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„Studierneigung viel zu hoch“Kreishandwerkerschaft Rhein-Sieg klagt über Jugendliche

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Ausbildungsbild_Symbol

Die Hotelbranche sucht ebenfalls Auszubildende. Das können auch Studienabbrecher sein. 

Rhein-Sieg-Kreis/Bonn – „Wir haben einen ganz klaren Bewerbermangel“, sagt Jürgen Hindenberg, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Sieg, zum Ausbildungsmarkt in der Region. Stefan Krause, Vorsitzender der Geschäftsführung bei der Agentur für Arbeit in Bonn, geht sogar noch einen Schritt weiter: „Wir haben seit langem einen abnehmenden Trend.“ Gründe sind laut den Verantwortlichen nicht nur die Pandemie, sondern auch, dass die Jugendlichen lieber studieren.

Krause berichtet, dass die zahlreichen neuen Gesamtschulen mit Oberstufen in den vergangenen Jahren den Wunsch zu studieren noch verstärkt hätten. Hindenberg gibt Zahlen dazu: „52,6 Prozent der Schulabgänger in Bonn haben eine Hochschulqualifikation.“ Auf das ganze Land NRW gesehen sind es mit 43,4 Prozent deutlich weniger. „Ich sehe die Hoffnung nicht, dem entgegenzuwirken“, sagt der IHK-Geschäftsführer.

Bonn und auch der Kreis seien starke Studienstandorte, die einen hohen Fachkräftebedarf hätten. Für die Experten bedeutet das: Sie müssen mehr Werbung machen – für das duale System der Ausbildung ebenso wie für die Unterstützungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit für die Azubis. Hindenberg betont noch einen weiteren Punkt: „Wir müssen mehr Fokus auf Studienaussteiger legen.“

Denn mehr Studierende bedeute auch mehr Aussteiger – und das seien potenzielle Auszubildende. Das gelte besonders für die Berufsgruppen Hotel und Gastronomie sowie für die Tourismus- und Veranstaltungsbranche.

„Im Handwerk krisensichere Berufe“

Am kritischsten sieht die Kreishandwerkerschaft Bonn/Rhein-Sieg und ihr Geschäftsführer Oliver Krämer den Hochschultrend: „Die Studierneigung der Jugendlichen in unserer Region ist viel zu hoch. Es muss viel mehr in den Fokus, dass es im Handwerk krisensichere und auskömmliche Berufe gibt.“

Dabei müsse zum einen dafür gesorgt werden, dass es in Zukunft noch ausreichend Betriebe gebe, die ausbildeten. Zum anderen fordere der demografische Wandel auch Betriebsnachfolgen. In den nächsten fünf Jahren gebe es in der Region 125.000 Betriebe, die einen Nachfolger suchten. „Man kann auch im Handwerk sehr erfolgreich sein“, appelliert er an die Jugendlichen.

Dabei ist die Situation auf dem Ausbildungsmarkt für die Bewerber zumindest rechnerisch so günstig wie selten zuvor, denn es gibt laut Agentur für Arbeit derzeit mehr offene Stellen (2425) als unversorgte Bewerber (2139). Insgesamt gab es zur Halbzeit des laufenden Berichtsjahres bisher 3467 gemeldete Stellen.

Weniger Bewerber als offene Ausbildungsplätze

Vor der Pandemie, im März 2020, waren es noch 4061. Bewerber sind der Arbeitsagentur aktuell 3368 gemeldet. Im März 2020 waren es noch 3960. Zur gleichen Jahreszeit waren es 2017 allerdings 4776. Das unterstreicht den von Stefan Krämer angesprochenen Negativtrend und untermauert, dass nicht nur die Pandemie Schuld an den zurückgehenden Bewerberinnen und Bewerbern trägt.

Die Wege aus der Krise sind für die Verantwortlichen die Intensivierung von Orientierungs- und Erprobungsmöglichkeiten nach der Pandemie. Krämer hofft auf einen Nachholeffekt und appelliert an Schüler und Eltern: „Nutzen Sie die Zeit, um mit Praktika Erfahrungen zu sammeln.“

Jürgen Hindenberg spricht von 30 Prozent weniger Ausbildungsverträgen im Handel und Industrie zwischen 2019 (764) und 2022 (532). Er möchte auch den geflüchteten Jugendlichen aus der Ukraine Angebote für eine Ausbildung machen. Die IHK habe zum 1. April eine Beraterin aus der Ukrainerin mit Migrationshintergrund angestellt, die fließend ukrainisch und russisch spreche.

Krämer sagt jedoch auch: „Es ist richtig und wichtig, diesen Jugendlichen ein Angebot zu machen, aber die Möglichkeit ist groß, dass die jungen Menschen später in ihr Heimatland zurückkehren.“