NeueinstellungenCannabis-Nachfrage explodiert in Niederkasseler Apotheke – Ärzte sind kritisch

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Cannabisblüten zur medizinischen Behandlung.

Medizinisches Cannabis fällt seit dem 1. April nicht mehr unters Betäubungsmittelgesetz. (Symbolbild)

Neues Personal muss her, um den Ansturm zu bewältigen. Derweil sind Ärzte in Rhein-Sieg sehr kritisch.

Seit der Teillegalisierung ist auch die Verordnung von medizinischem Cannabis für Ärzte erleichtert worden. Sie können es Patienten seit dem 1. April auf einem normalen Rezept verschreiben, weil Cannabis nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. „Die Nachfrage ist seitdem massiv angestiegen – sicherlich um 300 bis 400 Prozent“, sagt Stephanie Spahn, die mit einem Partner in Niederkassel die Fähren-Apotheke, die Apotheke an der Laach und die Post-Apotheke betreibt. „Wir stellen derzeit neue Leute ein, um den Ansturm bewältigen zu können“, sagt die Apothekerin.

Sie habe sich bereits vor der Teillegalisierung in der Mondorfer Fähren-Apotheke auf medizinisches Cannabis spezialisiert und als Ansprechpartnerin fungiert. In dieser Apotheke sei medizinisches Cannabis zu haben, in den anderen beiden nicht.

Niederkasseler Apotheke braucht dringend neues Personal

Seit dem 1. April sei die Hemmschwelle bei Ärzten deutlich gesunken, Rezepte auszustellen. Zudem hätten viele Patienten schon länger mit dem Gedanken gespielt, medizinisches Cannabis zu testen. „Diese Leute nutzen jetzt die Möglichkeit“, so Spahn. Die Allermeisten würden mit einem Privatrezept in die Apotheke kommen, oder über die Versandapotheke bestellen – zahlen also selbst. Eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse gebe es nur in den seltensten Fällen. 

Eine Frau steht hinter der Theke einer Apotheke.

In der Apotheke von Stephanie Spahn ist die Nachfrage nach medizinischem Cannabis um 300 bis 400 Prozent gestiegen.

Für die Niederkasseler Apotheken ist mit dem massiven Anstieg der Nachfrage auch der Arbeitsaufwand gestiegen. Jede Blüte muss in der Apotheke pharmazeutisch geprüft werden – entweder durch einen Apotheker, oder einen pharmazeutisch-technischen Assistenten (PTA).

„Das ist immer eine individuelle Abfüllung, die einzeln beschriftet wird“, erklärt die Apothekerin. Zudem falle deutlich mehr Arbeit in der Versandapotheke an, da die meisten Patienten diesen Weg wählten. „All das ist mit dem bestehenden Personal nicht möglich“, sagt Stephanie Schwan. Noch nicht wirklich abzusehen sei derzeit, wie sich die Nachfrage weiter entwickelt. „Aktuell ist es aber so, dass sie immer weiter steigt“, sagt die Apothekerin.

Ärzte in Rhein-Sieg stellen Rezepte nur sehr zurückhaltend aus

„Die Ärzteschaft ist nicht sonderlich begeistert“, fasst Jacqueline Hiepler, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung im Rhein-Sieg-Kreis, zusammen. Die Erfahrung im Umgang mit medizinischem Cannabis fehle, außerdem gebe es keine Leitlinie dafür, ab welcher „Stufe der Schmerzskala“ Cannabis eingesetzt werden solle. Gleichwohl gebe es in den Praxen Menschen, die nach einem Rezept fragen würden. „Wir reagieren in diesen Fällen sehr zurückhaltend und schicken die Leute zum Schmerztherapeuten“, sagt die Hennefer Ärztin. Die seien geschult im Umgang.

