Das Bürgertheater „attitüde“ bringt den üblen Umgang mit den Beschäftigten des Warenhauses auf die Bühne.
TheaterinszenierungDer Siegburger Kaufhof als zerstörte Großfamilie

„Ich, Kaufhof“: Inszenierung des Bürgertheaters 'attitüde', Benedikt Vogt als Toilettenmann.
Copyright: Andreas Helfer
Dass das Theatergebäude selbst den Stoff für Inszenierungen liefert, ist ungewöhnlich. Im Fall der Studiobühne aber durchaus naheliegend: Seit einem Jahr ist sie auf der ehemaligen Saturnetage des Kaufhofs untergebracht, wo zur ersten Aufführung Christoph Wolff in der Rolle von René Benko zu erleben war, der tausende von Arbeitsplätzen auf dem Gewissen hat, auch in Siegburg.
Jetzt lässt das Bürgertheaters „attitüde“, die Belegschaft zu Wort kommen, vor einer Schaufensterpuppe, einer Rabattreklame mit einem Prozentzeichen und den Würfeln aus Zellophan, die schon bei dem Einpersonenstück zu Benko zum Einsatz kamen.
Kaufhof-Belegschaft in Siegburg sah sich als große Familie mit einem gemeinsamen Ziel
Bitter fällt der Dialog zwischen einer Führungskraft und einem Angestellten aus, der lange Jahre hoffte, zum Abteilungsleiter befördert zu werden. Als alles schon zu Ende ist, lädt ihn der Vorgesetzte zu einer Grillparty ein – was sein Untergebener beim besten Willen nicht mehr annehmen kann. „Danke für die Zukunft.“ Fast schon beklemmend wirkt die Hingabe einer Verkäuferin, die unermüdlich und mit großem Fachwissen in der Gardinenabteilung ihrer Arbeit nachging, selbst als die Schichten immer länger und die Beine immer müder wurden.

Eine Gardinenverkäuferin (Kirsten Wallbaum, Mitte) erinnert sich, mit Patrick Putzolu und Emilia Zoi Lange.
Copyright: Andreas Helfer
Die Schauspieler zeigen in berührenden Monologen und Zwiegesprächen, dass sich die Belegschaft als große Familie mit einem gemeinsamen Ziel sah. Auch der Toilettenmann – am Bühnenrand steht ein WC-Sitz – sah sich dem Kunden stets verpflichtet, kam seinen Aufgaben mit hohem Einsatz und Verantwortungsgefühl nach. Sein Credo: „Da sein, für Kunden, Kollegen, das Team.“ Nur um am letzten Tag schlicht vergessen und eingeschlossen zu werden, alleine im Dunkeln.
Das wirkt umso deprimierender, als früher alle stolz waren, das Zentrum der Stadt zu sein, ein wesentlicher Teil der Identität Siegburgs, der noch dazu verlässlich gute Umsätze lieferte. Warum dann die Schließung? Unternehmenspolitik, sonst nichts, wird auf der Bühne festgestellt. Die Loyalität der Mitarbeitenden geriet in immer schärferen Gegensatz zu den Zielen von Eigentümer René Benko, der die Kaufhäuser nur als Spekulationsobjekt sah und sich letztlich für Einzelhandel nicht interessierte.
2004 feierte der Kaufhof sein 125-jähriges Jubiläum im Rhein-Energie-Stadion in Köln
Wie blanker Hohn erscheint heute, dass Kaufhof 2004 sein 125-jähriges Jubiläum im Kaufhof gefeiert hat, im Kölner Rhein-Energie-Stadion, in dem eine Bühne mit 360 Grad Sicht aufgebaut wurde. Gemeinsam wurde eine für den Anlass komponierte Kaufhof-Hymne angestimmt. „Das war unser Triumph, alles waren versammelt“, erinnert sich ein Abteilungsleiter. Der Refrain: „Kaufhof, Dein Herz schlägt hier.“ Nicht einfach irgendein Job sei das für ihn gewesen, „es war mehr, Familie, ein Teil von mir. Aber jetzt? Was ist geblieben? Ein Schatten, ein leerer Raum“.
Regisseur Bardia Rousta wertete für das Theatermanuskript 4,5 Stunden Interviews mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter aus, Briefe und aus der Erinnerung heraus ein Gespräch. „Da sitzt ein Stachel drin“, stellte er fest, die Menschen seien nach Jahren des Verzichts, auf Arbeitsstunden und Urlaubsgeld, verletzt worden. Ganz persönlich frage er sich jetzt öfters: „Wie geht es eigentlich dem Menschen hinter dem Verkaufstresen?“ Eine Wurzel allen Übels sieht Rousta in der Lobbyarbeit von ehemaligen Politiker für Investoren. Woanders, in afrikanischen Ländern etwa, werde das schlicht Korruption genannt.
Die Premiere für „Ich, Kaufhof“ ist am Donnerstag, 2. Oktober, 19 Uhr in der Studiobühne im Kaufhof-Gebäude. Weitere Vorstellungen folgen am 3. und 4. Oktober jeweils um 19.30 Uhr sowie am 5. Oktober um 15 Uhr. Die Evangelische Erwachsenenbildung an Rhein & Sieg Stiftung und die VR Bank Rhein-Sieg fördern die Produktion. Karten im Internet.