Millionen von SaatkörnernIn Hennef entsteht ein Tiziangemälde aus Blüten und Hülsen

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Auf dem Boden entsteht das Kunstwerk. 

Hennef – „Felix!“ Mit sich hebender Stimme mahnen die Frauen den Eindringling: „Nicht hier durchlaufen!“ Pfarrer Hans-Josef Lahr schnappt sich den Kater und verhindert eine tierische Freveltat an Tizians „Herabkunft des Heiligen Geistes“. Das aus dem 16. Jahrhundert stammende Gemälde wird derzeit in der Hennefer Pfarrkirche St. Simon und Judas nachgebildet – mit Millionen von Saatkörnern, Blütenblättern und Hülsenfrüchten. Katzenpfoten können hier verheerend sein.

Ein paar Kirchenbänke müssen noch weichen für das Werk. Wie in den vergangenen Jahren breitet ein Team aus erfahrenen und neuen Kräften vor dem Altarraum einen imposanten Ernteteppich aus. Mit 33 Quadratmetern wird er am Ende größer sein als Tizians Original. „Und unsere Farben sind leuchtender“, sagt Pfarrer Lahr.

Bis Ende November ist das imposante Kunstwerk im Kirchenraum zu sehen

Der Geistliche hatte, als er seinen Sommerurlaub in Norditalien verbrachte, eigens die Kirche Santa Maria della Salute in Venedig besucht, wo das Original einen Hochaltar schmückt. „Es müsste saniert werden“, urteilt Lahr.

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„Unsere Farben werden leuchtender“, sagt Pfarrer Hans-Josef Lahr, der sich das Original-Gemälde in Venedig angeschaut hat.

Während das Gemälde aus der italienischen Renaissance schon 477 Jahre überdauert hat, sind die Tage der Hennefer Nachbildung von vorneherein gezählt. Bis Ende November liegt sie auf dem Kirchenboden, und bis zum Erntedankfest am 2. Oktober muss sie fertig sein.

Zweimal in der Woche treffen sich Helferinnen und Helfer. „Sieben bis zehn sind es immer“, berichtet der Pfarrer und schätzt, dass insgesamt rund 300 Stunden Zeit investiert werden.

Besichtigung mit Erläuterung

Führungen zum Erntedankteppich in der katholischen Kirche St. Simon und Judas, Hennef, Karol-Wojtyla-Platz 1, werden an allen Sonntagen  im Oktober, 15 Uhr,  mit Kaffee  und Kuchen angeboten.

Mit der Auswahl von Tizians „Herabkunft des Heiligen Geistes“ stelle sich die Gruppe einer besonderen Herausforderung: „Der Künstler hat viel mit Schattierungen gearbeitet.“ Will heißen: Es ist nicht damit getan, mit schwarzem Rapssamen konturierte Flächen einfach zu füllen. Nuanciertes Streuen und Wischen, fein gemahlenes Material und nützliche Werkzeuge wie winzige Löffelchen und Pinzette sind vonnöten.

Ernteteppich in Hennef: Bis zu drei Stunden dauert das Legen eines Gesichtes

Viel Fingerspitzengefühl und Sorgfalt erforderten schon immer die Gesichter. Hier ist es wichtig, den richtigen Ausdruck hinzubekommen. „Wir haben ein Ehepaar, das nur Gesichter macht“, berichtet Lydia Jacobs aus dem Team. Bis zu drei Stunden werde schon mal an einem Antlitz gearbeitet.

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Mit großer Sorgfalt und viel Fingerspitzengefühl sind Lisa Klinkhammer (links) und Sigrid Borgmann am Erntedankteppich zugange.

Diesmal waren außerdem kreative Ideen beim „Malen“ der Lichtstrahlen gefragt, mit denen sich der Heilige Geist ankündigt. Sie sollen sowohl gleißend als auch transparent wirken. Mit Mehl, das sie zwischen Styroporleisten auf den dunklen Hintergrund aus Kleesamen siebten, erzielten Tizians Erben den gewünschten Effekt.

Hennefer Kirche: In der Sakristei stapeln sich über 100 Dosen mit Samen und Blüten

Die Sammlung von Blüten und Körnern ist im Laufe der Jahre immer weiter gewachsen. In der Sakristei stapeln sich zurzeit weit mehr als 100 Dosen. Vor dem Abbau der 15 großen Platten, auf denen sich die Fotovorlage für den Ernteteppich befindet, wird das Material jedes Mal sorgsam aufgelesen oder aufgesaugt und sortiert in den Behältnissen gelagert.

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Mitunter ändern sich mit der Zeit die Farben, und bisweilen sind Neukreationen nötig. Tee und Mohn sind gut für Schatten. Für ein frisches Hellblau zerkleinert Lydia Jacobs in einer elektrischen Mühle Kornblumenblüten und vermischt sie mit Kokosflocken.

Nur noch drei Wochen bis Erntedank, wird das Bild rechtzeitig fertig sein? „Ja, auf jeden Fall“, zeigt sich Jacobs mit strahlender Miene optimistisch, „und wenn wir Überstunden machen“ – und Kater Felix kein Unheil anrichtet.

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