Ghetto von WilnaEine begehbare Installation zeigt die Kindheit von Tamar Dreifuss

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Max Gießen interviewte Tamar Dreifuss, die live zugeschaltet war und eindrucksvoll von den Erlebnissen ihrer Flucht erzählte. 

Hennef – Sieben Räume umschließen einen Innenhof, graue Farben beherrschen die Mauern. Kleine Schilder an den Eingängen geben Aufschluss: Bunker, Zimmer in Wilna, Tante Janina, Viehwaggon, Lager, Bauernhof, Wiedersehen. Im Inneren ist die Ausstattung sehr reduziert. Hier ein paar Bilder, dort ein Kleiderbügel mit einer roten Schleife. Noch ist nicht alles fertig, die begehbare Skulptur des Ghettos von Wilna um 1943 entsteht erst in der Gymnastikhalle der Sporthalle. Das Projekt heißt „Work in Progress“ und zeichnet die Geschichte von Tamar Dreifuss nach, einer engagierten Zeitzeugin, die schon mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Giesberts-Lewin-Preis ausgezeichnet worden ist.

Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus wird an der Gesamtschule Meiersheide ernst genommen. Jedes Jahr wird der Gedenktag am 27. Januar begangen. Einige Jahre kam Dreifuss dafür zu Besuch und erzählte dem Jahrgang 5 ihre dramatische Lebensgeschichte, ihre Erlebnisse im Ghetto, ihre Flucht aus einem Lager und die glückliche Rettung. Die Kinder umstanden sie nach ihrem Vortrag, schenkten ihr Bilder und wollten Autogramme von ihr.

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Die begehbare Skulptur des Wilnaer Ghettos besteht aus sieben Räumen und lässt sich auseinanderbauen. 

Doch die 87-Jährige wohnt jetzt in Bad Aibling bei München, kann nicht mehr mal eben nach Hennef reisen. Ihre lebendigen Erinnerungen aber erreichen die Schülerinnen und Schüler weit mehr als der normale Unterricht.

Ein Projektteam suchte nach Lösungen aus diesem Dilemma. Antje Timmer, Marcus Bank, Sophia Hose, Hubertus Luke, Barbara Dreymann und Christiane Liedtke, Lehrer und Sonderpädagogen entwickelte gemeinsam mit Dreifuss die Idee der begehbaren Skulptur, die sie gerade erschaffen und künstlerisch gestalten, etwa mit festgeschraubten Stiefeln auf dem Boden des Viehwaggons. In einem Audio-Guide wird die Zeitzeugin in ihrer eindrucksvollen Art berichten.

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In Raum 1, im „Zimmer in der Wohnung der Familie in Wilna“, hängen Bilder von Tamars Eltern sowie eines mit ihrem Cousin Samuel Bak.

Für die Tonaufnahmen wird Max Gießen im August nach Bad Aibling fahren. Der Schüler der Klasse 7 E hat den Vortrag damals live gehört, jetzt wird er in Form eines Interviews mit der beeindruckenden Seniorin die Geschichte in kleinen Informationshappen präsentieren, etwa von der Flucht aus dem Lager, als Tamars Mutter einfach mit der Kleinen im roten Kleid und in stolzer Haltung aus dem Lager schritt. Eine Kostprobe gaben die beiden bei einer Live-Schaltung, in der Dreifuss nach Fragen von Max auf einem großen Bildschirm zu sehen war und, sichtlich bewegt, von den Stationen ihrer Rettung erzählte.

Ausgangspunkt der Installation ist ein Bild des jüdischen Künstlers Samuel Bak, eines Cousins von Tamar Dreifuss. Ein Foto zeigt die beiden noch vor dem Beginn des Grauens in Wilna. Das Werk zeigt eine abgeschlossene Einheit mit zugemauerten Fenstern, das Leiden der Bewohner ist zu ahnen.

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Das haben die Beteiligten in eine dreidimensionale Skulptur verwandelt, Techniklehrer Luke wurde von den beiden Schülern Florian Trost und Marvin Limbach unterstützt. Schulleiterin Diane Wiebecke begrüßte sie bei der Präsentation besonders.

Lehrer Eberhard Schulz aus München war zugeschaltet, vom Hansa-Gymnasium aus Köln reisten Micky Merz und Norbert Grimme an, sie sind Freunde von Tamar Dreifuss.

Die Bauten sind so angelegt, dass sie zusammengepackt und im Kreisarchiv eingelagert werden können. Dort kann die Skulptur auch ausgeliehen werden. Wie nötig das ist, zeigen die vielen Anschläge der jüngsten Vergangenheit. „Der Antisemitismus ruht nicht, wir müssen ihn bekämpfen“, rief Dreifuss zum Engagement auf. 

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