Interview zur Traumatherapie„Krisen haben enormes Trigger-Potenzial"

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Symbolbild Traumatherapie

Oftmals versuchen die von Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen Betroffenen,  ihr Leid zu verbergen. Doch es gibt Therapiemöglichkeiten.

Wesseling – Große gesellschaftliche Entwicklungen wie die Corona-Pandemie und bedrohliche weltpolitische Situationen wie der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine haben Einfluss auf unsere Psyche und unser Gefühlsleben. Gerade Menschen, die bereits zuvor in ihrer psychischen Gesundheit beeinträchtigt waren, könnten unter Umständen aufgrund der Pandemie eine Verschärfung ihrer Symptome erleben. Dr. Susanne Altmeyer ist Chefärztin der Traumaklinik und der Tagesklinik im Gezeiten Haus Schloss Eichholz in Wesseling und erklärt, wie traumatisierte Menschen durch die Pandemie oder den Krieg in der Ukraine beeinflusst werden könnten. Die Fragen stellte Anica Tischler.

Wiedererleben von Gewalt verschlimmert die Situation

Frau Dr. Altmeyer, wie, würden Sie sagen, fühlen sich Traumapatienten von gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in ihren Gefühlslagen beeinflusst? Beeinflussen Krisen wie die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine, wie sie die Welt wahrnehmen?

Dr. Susanne Altmeyer

Susanne Altmeyer ist Chefärztin der Trauma- und der Tagesklinik.

Dr. Susanne Altmeyer: Menschen, die in der Psychotraumatologie behandelt werden, leiden in der Regel unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer depressiven oder Angsterkrankungen. Gesellschaftliche Kontexte wie die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die mit Ansteckungsgefahr und Isolationsszenarien verbunden sind, führen häufig dazu, dass Einsamkeits- und Isolationsgefühle verstärkt werden und die Symptome der Erkrankung sich verschlimmern. Näher rückende Kriegsereignisse wie der Krieg in der Ukraine können bei Menschen, die Gewalt oder Kriegserfahrungen gemacht haben, ein enormes Trigger-Potenzial entfalten. Auch in diesem Fall kommt es zu einer Verschlimmerung der Symptome, da das Wiedererleben von Gewalt oder Kriegssituationen Symptome erneut auslösen oder eben verstärken kann.

Traumatisierung ist von seelische Verletzung

Es gibt vermehrt Berichte und Studien darüber, wie die Corona-Pandemie unsere Psyche beeinflusst. Würden Sie sagen, Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, sind daher besonders sensibel für die Probleme und Herausforderungen der Pandemie?

Die Corona-Pandemie zu erleben ist bei vielen Menschen mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins verbunden. Das sind Gefühle, die Menschen, die traumatischen Erfahrungen ausgesetzt waren, gut bekannt sind und die sich unter den Bedingungen einer Pandemie noch verstärken können. Man würde in diesem Fall nicht von einer Retraumatisierung sprechen, das ist ein Wort, das in diesem Zusammenhang manchmal falsch gebraucht wird. Das trifft eher auf Menschen zu, die beispielsweise den Zweiten Weltkrieg erfahren haben und jetzt durch die Bilder des Ukraine-Krieges getriggert werden und eine Retraumatisierung erleben könnten.

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Dass traumatisierende Ereignisse zu einer besonderen Widerstandskraft gegenüber schwierigen gesellschaftlichen Entwicklungen führen, ist in der Regel nicht der Fall. In dem Moment, wenn von Traumatisierung gesprochen wird, geht man von einer seelischen Verletzung aus, die eher anfälliger für andere Traumatisierungen macht. Menschen, die katastrophale Erlebnisse ohne Traumatisierung erlebt oder überlebt haben, können allerdings eine besondere Kraft daraus gewinnen.

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