagliches Heim geschaffen. „Es war zwar eng, aber uns fehlte es an nichts“, erinnert sich Sibylle Fitzek. Ihre Mutter habe ihr und ihren Geschwistern stets das Gefühl vermittelt, dass sie stolz auf jedes einzelne ihrer Kinder sei.

Mitarbeiterin der Stadt half, den Antrag auszufüllen

Außer der Hebamme habe sich auch eine Frau von der Stadt um die Mutter gekümmert. Die habe erzählt, dass der Bundespräsident die Ehrenpatenschaft des siebten Kindes übernehme, den Antrag mit ihrer Mutter ausgefüllt und abgeschickt.

In der Zweizimmerwohnung sei auch ihr jüngerer Bruder auf die Welt gekommen. „Ich weiß noch, dass wir alle vor der Schlafzimmertür auf unser neues Geschwisterchen gewartet haben“, erzählt sie. Wenige Jahre später konnte die Familie in Wipperfürth bei einem Siedlungsbauprojekt mitmachen und bald in ihr eigenes kleines Haus ziehen.

Dort hat Sibylle Fitzek ihren berühmten Patenonkel das erste Mal gesehen. Zwar nicht persönlich, aber immerhin in der Tagesschau im neuen Schwarz-Weiß-Fernseher ihrer Eltern.

Mit Begebenheiten aus ihrem Leben und Erinnerungen an ihre Familie könnte die 73-Jährige Bücher füllen. Sie wisse den Wohlstand, in dem sie lebe, zu schätzen, sagt Sibylle Fitzek. „Wir durften alle auf die höhere Schule.“ Nach dem Abitur hat sie auf Lehramt studiert und dabei ihren Mann kennengelernt, mit dem sie vor mehr als 50 Jahren nach Brühl gezogen ist.