Bis zu drei Monate PauseMöwen legen Großbaustelle in Frechen lahm – Gerüchte um Amazon-Aus

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Das Foto zeigt eine Möwe, die über dem Abbruchgelände kreist.

Naturschützer schätzen die Zahl aller Möwen auf dem Abbruchgelände auf 60 bis 100 Brutpaare.

Erst wenn alle Küken flügge sind, gehen die Arbeiten weiter voran. Tierschützer begrüßen die Entscheidung. Was bedeutet das für das Amazon-Zentrum?

Die Geschichte erinnert an das biblische Gleichnis von David und Goliath – an die Kunst, Übermächtige zu bezwingen: Flauschige grau-weiße Küken stoppen laute Bagger und Schwertransporte, und das inmitten von Geröllbergen und Schutthaufen. Und doch ist das Geschehen im Frechener Gewerbegebiet an der Europaallee wesentlich friedlicher abgelaufen als die Sage um den kleinen Hirtenjungen und den riesigen Kämpfer.

Der Hintergrund: Auf dem rund elf Hektar großen Gelände des ehemaligen Kaufhof-Zentrallagers nistet seit mehr als 50 Jahren eine große Kolonie von Sturm-, Herings- und Mantelmöwen – ehemals angelockt durch eine Kaffeerösterei und ihre Abfallprodukte. Aktuell schätzen Naturschützer die Zahl aller Möwen auf dem Gelände auf 60 bis 100 Brutpaare.

Auf den Lagerhallen in Frechen fanden die Vögel ideale Brutbedingungen

Lange Zeit wurde die Anzahl der Heringsmöwen sogar als größte Binnenlandkolonie in ganz Deutschland gewertet. Auf den Flachdachkonstruktionen der Kaufhof-Lagerhallen fanden die Vögel ideale Brutbedingungen. Aber nur bis zu diesem Frühjahr, denn die neue Eigentümerin des Geländes, die Firma Logicor, hat Anfang des Jahres mit den Abbrucharbeiten begonnen – immer in enger Zusammenarbeit mit einer ökologischen Bauleitplanung zum Schutz der Möwen.

Naturschützer und Baufachleute gingen davon aus, dass die Vögel auf andere Dächer in der Nachbarschaft ausweichen oder die eigens errichteten Ausweichplätze auf dem Gelände annehmen würden. Doch die Möwen sind extrem standorttreu und begannen, in den Schuttbergen zu brüten oder flogen – auch zur Sorge der Anwohnern – orientierungslos über   das Gelände. Mit Fachleuten gab es in der zweiten Maiwoche eine Begehung, rund 50 brütende Möwenpaare wurden entdeckt.

Maschinen und Arbeiter wurden freiwillig abgezogen

Die Konsequenz: Die Bauarbeiten wurden freiwillig gestoppt – Maschinen und Arbeiter abgezogen. Die Möwen können jetzt ungestört ihre Küken großziehen. Auf zwei bis drei Monate wird die nötige Baupause geschätzt, solange, bis alle Küken flügge geworden sind. „Im Rahmen eines Kontrolltermins der ökologischen Baubegleitung wurden Möwennester festgestellt. Daraufhin ist auf Empfehlung des ökologischen Fachgutachterbüros die Entscheidung getroffen worden, dass die Bautätigkeit mit sofortiger Wirkung eingestellt wird“, bestätigt die Kreisverwaltung.

Auf dem Foto ist eine Möwe zu sehen. Sie kreist über dem ehemaligen Kaufhof-Lager, von dem nur noch Reste zu sehen sind.

Vom ehemaligen Kaufhof-Lager sind nur noch Reste zu sehen.

Reinhard Radloff vom Nabu Rhein-Erft begrüßt den Baustopp, der Verein begleitete das Verfahren: „Er wurde freiwillig vom Bauherrn erlassen, so etwas ist vertrauensbildend. Der Abbruch war rechtzeitig vor der Brutzeit, aber mit dem Abräumen und Abtransportieren war man zu spät dran. Die Ausweichquartiere wurden nicht wie von Fachleuten gedacht angenommen. Die Möwen wollen einfach ihre alten Dächer wieder haben. Frage ist nun, wie wird es nächstes Jahr? Die Firma, die sich dort ansiedelt, müsste sich wieder den Möwen anpassen.“

Mit einer Stellungnahme zu den möglichen Konsequenzen für die geplante Ansiedlung eines Sortierzentrums von Amazon hält sich die Frechener Stadtverwaltung zurück: „Zu dem Baustopp an der Bonnstraße gibt es von uns keine Statements“, heißt es aus dem Rathaus. „Die Möwenkolonie auf dem Gelände ist Angelegenheit der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) beim Rhein-Erft- Kreis. Das Verfahren ist von der UNB mit Nabu und Eigentümer abgestimmt worden, wir werden dabei lediglich in Kenntnis gesetzt.“

Schon länger gibt es in Frechen das Gerücht, dass Amazon sich von seinen Plänen zurückgezogen habe. Das Unternehmen selbst gibt zurzeit keine verbindliche Auskunft: „Wir prüfen kontinuierlich neue Standorte und wägen eine Vielzahl von Faktoren ab, wenn wir entscheiden, wo wir Standorte entwickeln, um die Kunden am besten zu bedienen“, teilte ein Amazon-Sprecher bereits im Vorfeld mit.

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