Das Projekt „Seid ihr bereit für uns?“ möchte Vorurteile gegen Inhaftierte abbauen. Aus den Videobotschaften entsteht ein Film.
„Seid ihr bereit für uns?“Häftlinge der Siegburger JVA im Videodialog mit Bürgerinnen

Paula Wehmeyer und Jehan Ahrari sehen die Videobotschaft eines Inhaftierten an.
Copyright: Lilian von Storch
„Das erste Mal, als du dein Video geschickt hast, haben bestimmt drei von den Jungs geweint“, sagt Paula Wehmeyer zu Jehan Ahrari. Ahrari ist eine der Protagonistinnen und Protagonisten des von Wehmeyer geleiteten Projekts „Seid ihr bereit für uns?“, in dem sich drei Inhaftierte der Siegburger JVA mit drei Bürgerinnen von „draußen“ in Videobotschaften austauschen.
Am Ende soll daraus ein Film entstehen, der Ende Oktober in der Siegburger Stadtbibliothek gezeigt werden soll. „Es geht darum, dass man Berührungsängste abbaut und sieht, alle Menschen sind fehlerhaft“, sagt Wehmeyer, „je nachdem, was man in der Kindheit und Jugend erlebt hat, ob man Hilfe bekommt oder nicht, könnten viele von uns auf die schiefe Bahn geraten.“
Gespräche über Schicksalsschläge und Alltägliches
Paula Wehmeyer (45) ist Filmschaffende, Autorin und Dozentin für Schauspiel, lebt in Much und hat schon mehrfach Projekte in der Siegburger JVA verwirklicht. Die Gesprächspaare hat sie intuitiv zusammengesetzt, nachdem sich drei Personen von draußen gefunden hatten. Dann nahm Wehmeyer mit dem Kameramann Bryar Bakhtyar über einen Zeitraum von fünf Wochen Videobotschaften auf. Die Stiftung der VR-Bank und der Siegburger Lions-Club unterstützten das Projekt finanziell.
Die ersten Nachrichten kamen aus der JVA, drei Häftlinge stellten sich vor und schickten ihren Gesprächspartnerinnen die ersten Fragen. Die drei Protagonistinnen von draußen nahmen ihre Antwortbotschaften anschließend in der Siegburger Stadtbibliothek auf. So entstanden Nachrichten von etwa zehn bis 20 Minuten Länge.

Projektleiterin Paula Wehmeyer und Kameramann Bryar Bakhtyar drehen in der Siegburger Stadtbibliothek.
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Da mehr als zehn Häftlinge der JVA bei dem Projekt mitmachen, aber nur drei von ihnen Botschaften senden konnten, sah sich die Gruppe die Videobotschaften gemeinsam an. Wo die Inhaftierten drehten, entschieden sie selbst: in ihrer Bibliothek, in ihren eigenen Zellen, in der Kapelle der JVA. Mit dem Film zeigen sie auch, in welcher Welt sie sich täglich bewegen.
„Die Themen haben sich bei den Paaren ganz unterschiedlich entwickelt“, erzählt Wehmeyer. Ein Paar habe eher pragmatische Gespräche geführt – darüber, wie man Struktur in seinen Tag bringt und schlechte Angewohnheiten überwinden kann. „Über einem anderen Häftling schwebt eine Abschiebung“, berichtet Wehmeyer, „da ging es viel darum, wie man in Deutschland ankommt, wenn man nie sicher ist, ob man bleiben kann.“
Es geht darum, dass man Berührungsängste abbaut und sieht, alle Menschen sind fehlerhaft.
Bei Jehan Ahrari und ihrem Gesprächspartner seien die Gespräche emotional tief gegangen. „Am Anfang hat man noch ein bisschen die Rahmen abgesteckt – wer sind wir, woher kommen wir“, erzählt die 24-jährige Schauspielerin. „Dann ging es aber schnell um die Vergangenheit des Häftlings, wie er darauf zurückschaut und wie er jetzt damit umgeht. Wir haben uns dann gegenseitig Impulse für die Verarbeitung schwerer Ereignisse mitgegeben.“
Sie und der 36-jährige Inhaftierte bedankten sich am Anfang jeder Botschaft für ihren ehrlichen und vertrauensvollen Austausch. „Was mich sehr berührt hat, war, wie er über einen Schicksalsschlag geredet hat, der ihn meiner Meinung nach sehr geprägt hat“, erzählt Ahrari, „Ich fand es sehr bewundernswert, wie er die Vergangenheit reflektieren konnte. Da war so viel Erkenntnis drin, ohne dass er irgendwem die Schuld gegeben hat.“

Jehan Ahrari (24) möchte mit ihrem Gesprächspartner auch nach dem Projekt in Kontakt bleiben.
Copyright: Lilian von Storch
Was das Projekt bei ihr persönlich verändert habe? „Auf jeden Fall die Dankbarkeit für meine eigenen Privilegien und meine Freiheit“, sagt Jehan Ahrari, „Aber auch, zu sehen: Egal wie unterschiedlich wir aufgewachsen sind, jeder Mensch ist trotzdem gleich.“
Ich fand es sehr bewundernswert, wie er die Vergangenheit reflektieren konnte. Da war so viel Erkenntnis drin, ohne dass er irgendwem die Schuld gegeben hat.
Ahrari und ihr Gesprächspartner haben schon beschlossen, auch nach dem Projekt in Kontakt zu bleiben und sich Briefe zu schreiben. Auch in der Siegburger JVA soll es für die Inhaftierten und wenige Besucherinnen und Besucher eine Premiere des Films geben – dort werden die Protagonistinnen und Protagonisten das erste Mal aufeinandertreffen.
Vorher muss der Film noch geschnitten werden, was keine leichte Aufgabe sein werde, sagt Wehmeyer: „Wir haben von jedem Paar jetzt mindestens zweieinhalb Stunden Videomaterial - 20 Minuten können wir am Ende von jedem nutzen.“ Wenn das möglich ist, würde sie gern die kompletten Versionen der Gespräche in der Siegburger Stadtbibliothek zur Verfügung zu stellen.
Mucher Projektleiterin möchte Vorurteilen entgegenwirken
Was wird der Film am Ende bei den Zuschauenden auslösen? „Viele werden wahrscheinlich gerührt sein. Die Gespräche hatten aber zum Teil auch Witz“, sagt Paula Wehmeyer. „Die Thematik der Abschiebung wird zum Nachdenken anregen. Letztendlich wird man erstaunt sein, wie viel Potenzial da ist und wie nahbar die Menschen sind.“
Insgesamt habe sie kein „Schönwetterprojekt“ schaffen wollen, sondern sich intensiv mit der Frage befassen, wie die Gesellschaft reagiere, wenn jemand aus dem Gefängnis entlassen werde. Zu den ersten Fragen, die die Häftlinge ihren Gesprächspartnerinnen stellten, gehörten: „Würdet ihr mich in euer Haus einladen?“, „Würdet ihr einen Kaffee mit mir trinken?“, und: „Würdet ihr mir einen Job geben?“
Auch wenn die Häftlinge ihre Strafe abgesessen hätten, bleibe oft der Stempel des ehemaligen Straftäters, sagt Wehmeyer: „Diese Spirale, dann irgendwann wieder in den Knast zu wandern, läuft ganz viel darüber.“ Sie habe beobachtet, dass das Projekt auch bei den Inhaftierten einiges bewegt habe: „Sie sehen, da ist jemand da draußen mit einem wirklichen Interesse an mir“, beschreibt Wehmeyer, „Wir können miteinander kommunizieren, und ich schaffe das – auch wenn es mal schwer ist.“