Fachbereichsleiterin Ilona Bindhammer ist es wichtig, „dass alle gleichwertig behandelt und gesehen werden“.
Eigener FachbereichDie Sankt Augustiner Musikschule unterrichtet auch Menschen mit Behinderung

Ilona Bindhammer ist Leiterin der Fachbereichs Musik für Menschen mit Behinderung an der städtischen Musikschule Sankt Augustin.
Copyright: Dieter Krantz
Kaum sind die ersten Töne erklungen, beginnt Oliver, im Takt zu schwingen. Auch Niklas auf dem Stuhl daneben bewegt sich im Rhythmus des Frühlingslieds. Pure Freude bricht sich Bahn, Spaß an der Musik. Einmal in der Woche kommen Oliver und Niklas in die Sankt Augustiner Musikschule, seit vielen Jahren sind sie Mitglied in einer Musikgruppe für Menschen mit Behinderung.
Acht Lehrkräfte unterrichten in Sankt Augustin Menschen mit Behinderungen
Seit mehr als 30 Jahren bietet Ilona Bindhammer Musikkurse für Menschen mit Behinderung an der Musikschule an. „Ich bin hier kleben geblieben“, sagt sie schmunzelnd: Schon als Schülerin war sie hier aktiv, während des Studiums – Musikpädagogik und Chemie fürs Lehramt – verdiente sie Geld dazu. 2021 übernahm sie die Leitung des Fachbereichs Musik mit Menschen mit Behinderung, zu dem acht weitere Lehrpersonen gehören.
Die Aussage „die lernen das ja eh nicht“, begegne ihr häufiger, erzählt die Musikpädagogin. Sie habe oft den Eindruck, „dass das bei manchen Menschen ein Maßstab ist“. Nicht für sie. „Mein Ziel ist auch, dass die einzelnen Personen je nach ihren Fähigkeiten etwas dazulernen können.“ Dass das Rhythmusgefühl besser wird oder die Menschen hören, wenn sich eine Melodie verändert.

Ilona Bindhammer ist Leiterin der Fachbereichs Musik für Menschen mit Behinderung an der städtischen Musikschule Sankt Augustin.
Copyright: Dieter Krantz
Wichtig ist ihr, dass dieses Dazulernen nicht das einzige Kriterium für den „Erfolg“ ihres Unterrichts ist. Und dass es schon gar nicht für jeden Teilnehmer oder jede Teilnehmerin gleich ist. Ihr geht es um Teilhabe, um eine echte Gleichberechtigung von Menschen mit und ohne Behinderung. „Dass alle gleichwertig behandelt und gesehen werden“, aber jeder mit seinen unterschiedlichen Fähigkeiten, wie auch die Lehrpersonen unterschiedliche Stärken haben.
Echte Teilhabe bedeutete für sie die Einführung von Gebühren für den Unterricht auch in den Kursen für Menschen mit einer Behinderung. Bis 2021 war das unentgeltlich; dass sie nun etwas bezahlen, sei auch den Teilnehmenden wichtig. „Ich mache das freiwillig, bezahle etwas dafür und bin gleichberechtigt“ – das könnten sie hier erfahren. Das sei nicht einfach, wenn Menschen von der Grundsicherung lebten, weiß Ilona Bindhammer. Über den Sankt-Augustin-Ausweis ist aber eine erhebliche Vergünstigung möglich.
Der Zugang zur Musik ist vielen Menschen nicht bekannt
Allerdings müssen die Teilnehmenden erst einmal den Weg finden in die Musikschule. Ilona Bindhammer merkt „zunehmend, dass der Weg sehr schwer ist“: Am ehesten kommen Männer, Frauen und Kinder zu den Musikgruppen, deren Eltern und Betreuer sich dafür einsetzen. Manchmal werde auch das Personal in einem Wohnheim aufmerksam, „aber das ist nicht der Regelfall“. Und nur selten sei das von gesetzlich bestellten Betreuern zu erwarten, die bis zu 20 oder 30 Personen betreuten.
Hoch, so hat sie erfahren, sind manchmal auch die Hürden, wenn es darum geht, Menschen mit Behinderung eine Förderung zukommen zu lassen. „Im Grunde“, so sagt sie, „möchten alle Beteiligten, dass es gelingt.“ Aber: „Es gibt so viele Hürden, dass es schwierig ist.“

Mit Freude dabei sind die Teilnehmenden der Musikgruppe von Iona Bindhammmer.
Copyright: Dieter Krantz
Zudem sei auch nicht allgemein bekannt, dass behinderte Menschen in Musikschulen den Zugang zur Musik bekommen könnten, wenn sie das wollten. Ein jährlicher Workshoptag im Herbst, in diesem Jahr zum vierten Mal auf dem Programm, soll das ändern. „Wenn ich das vorher gewusst hätte“, höre sie oft, so Bindhammer; Tanz- und Instrumentalgruppe bieten stets zum Abschluss einen viel beklatschten Auftritt.
Im Raum 279 wiederholt an diesem Nachmittag die Gruppe das in der Vorwoche Erlebte: Getanzt haben die sieben, das Musikstück „Breakmixer“ machte sie mit dem Konzept der Pause in der Musik vertraut. Jede Pause bedeutet, zwischen dem „Wolle wickeln“ mit den Armen und fröhlichem Drehen der Hände abzuwechseln. Heute kommen zudem zwei weitere Bewegungsfolgen hinzu, Schritte zur Seite, nach vorn und nach hinten.
Der Zugang über Bewegung ist deutlich leichter
„Ich arbeite viel mit Rhythmus“, erklärt Ilona Bindhammer, „der Zugang über Bewegung ist deutlich leichter.“ Und: „Der Spaß soll ja auch dabei sein.“ Deshalb lässt die Pädagogin auch Oliver „aussteigen, wenn es ihn mitreißt“. Gerade an der großen Trommel, wo sein schwer stampfender Rhythmus die gesamte Gruppe mitzieht. Aber auch für sie selbst sei der Unterricht bereichernd, betont Ilona Bindhammer.
„Man weiß sofort Bescheid“, direkt kommt das Feedback der Kursteilnehmenden, die kein Blatt vor den Mund nehmen. „Wenn du das noch einmal machst, dann raste ich aus“, kommentiert einmal einer ihrer Schüler das wiederholte Üben des Polka-Rhythmus.
Im Fachbereich arbeiten neun Lehrpersonen
In der Städtischen Musikschule Sankt Augustin arbeiten außer Ilona Bindhammer weitere acht Lehrpersonen und vereinzelt auch noch mehr mit Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen. Aktuell erlernen Menschen mit Behinderungen auch Klavier, Keyboard, Akkordeon, Cello, Blockflöte, Saxophon und Schlagzeug.
Auch in den Sparten Ballett und Tanz gibt es Möglichkeiten. Die Musikschule versucht, das Angebot entsprechend den Nachfragen anzupassen. Gelegenheit, den Fachbereich kennenzulernen, gibt es beim Workshoptag am 15. November. Der beginnt um 17 Uhr im großen Ratssaal, der Eintritt ist frei, Spenden erbeten.