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Keine HaftTäter soll nach Gewaltexzess in Sankt Augustin lieber arbeiten

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Amtsgericht Siegburg

Vor dem Amtsgericht Siegburg steht eine Anti-Gewalt-Bank.

Für diese Tat hätte ein 30-Jähriger mehr als zwei Jahre Gefängnis verdient. Warum das Siegburger Schöffengericht Gnade vor Recht ergehen ließ.

Was lediglich als „Abreibung“ gedacht war, endete in einem Gewaltexzess Anfang August 2024 in einer Sankt Augustiner Wohnung. Das Opfer erlitt potenziell lebensgefährliche Verletzungen, die Täter prügelten auch mit Gegenständen und Mobiliar, wie Bettpfosten, einer Lampe und einem Monitor auf den 39-Jährigen ein. Das Siegburger Schöffengericht fällte ein überraschend mildes Urteil gegen einen der Schläger: Der 30-Jährige bekommt Bewährung. 

Es war nach einem Kindergeburtstag: Die Brüder, zwei Ukrainer, hatten dem Wodka zugesprochen. Ein Bekannter fuhr sie nachts zur Wohnadresse ihrer Cousine. Deren Mann, so hatte sie sich beklagt, werde immer wieder gewalttätig. Sie könne sich nicht wehren. 

Brüder aus Sankt Augustin wollten dem Mann der Cousine eine Lektion erteilen

Man habe dem 39-Jährigen, der ebenfalls aus der Ukraine stammt, eine Lektion erteilen wollen, sein Bruder sei die treibende Kraft gewesen, er habe ihn nur unterstützen sollen, sagte der Angeklagte. Dass die Situation so eskalierte, sei nicht geplant gewesen. Der ein Jahr ältere Bruder hätte sich ebenfalls vor Gericht verantworten sollen, ist aber flüchtig und wird per Haftbefehl gesucht.

Sie klingelten gegen 2 Uhr den bulligen Baggerfahrer aus dem Bett, als der die Tür aufmachte, schlug der Ältere ohne Ankündigung mit Fäusten auf ihn ein, erst als er im Kinderzimmer am Boden lag, machte der Jüngere mit, schlug immer wieder mit einem Brett des zu Bruch gegangenen Kinderbetts zu. Frau und Kind waren nicht daheim.

Nachbarn hatten die Polizei alarmiert, als die Täter die Sirene hörten, flüchteten der jüngere Bruder und der Bekannte, der die Tat wohl gefilmt hatte, durchs Fenster übers Dach, der ältere Bruder wurde geschnappt, die anschließende Blutalkoholkontrolle ergab 1,22 Promille. Der 39-Jährige wurde im Krankenhaus operiert: Er hatte laut Attest potenziell lebensgefährliche Verletzungen erlitten, Knochenbrüche im Gesicht und am Oberkörper, tiefe, blutende Wunden und Hämatome.

Zehn Tage lag er in der Klinik, ein halbes Jahr war er krankgeschrieben, danach habe er unbedingt wieder arbeiten wollen, doch sein Knöchel habe ihm immer wieder Probleme bereitet und zu Auszeiten gezwungen, schilderte das Opfer im Zeugenstand. Die Wunde am Fußgelenk, die er Richterin Julia Dibbert persönlich vor Augen führte, müsse nochmals operiert werden, erzählte der Baggerfahrer, dafür werde Haut von seinem Hinterteil verpflanzt.  

Das planvolle Vorgehen und die gravierenden Folgen würde eigentlich eine Haftstrafe von zweieinhalb Jahren rechtfertigen, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Er hielte es aber für sinnvoller, wenn der 30-Jährige, verheiratet und Vater zweier Kinder, arbeitet, seine Familie versorgt und einen Schadensausgleich von 4800 Euro an das Opfer zahlt, darin enthalten neben dem Schmerzensgeld die Kosten für Rettungswagen und ärztliche Behandlung, denn der 39-Jährige war damals nicht krankenversichert.

Zwischen mir und meiner Frau ist alles gut
Sankt Augustiner, der von Verwandten seiner Frau lebensgefährlich verletzt wurde, vor dem Amtsgericht

Die Summe könne der Angeklagte, der bei einem Garten- und Landschaftsbauer angestellt ist und etwa 1700 Euro netto verdient, in 100-Euro-Monatsraten abstottern.  Das Schöffengericht verurteilte den wegen Subventionsbetrugs und Verstoßes gegen das Aufenthaltsrecht zweifach vorbestraften Angeklagten zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe, die er in Freiheit verbringen darf, die Bewährungszeit dauert vier Jahre.  

Der Strafverteidiger hatte ein Jahr und sechs Monate auf Bewährung gefordert, die Notlage der Cousine sei zwar kein Grund für Selbstjustiz, die Aktion könne „man aber schon verstehen“. Den Anlass für die Attacke habe er erst viel später erfahren, erzählte der Geschädigte vor Gericht kopfschüttelnd: „Zwischen mir und meiner Frau ist alles gut.“