Netflix und Co. setzen Videothek zu„Empire“ in Sankt Augustin kämpft ums Überleben

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Das „Empire“ ist eine der letzten Videotheken in der Region.

Sankt Augustin – In einem abgelegenen Firmengebäude an der Kölnstraße in Sankt Augustin steht das „Empire“. Eine Videothek im Jahr 2022, eine der ganz wenigen in der Region.

Eine menschengroße Batman-Skulptur begrüßt die Kunden am Eingang. Dann braucht es nur wenige Sekunden, und der Nostalgie-Vorhang öffnet sich. Durch die offene Tür sieht man lange Regale, die Plakate vergangener Blockbuster. Drei Euro kostet die Ausleihe von DVDs und Blurays für 24 Stunden.

Dabei war die Videothek einmal fester Bestandteil des Alltags: Hier begannen Dates, und nirgends, außer vielleicht im Kino, war das Popcorn besser. Heutzutage sind bundesweit nur noch wenige Hundert Videotheken übrig, am Leben gehalten von einigen passionierten Besitzern. Einer dieser Nostalgie-Hüter ist Vitali Grasmück.

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Seine erste Videothek eröffnete der Besitzer des „Empire“ in Bonn

An diesem sonnigen Tag bewegt er sich konzentriert hinter der Kasse seines Ladens. „Ich bin gleich bei Ihnen“, sagt er durch seine schwarze Maske. Er müsse noch ein paar DVDs einpacken, dann habe er Zeit. Der physische Kontakt zum Film, die leichte Spiegelung in der DVD, das Einpacken in die rechteckige Hülle. Eine Handbewegung, die der Mann hinter der Kasse vermutlich tausendfach getätigt hat.

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Vitali Grasmück eröffnete 1995 seine erste Videothek. Das „Empire“ ist die letzte von ursprünglich fünf Ausleihstationen.

„1995 habe ich meine erste Videothek eröffnet, damals in Bonn.“ Es sollten vier weitere folgen, unter ihnen das „Empire“ in Sankt Augustin. Grasmück rückt DVDs zurecht, ordnet und sortiert. „Die Leute sind zu bequem geworden“, sagt er, „kaum jemand schätzt Filme noch so richtig.“

Grasmück kommt aus einer Gastronomen-Familie. Während andere Kinder Astronauten, Bauarbeiter oder Polizisten werden wollten, war für den Tarantino-Fan früh klar, dass er etwas mit Filmen machen wollte. Das „Empire“ ist seine letzte Videothek, die anderen vier Filialen mussten schließen. Der Grund: fehlende Kundschaft.

Videothek in Sankt Augustin bietet den Kunden 15.000 Filme

Früher sah alles ganz anders aus. Lange vor Netflix, Amazon und Disney+. „Die glorreichen Zeiten“, sagt Grasmück, „das waren die späten 90er und früheren 2000er.“ Damals war Amazon bloß ein Buchhandel, Disney nur eine Produktionsfirma, und Apple hatte gerade den ersten iPod auf den Markt gebracht.

Ab 2010 brach dann das Geschäft ein. „Es gab viel Piraterie im Internet, illegale Seiten haben das Geschäft ruiniert“, erzählt Grasmück. Die schweren Zeiten lassen ihn nicht los. „Und heute sind es die Streamingdienste, dabei haben wir im Vergleich ein viel besseres Angebot.“

Grasmück zieht den neuen „James Bond“ aus dem Regal, vergangenen Oktober erschien er im Kino mit Daniel Craig in der Hauptrolle. Der Videothekar schnippt mit dem Finger gegen die Hülle. „Kostet hier nur drei Euro zum Ausleihen. So billig kriegt man ihn nirgendwo.“ In den vergangenen Jahren hat er viel investiert und seinen Laden renoviert.

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Abgelegen liegt das Gebäude an der Kölnstraße in Sankt Augustin.

Im „Empire“ stehen den Kunden mittlerweile 15.000 Filme zur Verfügung, während Netflix, Amazon und Co. nur ausgewählte Filme haben, die ständig wechseln. „Wir haben Klassiker, die es kaum noch irgendwo anders gibt, Western oder Filme aus den 60ern oder 70ern“, schildert Grasmück.

Corona-Krise setzte Sankt Augustiner Videothek stark zu

Aber auch die Corona-Krise hat dem „Empire“ wirtschaftlich stark zugesetzt. Wenn keine neuen Filme ins Kino kommen, erscheinen auch keine neuen DVDs. Gerade diese Filme machen kurz nach ihrer DVD-Veröffentlichung einen großen Teil des Geschäfts aus. Zum Überleben braucht Grasmück weitere Standbeine, er verkauft DVDs, betreibt eine Paketstation und ist sich trotzdem nicht sicher, ob er überleben kann.

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Wie lange es die Videothek noch geben wird? Grasmück schaut in die Regalreihen seines Ladens, dann zuckt er die Schultern und sagt: „Wir bleiben hier, solange es geht.“ Die Zahlen sprechen jedenfalls gegen das „Empire“. Im Jahr 2019 gab es bundesweit 345 Videotheken. 2009, zehn Jahre zuvor, waren es noch 2597.

Besitzer betont Nachhaltigkeit von Videotheken

An diesem Tag merkt man das. Kaum ein Kunde ist im Geschäft. Die Actionfilme, Dramen und Komödien stehen unberührt im einfallenden Licht. Auch die Tür zur Horror- und Erotikfilmabteilung bleibt geschlossen.

Dabei haben Videotheken nach Grasmücks Meinung im Vergleich zum Streaming einen erheblichen Vorteil: ihre Nachhaltigkeit. In einer Zeit, wo Kurzstreckenflüge verpönt und Plastiktüten weitgehend abgeschafft sind, wird immer noch gestreamt – mit hohem Energieverbrauch. Grasmück zuckt mit den Schultern: „Irgendwie ist es den Leuten beim Streamen wohl egal.“  

Hinweis der Redaktion: In einer älteren Version dieses Textes bezeichneten wir die Videothek fälschlicherweise als einzige in 40 Kilometern Umkreis. Das ist so nicht korrekt. In Hennef wird die Videothek Parklicht-Familie betrieben. Wir bitten Sie, diesen Fehler zu entschuldigen.

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