Bei Cannabis handele es sich um ein abhängig machendes Medikament, das für die Hausärzte keine Lücke in der Schmerztherapie fülle. „Wir haben immer noch Medikamente, die wirken, aber nicht abhängig machen“, sagt Hiepler. Daher wisse sie nicht, welcher Patient von einer Verschreibung profitieren solle. Das Urteil der Ärztin fällt eindeutig aus: „Es kann nicht sein, dass wir eine Droge auf Kasse verschreiben und dann ein größeres Problem kreieren als das, wofür es da ist.“

Die Änderung der Gesetzeslage mache für Ärzte und Patienten die therapeutische Anwendung von Cannabis „etwas einfacher“, sagte Elke Cremer, Hausärztin aus Troisdorf und Mitglied des Vorstands im Hausärztinnen- und Hausärzteverband Nordrhein sowie Vorsitzende der Kreisstelle Rhein-Sieg-Kreis. Dabei sei der Kreis der Indikationen für solche Verordnungen eng und nicht etwa mit der Legalisierung von Cannabiskonsum erweitert worden.

Nachfrage nach Einsatz von Cannabis ist in Troisdorfer Praxis gestiegen

„Wir würden das bei chronischen Erkrankungen verordnen“, so Cremer, zum Beispiel bei spastischen Muskelerkrankungen, andauernder und nicht anders zu behandelnder Übelkeit oder bei Tumorerkrankungen. Sie selbst würde nun auch nicht restriktiver oder großzügiger umgehen. Tatsächlich seien Patienten mit derartigen Befunden im städtischen Umfeld aber ohnehin eher bei Spezialisten wie Palliativmedizinern, Onkologen oder Schmerzfachleuten in Behandlung.

Gleichwohl ist auch in der Praxis, die Elke Cremer gemeinsam mit ihrem Mann führt, die Nachfrage nach dem Einsatz von Cannabis gestiegen. Die Debatte um die Legalisierung führe dazu, dass auch Patientinnen und Patienten mit orthopädischen Beschwerden nach Cannabis-Therapien fragten, berichtet sie. „Es soll ja gut sein“, hört die Fachärztin dann bisweilen.

Dabei sei den Fragenden oft nicht klar, welch großes Suchtpotenzial im Cannabis stecke. Zugleich gebe die Legalisierung den Menschen das Gefühl, „das kann man ja mal machen“. Es werde suggeriert, „dass der Konsum zum Lifestyle gehört.“ Dabei sei belegt, dass in der Therapieanwendung weniger Suchtgefahr stecke als im missbräuchlichen Konsum.

Troisdorfer Ärztin macht sich Sorgen um ihre junge Patienten

Seit der Freigabe frage sie ihre Patienten nicht mehr nur, ob sie rauchen, Drogen nehmen oder Alkohol trinken, sondern gezielt nach Cannabis-Konsum. „Es ist erstaunlich, wie viele Patienten das konsumieren“, berichtet die erfahrene Hausärztin. Dabei könne sie allerdings nicht sagen, ob die Zahl zugenommen habe oder einfach nur die Hemmschwelle gesunken sei, das auch zuzugeben.

Besondere Sorgen machen Elke Cremer die jungen Patientinnen und Patienten, die aufgrund von Cannabiskonsum mit psychischen Erkrankungen die Praxis aufsuchen. „Ich könnte Ihnen aus dem Stand zehn Namen nennen“, sagt sie. Und sie kenne keinen Kollegen, der diese Erfahrung nicht teile. Scharf kritisiert die Ärztin den „völlig fehlenden Jugendschutz“ im Gesetz.

Die Gruppe der Jugendlichen falle da hinten runter, dabei sei sie doch nach Corona und der daraus resultierenden Isolation ohnehin anfälliger für psychische Probleme und Drogen wie Cannabis. Das Argument, dass Alkohol ja auch legal sei, lässt sie nicht gelten: Es könne doch nicht angehen, dass man eine weitere Droge legalisiere, weil man die Probleme mit der einen nicht in den Griff bekomme.

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