Interview zum StrukturwandelWas Kerpen und Elsdorf von der Lausitz lernen können

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Die Landtagsabgeordneten Antje Grothus (Nordrhein-Westfalen) und Ricarda Budke (Brandenburg).

Auf Einladung von Antje Grothus (links) hat Ricarda Budke das Rheinische Revier besucht.

Strukturwandel gibt es sowohl im Rhein-Erft als auch im Osten. Die Brandenburger Landtagsabgeordnete Ricarda Budke kennt die Unterschiede.

Kohleausstieg und Strukturwandel sind keine Besonderheit des Rheinlands. Auch im Osten Deutschlands gibt es Braunkohle, Tagebaue – und Zukunftspläne. Ricarda Budke (Grüne) ist mit 25 Jahren die jüngste Abgeordnete des Brandenburger Landtags. Aktuell besucht sie das Rheinische Revier. Mit Marco Führer hat sie über den Strukturwandel gesprochen.

Frau Budke, Lausitz und Rheinisches Revier haben viele Gemeinsamkeiten, aber nicht alles ist vergleichbar. Wie unterscheiden sich beide Gebiete voneinander?

Ricarda Budke: Im Rheinischen Revier leben Millionen Menschen auf engstem Raum. Brandenburg ist viel dünner besiedelt und auch flächenmäßig deutlich größer. Dazu kommt, dass unsere Geschichte eine ganz andere ist. Anfang der 1990er gab es mit der Wende einen großen Strukturbruch. Es sind zehntausende Arbeitsplätze verloren gegangen. Ein Drittel der Menschen sind weggezogen, vor allem Frauen und die Jüngeren. Noch heute wirkt das nach. Die Menschen bei uns haben große Angst vor Veränderungen. Außerdem sind wir ein länderübergreifendes Revier, das Teile von Brandenburg, Sachsen und auch Polen umfasst.

Was läuft in der Lausitz beim Strukturwandel gut?

Budke: In Sachen Erneuerbare Energien stehen wir in Brandenburg sehr gut da. Das ist inzwischen ein echter Standortfaktor. Wir haben flexible Gesetze geschaffen, von denen der Ausbau profitiert hat. Und wir haben früh Flächen für Windkraft ausgewiesen. Im Cottbusser Bahnwerk entstehen 1200 Arbeitsplätze. Das sind Industriearbeitsplätze, die im Strukturwandel dringend gebraucht werden. Unser Kraftwerksbetreiber, die Leag, arbeitet in Ausbildungsfragen schon heute mit der Bahn zusammen. Auch die Kultur in der Lausitz profitiert vom Strukturwandel, zum Beispiel das Theater in Senftenberg. Uns gelingt es, Kultur und unsere Bergbaugeschichte zu verknüpfen. Das alte Zechenhaus in Brieske etwa wird zum Archiv des Landkreises Oberspreewald-Lausitz.

Und was läuft schlecht?

Budke: In Brandenburg gibt es bisher noch keinen Beschluss, früher aus der Kohle auszusteigen. Unser Ausstiegsdatum liegt immer noch im Jahr 2038. Außerdem kommt in den ländlichen Regionen noch zu wenig Geld an. Dabei wird das Geld dort dringend gebraucht. Der Mittelstand und kleine Unternehmen haben wenig Fördermöglichkeiten. Hinzu kommt: Uns fehlen Fachkräfte, Nachwuchs und auch Ärztinnen und Ärzte. Mit Fördermitteln finanzieren wir zum Beispiel eine staatliche medizinische Ausbildung. Bisher sind in Brandenburg nur private Anbieter für die medizinische Ausbildung verantwortlich.

Was kann das Rheinische Revier von der Lausitz lernen?

Budke: Brandenburg hat früh erkannt: Erneuerbare Energien locken Unternehmen an. Gleichzeitig haben wir aber auch die Bürger profitieren lassen. Wenn ein Betreiber Windkraftanlagen oder Freiflächen-Photovoltaik bauen will, muss er die Kommune finanziell beteiligen. Ich habe von Antje Grothus erfahren, dass im Rahmen des Gigawatt-Pakts die Kommunen beim Ausbau der Erneuerbaren unterstützt werden und ein Bürgerenergiegesetz verabschiedet wurde. Das erhöht die Akzeptanz. Immer wieder müssen Tagebauseen gesperrt werden, weil es zu Rutschungen kommt. Zum Beispiel der Helensee bei Frankfurt (Oder) oder der Senftenberger See, der Anfang der 1970er-Jahre entstand. Gerade im Hinblick auf die Pläne für den Tagebau Hambach sollten sich das Kommunen wie Kerpen und Elsdorf genau anschauen.

Nehmen Sie aus dem Revier denn auch etwas für die Lausitz mit?

Budke: Natürlich. Es gibt vieles, das im Rheinischen Revier besser läuft. Hier gibt es einen festen Konsens in der Gesellschaft, 2030 aus der Kohle auszusteigen. Das gibt Sicherheit und schafft Klarheit für den Strukturwandel. Und ich bin begeistert davon, dass man von Kerpen aus im 20-Minuten-Takt nach Köln fahren kann. In manchen Regionen der Lausitz kann man mit dem ÖPNV kaum den nächsten Ort erreichen.

Sie setzen sich dafür ein, dass Frauen und ihre Interessen beim Strukturwandel eine größere Rolle spielen. Wie kann der Strukturwandel profitieren?

Budke: Der Strukturwandel wird oft männlich konnotiert nur an Industriearbeitsplätzen ausgerichtet. Dabei muss es doch um einen ganzheitlichen Wandel Richtung Zukunft in der Region gehen. Am Beispiel des ÖPNV: Frauen nutzen ihn wesentlich öfter als Männer und setzen sich dementsprechend mehr für ihn ein. Am Ende könnten so alle Menschen von einer besser ausgebauten Infrastruktur profitieren.

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