Als 15-Jähriger flüchtete er vor dem KriegDie Geschichte von Deserteur Walter Ullrich

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Die Kirche und die Unfallverhütung: Der Sicherheitsingenieur Walter Ullrich sprach auch im Franziskanerkloster und hatte Briefkontakt zum Papst.

Die Kirche und die Unfallverhütung: Der Sicherheitsingenieur Walter Ullrich sprach auch im Franziskanerkloster und hatte Briefkontakt zum Papst.

  • Anlässlich seines 90. Geburtstags blickt Walter Ullrich zurück auf sein Leben.
  • Mit 15 Jahren wurde der Lohmarer für den Zweiten Weltkrieg eingezogen. Doch er tauchte im Wald unter.
  • Wie er nach dem Weltkrieg als Sicherheitsingenieur Karriere machte und um die Welt reiste.

Lohmar – Früher galt als hochbetagt, wer 90 wurde, heute ist das nichts Außergewöhnliches mehr. Doch diejenigen Männer, die in diesen Wochen und Monaten ihr neuntes Lebensjahrzehnt vollenden, wurden kurz vor Kriegsende noch eingezogen – als 15-Jährige.

Walter Ullrich erhielt seinen Stellungsbefehl am 27. März 1945. Der Junge tauchte unter und wurde als Deserteur gesucht, was, wenn er gefasst worden wäre, den sicheren Tod bedeutet hätte. Anlässlich seines 90. Geburtstags im Februar blickt der Lohmarer zurück.

„Meine Cousinen brachten mir Essen in den Wald“, erzählt Ullrich von den letzten Kriegstagen. Er hörte in seinem Versteck schwere Artillerie – für ihn ein Hinweis, dass der Zweite Weltkrieg bald vorbei sein musste. Das war in Langenfeld, wo er mit seiner Mutter bei der Tante untergekommen war.

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Seinen Vater sah er nach dem Krieg nie wieder

Walter Ullrich hat seine ersten Jahre in seiner Geburtsstadt Amsterdam verbracht, wo sein Vater bei der Mitropa, die Schlaf- und Speisewagen der Reichsbahn betreute, arbeitete. Er erlebte dort die zunehmenden Repressalien gegen die jüdischen Nachbarn, die deutsche Familie musste mit Kriegsbeginn 1939 „heim ins Reich“, kam zunächst nach Köln, floh vor dem Bombardierungen. Der Vater wurde Soldat, der Sohn sah ihn nie wieder: „Er gilt seit 2001 amtlich als verschollen.“ Nach unglücklichen Schuljahren – als „Drecksholländer“ verhöhnt von den deutschen Mitschülern – begann Ullrich als 14-Jähriger eine Lehre als Blechschlosser.

Der Lohmarer Walter Ullrich blickt an seinem 90. Geburtstag zurück: Kurz vor Kriegsende sollte er eingezogen werden.

Der Lohmarer Walter Ullrich blickt an seinem 90. Geburtstag zurück: Kurz vor Kriegsende sollte er eingezogen werden.

Der Einsteig bei Ford 1953 als Planungstechniker erwies sich als Glücksfall, der ehrgeizige junge Mann stieg zum Sicherheitsingenieur auf, zum national und international gefragten Pionier für Arbeitssicherheit, „und das ohne Abitur“. Seit 1967 ist er Bürger der Stadt Lohmar, mit seiner Frau Elisabeth feierte er im vergangenen Jahr diamantene Hochzeit, das Paar hat drei Kinder und acht Enkelkinder.

Walter Ullrich hatte Briefkontakt zu Ministern und dem Papst

Arbeitsunfälle mit schlimmen Folgen seien alltäglich gewesen, deren Verhütung fast kein Thema. Das Umdenken geschah allmählich, der Unfall als Betriebsstörung wurde zum Kostenfaktor: Walter Ullrich verfasste Leitfäden, untersuchte die Maschinen-Standorte in den Werkshallen, schulte Konstrukteure und leitende Angestellte, „Schlüsselfiguren“. Sein Arbeitgeber habe die rapide sinkenden Unfallzahlen auch als Wettbewerbsvorteil nutzen können – und die Prämien von der Berufsgenossenschaft eingestrichen.

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Der Lohmarer tourte zu den Werken in den USA, in Frankreich und Spanien. Er sprach auch bei Verbänden über sein Lebensthema und sogar in einem Franziskanerkloster: „Unfallverhütung oder das Fünfte Gebot – Du sollst nicht töten“, hatte Briefkontakt zu Ministern und zum Vatikan. Die Sicherheit bewegt ihn nun nur noch zu Hause, „mit ungeeigneten Schuhen betritt niemand die Leiter“. Die Kriegszeit holt ihn derzeit aber wieder ein: Walter Ullrich ist ein gefragter Zeitzeuge.

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