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24-Stunden-WanderungWarum Annika Plänker aus Windeck Mammutmärsche auf sich nimmt

5 min
Annika Plänker aus Windeck macht extreme Weitwanderungen

Vor dem Start und nach dem Lauf.

Annika Plänker aus Windeck macht extreme Wanderungen. Hier vor dem Start mit ihrer Tochet. 

Obwohl die Windeckerin sich vorbereitet, erreicht sie beim Marsch von Köln nach Leverkusen einen massiven Tiefpunkt. Doch sie kann weiterlaufen.

Fast hätte Annika Plänker dann doch aufgegeben. Auf dem 100-Kilometer-Megamarsch von Köln nach Leverkusen kommt der Punkt, als Taschenlampe und Handy den Geist aufgeben – und die Powerbanks den Dienst versagen, weil die Ladebuchsen feucht geworden sind. Sie kann niemanden anrufen, hat keine Nummer im Kopf. „Das war ein ganz mieses Gefühl, es fing an zu regnen, ich musste eine Pause machen und habe eine Wandergruppe angesprochen.“ Nach Mitternacht spielt sie alle Möglichkeiten durch: Taxi bestellen, aufgeben und ins Hotel gehen oder am nächsten Versorgungspunkt warten, bis es hell wird.

Die Windeckerin hat es am Ende doch geschafft – aber warum nimmt man diese Strapazen der langen Strecken innerhalb von 24 Stunden auf sich? „Es gibt Bewusstsein und Sicherheit“, sagt Annika Plänker. Vor zwölf Jahren begleitete die Windeckerin ihren Vater viereinhalb Monate auf dem Jakobsweg von Windeck nach Santiago de Compostela in Spanien. Dann entdeckte sie die Leidenschaft für Mega- und Mammutmärschen, wo der Sieg über sich selbst im Vordergrund steht.

39-jährige Windeckerin startet mit „Endgegner“-Wanderung

„Ich bin dankbar über das Verständnis, das ich dabei über mich und meinen Körper erfahren habe“, erzählt sie. Bei solchen Extrem-Wanderungen werden Strecken von 35, 50 oder 100 Kilometern Länge in 24 Stunden am Stück zu Fuß zurückgelegt.

Als die 39-Jährige im Juli zum ersten Mal die 100 Kilometer wagt, weiß sie noch nicht, dass dieser Marsch in Fachkreisen als „Endgegner“ bezeichnet wird, mit dem normalerweise niemand anfängt. Zwar ist sie nicht unerfahren, doch nach der Familiengründung war erstmal keine Zeit mehr zum Wandern. Zeitlich komprimiert auf Wanderschaft zu gehen, ist für die Mutter von drei Kindern dagegen machbar.

Mit ihren Brüdern Florian und Julian startet sie beim 24-Stunden- Mammutmarsch NRW. Vom Gruga-Park in Essen geht es durchs Bergische Land nach Wuppertal und zurück. „Die Familie begleitete uns mit Bagagewagen, Camper mit WC und allem, was man brauchen könnte, Versorgungsstationen gab es nur alle 20 Kilometer.“

Die drei Geschwister machten sich zum Mammut-Lauf auf die Socken.

Die drei Geschwister machten sich zum Mammut-Lauf auf die Socken.

Ihr Mann verteilt unterwegs Wasser und andere Mitbringsel, was bei den Teilnehmern gut ankommt. Seine Frau zählt ab Kilometer 30 die Stunden bis zum nächsten Treffpunkt. „Man merkt, was der Marsch mit dem Körper macht, ich war wie sturzbetrunken, ich konnte nicht mehr antworten.“

Ich war wie sturzbetrunken, ich konnte nicht mehr antworten.
Annika Plänker, Mammutmarsch-Teilnehmerin

Sie ruht sich eine halbe Stunde aus, dann ist die Schwäche verflogen. Als wäre nie etwas gewesen, gehen die Geschwister durch die Nacht bis Kilometer 70. Mit großen Blasen an den Füßen beschließen sie, auf die Zeit zu pfeifen, nur mit Hetze wären die 24 Stunden zu schaffen. Vor dem Einlauf ins Ziel, wo jubelnde Zuschauer warten, nehmen sie Haltung an und beschwören sich selbst: „Ich krieche jetzt nicht!“

