Vom Verlust der HeimatAutorin erinnert an Kindheit nahe dem Braunkohletagebau

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Maria Linke ist in Erftstadt herangewachsen. Die Villeseen kennt sie noch als Tagebaue. Die riesigen Bagger seien ihr wie Urzeitmonster vorgekommen.

Maria Linke ist in Erftstadt herangewachsen. Die Villeseen kennt sie noch als Tagebaue. Die riesigen Bagger seien ihr wie Urzeitmonster vorgekommen.

Erftstadt-Lechenich – Das Dorf Anrath gibt es nicht. Jedenfalls nicht auf der Landkarte. Und doch hat Maria Linke dem Örtchen ein literarisches Denkmal gesetzt. In Anrath spielt ihr Roman „Himmel und Erde“.

Maria Linke ist der Künstlername der Lechenicherin Theda Krohm-Linke. Sie ist selbstständige Übersetzerin, überträgt Bücher aus dem Englischen, Französischen und Italienischen. Sie hat aber auch schon mehrere Romane geschrieben, bei Ullstein und Blanvalet veröffentlicht. Allerdings: „Das ist das erste Buch mit einer ernsten Thematik.“

Heftige Umweltbelastungen

Eigentlich wollte sie von einer Kindheit in den 50er- und 60er-Jahren erzählen – Krohm-Linke ist 1955 geboren. Weite Strecken des Buches sind denn auch aus kindlicher Sicht geschrieben. Die Autorin trifft den richtigen Ton, folgt mit der Sprache dem Erwachsenwerden der – anfangs noch kleinen – Ich-Erzählerin. Wer in ähnlichem Alter ist, wird das Buch höchstwahrscheinlich mit Vergnügen lesen. Oder es immer wieder aus der Hand legen, um eigenen Erinnerungen nachzuhängen, die es weckt und bestätigt. Jüngere Leser dürfen staunen: „So war das damals?“

Krohm-Linke ist in Erftstadt herangewachsen, erst in Köttingen, dann in Liblar. Die Villeseen kennt sie noch als Tagebaue. Sie erinnert sich an einen Ausflug mit dem Vater – die riesigen Bagger seien ihr wie Urzeitmonster vorgekommen. Die Umweltbelastungen seien damals heftig gewesen, Wäsche, die zum Trocknen draußen gehangen habe, sei schwarz geworden, die Fenster seien immer schmutzig gewesen. Doch andererseits habe der Bergbau Wohlstand gebracht. Und ihr Vater beispielsweise habe mehr die faszinierende Technik gesehen als das erschreckend große Loch in der Landschaft.

Leseprobe

„Außer mir war keiner auf der Hauptstraße. Es fuhr auch kein Auto durch den Ort. Ein bisschen kam ich mir vor wie in Zwölf Uhr mittags. Es fehlte nur noch, dass mir die Steppenläufer vor die Füße flogen. Allerdings nieselte es – eher kein Wetter für amerikanische Western. Die Häuser an der Straße waren teilweise verrammelt, die Fenster und Türen mit Brettern vernagelt. In den einst so gepflegten Vorgärten wucherte das Unkraut. Geborstene Mauern und bröckelnde Simse zeugten vom Verfall. Zwischendurch immer wieder ein leeres Grundstück. Nach welchem Prinzip hier die Häuser abgerissen wurden, erschloss sich mir nicht ganz. Es kam mir ein bisschen planlos vor.“

(aus „Himmel und Erde“)

Erst beim Schreiben sei ihr klar geworden, dass die Geschichte der Kindheit hinführe zur Frage nach dem Verlust von Heimat. Wie ist es, wenn ein Dorf verschwindet, sich die Landschaft verändert, wenn nichts mehr aussieht, wie es war?

Ihre Protagonistin erfährt durch den Brief einer Freundin, dass Anrath abgebaggert wird. Sie reist aus Bayern, wo sie längst lebt, in die alte Heimat, sieht den Verfall der verlassenen Häuser, gerät zwischen die Fronten von Gegnern und Befürwortern der Umsiedlung. Und trifft – schließlich ist es ja ein Roman – ihre Jugendliebe wieder.

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Die Idee zu dem Buch habe sie lange mit sich herumgetragen, erzählt die Autorin. Ein Jahr habe sie dann dran gearbeitet. Und jetzt sitzt sie schon wieder an einem neuen Band, der dem Motiv der versinkenden Dörfer treu bleibt: Es spielt in Wollseifen. Die Bewohner mussten den Ort in der Eifel 1946 innerhalb von drei Wochen räumen, weil die Briten das Gelände als Truppenübungsplatz nutzen wollten.

Der Roman „Himmel und Erde“ von Maria Linke, ist bei Piper erschienen, er kostet 15 Euro. ISBN 978-3-491-06152-0

www.theda-krohm-linke.de

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