Dormagen – Das Schweigen der Ringerinnen wirkt gespenstisch. Sechs junge Frauen sind damit beschäftigt, sich gegenseitig auf den Hallenboden zu werfen, sich in den Schwitzkasten zu nehmen oder der anderen die Beine wegzuziehen. Dabei wird kein Wort geredet, keine Scherze, keine wortreichen Herausforderungen.
Die athletischen, schlanken Frauen trainieren beim Dormagener Verein AC Ückerath, einige gehen auf das Sportgymnasium Knechtsteden. Sie sind Leistungssportlerinnen einer Randsportart, für sie ist es der größte Traum, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Sie verzichten auf einiges, um diesem Traum so nahe wie möglich zu kommen. „Mit Ringen verdient man kein Geld“, sagt Denise Schultheiß. Sie macht eine Ausbildung und weiß schon jetzt, dass sie irgendwann zwischen der Arbeit und dem Ringen wird wählen müssen.
Es ist gut möglich, dass ihr die Entscheidung bald abgenommen wird. Im September wird das Internationale Olympische Komitee (IOC) endgültig darüber befinden, ob Ringen als olympische Disziplin gestrichen und eine andere in den olympischen Kanon aufgenommen wird. Statt für die Traditionssportart Ringen könnte es demnächst Goldmedaillen für Golf geben.
Die Sorge um die Zukunft ihrer Sportart lassen sich die Frauen kaum anmerken. „Wir sind beim Training meistens sehr konzentriert“, sagt Laura Mertens. Diese konzentrierte Entschlossenheit zeigt sie auch im Gespräch. Sie wirkt beherrscht. Mertens gehört zu den großen Hoffnungsträgerinnen beim AC Ückerath. Sie hat bereits mehrere Deutsche Meisterschaften und internationale Turniere gewonnen. Sie gehört zum Deutschen Kader für die Europameisterschaft. Für die junge Frau wäre Olympia ein realistisches Ziel. „2020 hätte ich genau das richtige Alter für die olympischen Spiele“, sagt die 19-Jährige. „Jetzt“, sagt die junge Frau, „ist ein Traum zerbrochen.“ Sie stammt aus einer Ringerfamilie, ihr Vater und ihr Taufpate sind in der Bundesliga angetreten. „Als kleines Kind hat mich meine Mama auf dem Arm in die Ringerhalle getragen.“ Mit sechs Jahren begann sie ihrem Vater nachzueifern. Mertens hat dem Ziel, eine ausgezeichnete Ringerin zu werden, ihr Leben untergeordnet. Eigentlich kommt sie aus der Nähe von Aachen, ist aber für ihren Sport nach Dormagen gezogen. Seit Jahren geht sie in ein Internat, weil sie am Bundesstützpunkt Dormagen ideale Trainingsbedingungen vorfindet.
Wie Schach und Boxen
Auch einige Teamkolleginnen hätten auf eine Olympiateilnahme hoffen können. Die Frauen entsprechen überhaupt nicht dem Klischee einer Ringerin. Sie sehen aus wie ganz normale Schülerinnen, die man sich eher mit Freundinnen im Fitnessstudio oder beim Tennis vorstellen kann, als auf der Ringermatte. Sie wirken sehr jung, wenn sie kichern oder im Zornesausbruch ihren Sport verteidigen.
Sie sind empört über die Überlegung des IOC, Ringen aus dem Programm der Spiele zu nehmen, weil es nicht so viele Zuschauer anzieht und wenig fernsehtauglich ist. „Ringen ist doch Kult!“, bricht es aus Schultheiß heraus. Laura Mertens zitiert die Olympische Hymne, in der drei Sportarten benannt werden: Laufen, Weitwurf und Ringen. „Ringen ist ein Teil des olympischen Geistes!“ Bereits in der Antike war Ringen eine Disziplin der olympischen Spiele. Allerdings, gibt Mertens zu, ist Ringen eine Herausforderung für den Zuschauer. „Das Regelwerk ist sehr komplex“, sagt sie.
Je nachdem, wie gut der Moderator sei, können Übertragungen im Fernsehen eine Qual sein. Die Ringerinnen und ihr Trainer vergleichen Ringen gleichzeitig mit Schach und Boxen. Es geht eben nicht darum, wild auf den Gegner loszustürmen, sondern ruhig und mit Bedacht auf die richtige Gelegenheit warten zu können. Diese Synthese aus Kopf und Kraft ist nur schwer für den Laien im Fernsehen aufzubereiten. Die Spannung im langwierigen Stellungskampf muss kompetent vermittelt werden.
Heinz Schmitz sieht durchaus Versäumnisse bei den Ringerverbänden. Schmitz trainiert die Ringerinnen. Er hat einen festen Händedruck und eine Statur, wie man sie von einem Ringer erwarten würde: kompakt. Er spricht Klartext: „Der Verband ist traditionsbewusst aber verschnarcht.“ Lange sei nichts getan worden, um den Sport für ein größeres Publikum zu öffnen. Man hätte seiner Meinung nach schon lange über eine professionelle Vermarktung des Sports nachdenken können. „Wenigstens will man nun etwas tun.“ Imagekampagnen sind geplant und laufen zum Teil auch schon. Dabei sei es gar nicht schwer, das Image des Sports zu verbessern. Er schwärmt von der Stimmung bei den Deutschen Meisterschaften am ersten Märzwochenende. „Bei so großen Turnieren ist mehr los, als im Fußballstadion. Es sind nur hierzulande nicht so viele Zuschauer.“ Von der Deutschen Meisterschaft haben die Ringerinnen T-Shirts mitgebracht. Darauf steht „Save Olympic Wrestling“. Sie erinnern darin an Gleichaltrige an Greenpeace-Ständen. Als ginge es um eine vom Aussterben bedrohte Tierart.