Aber viel fehlt dazu im Ziel offenbar nicht mehr. „Das Leben wird aus einem rausgezogen, ich dachte, ich falle um. Bei meinen Brüdern war es exakt das Gleiche, wir haben das Letzte gegeben, wir sind im Schneckentempo zum Auto gegangen. Ich dachte, ich werde nie wieder laufen können.“ Drei Tage später ist die Anstrengung vergessen: „Ich bin beeindruckt, wie man sich danach aus dem Sumpf zieht.“

Also meldet sie sich für den Megamarsch in Köln an, vom Fühlinger See bis nach Leverkusen. Aber diesmal ist sie auf sich selbst gestellt, wird allein durch die Nacht laufen, hat Angst vor Wildschweinen. Was, wenn sie nichts mehr sieht, mal muss? Sie fragt sich, warum sie sich das antut und dafür auch noch Geld bezahlt, und beschließt, aus ihrem Marsch einen Spendenlauf für das Frauenhaus in Sankt Augustin zu machen.

Handy und Powerbanks machen schlapp, es ist dunkel, sie ist allein

Jetzt muss sie selbst tragen, was sie braucht. Die ersten Kilometer läuft es super, Kilometer 30 ist ihr Angstgegner, weil sie dort das letzte Mal schlappgemacht hatte. Sie beugt vor, isst und trinkt gut. Ohne Bagagewagen, wo sie alle sieben Kilometer eine Pause eingelegt hatte, ist sie schneller, die erste Pause folgt diesmal nach 25 Kilometern.

Bei Kilometer 50 lächelte Annika Plänker noch.

Bei Kilometer 50 lächelte Annika Plänker noch.

Und dann zeigt das Handy nur noch 13 Prozent Akkuladung. Die Taschenlampe hat den Geist aufgegeben und die Powerbanks sind feucht. Sie schaltet das Handy aus, um zumindest alle zehn Kilometer ein Foto für den Spendenlauf posten zu können. „Ich war 65 Kilometer gelaufen, das geht an die Grundsubstanz.“ Sie quält sich weiter, es geht ein Wolkenbruch nieder, ihr ist eiskalt. „Die Matsche war fünf Zentimeter hoch, ich hatte keine Kraft mehr, Kopf und Körper machten nicht mehr mit.“

Wenn sie die nächsten 20 Schritte schafft, will sie weitergehen

Im Zeitlupentempo versucht sie, warme Sachen über die nassen anzuziehen „Es war wie in einem schlechten Film. Ich lag mit dem Kopf auf den Armen dort, ich wollte aufstehen, es ging nicht. Ich hatte den schlimmsten Tiefpunkt aller Zeiten.“ Schließlich rappelt sie sich hoch und schafft es zum Sanitätszelt. „Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil die sich um Idioten wie mich kümmern müssen.“

Gegen 4 Uhr verkündet die Leidgeprüfte, sie glaube, sie könne aufstehen. Die Handynummer ihres Mannes notiert sie für den Notfall auf dem Arm und nimmt sich vor: Wenn sie die nächsten 20 Schritte schafft, will sie weitergehen.

„Sobald die 70er-Marke geknackt war, fühlte es sich nicht mehr weit an“, schildert sie. „Der Kopf ist es, der den Körper ausschaltet.“ Mit „Zombies“ läuft sie durch die Nacht, keiner spricht ein Wort. Am Müngersdorfer Stadion wird es heller, die Powerbank funktioniert mit einem Mal wieder, ihr Mann schreibt, es sehe aus, als könne sie es in 24 Stunden schaffen.

Annika Plänker aus Windeck macht extreme Weitwanderungen

Vor dem Start und nach dem Lauf.

Annika Plänker hat den Mega Marsch geschafft und sinkt auf den Boden – Ihre Tochter in den Armen.

„Ich lief los wie eine wilde Wutz“, erzählt sie lachend. „Die letzten Kilometer nahm ich richtig Fahrt auf. 800 Meter vor dem Ziel empfing mich meine Familie. Ich hatte es in 23 Stunden geschafft, obwohl ich zwei Stunden völlig ausgeknockt gewesen war.“

Auf ihrer eigenen Anforderungsleiter ist Annika Plänker damit um fünf Stufen gestiegen. Und: Fürs Frauenhaus hat sie 830 Euro erlaufen.