Sprecher der TotgeschwiegenenSiegburger Gefängnisseelsorger war Missbrauchsopfer

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Patrick Bauer

Der Gefängnisseelsorger Patrick Bauer wurde als Kind missbraucht und setzt sich heute für andere Opfer ein.  

  • Patrick Bauer wurde als Internatsschüler Opfer von sexuellem Missbrauch.
  • Jahrelang schwieg der 50-Jährige zu seiner Vergangenheit - zu groß war die Scham.
  • Mittlerweile ist der Sprecher des Betroffenenbeirats und nach wie vor aktives Mitglied der katholischen Kirche. Warum der Missbrauch seinen Glauben nicht erschüttert hat.

Siegburg – Als er vor dem Grab seines Peinigers stand, überlegte er kurz: „Soll ich darauf tanzen oder pinkeln?“ Patrick Bauer beschloss zu beten, für sich, nicht für den pädophilen Pater. Bauer erzählt das ohne Zögern, das Sprechen über den sexuellen Missbrauch hat ihn zum Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum gemacht.

Noch mehr erstaunt, dass der 50-Jährige für die Kirche arbeitet: als Seelsorger in der Siegburger Justizvollzugsanstalt. Wir treffen uns vor dem Gefängnistor im Café Luise, wo Ehrenamtler des SKM einen anheimelnden Warteort für Angehörige von Gefangenen geschaffen haben, Getränke und Kuchen kostenlos anbieten. Kein Vorgeplänkel, Patrick Bauer – rundlich, lebhaft, lächelnd – kommt gleich zur Sache, die Zuhörer stören ihn nicht.

Verdrängung und Schweigen

Jahrelang hatte er das Erlebte verdrängt, die Jahrzehnte danach geschwiegen; als er ein Buch über den Missbrauch am Bonner Aloysiuskolleg las, beschloss Bauer: „Jetzt rede ich.“ Bei den ersten Übergriffen im Internat war er gerade elf. Nach drei Jahren ließ der Pater, der von vielen hoch geachtete und einflussreiche Internatsleiter Ludger Stüper, von ihm ab und wandte sich anderen, jüngeren Jungen zu. Seinen Eltern, fest katholisch, und seinen drei Brüdern, ebenfalls Internatsschüler, vertraute sich Patrick Bauer damals nicht an.

Zu groß war die Scham. Seine Mutter wolle auch heute am liebsten nichts wissen, bedauert er, obwohl der Missbrauch längst ein öffentliches Thema ist. Als Siebtklässler hatte er Suizidgedanken, es gab immer wieder depressive Episoden, doch erst als Erwachsener machte er zwei Langzeit-Therapien und zwei Reha-Kuren, da war Bauer schon zweifacher Vater. Er erkrankte an Leukämie, seine Ehe zerbrach.

Sprecher des Betroffenenbeirats

2015 schloss er sich dem eckigen Tisch an und suchte 2018, nach Erscheinen einer Studie über den sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch katholische Geistliche, das Gespräch mit dem Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki. Dessen wütende Reaktion auf das, was da hochgespült wurde, hat ihn beeindruckt: „Das war authentisch.“ Woelki bat ihn, einen Betroffenbeirat aufzubauen, die zehn Mitglieder wählten den Jüngsten unter ihnen zum Sprecher.

Ein Amt, das Konfliktfähigkeit verlangt: Dass Bauer als Gemeindereferent Angestellter des Erzbistums ist, wirft Fragen auf, sorgt für Irritationen und Unverständnis bei denen, die das Gottvertrauen verloren und sich endgültig von der Kirche abgewandt haben. Seine Antwort: „Ich bin nicht von der Kirche missbraucht worden, sondern von Pädophilen, die das hierarchische System für ihre kranken Neigungen ausgenutzt haben.“ Seinen tiefen Glauben habe das nicht erschüttert.

Kräfte des Totschweigens

Umso mehr empört es ihn, dass es starke Kräfte in der Kirche gebe, die die Taten totschweigen wollten. Darunter Pfarrer und Ordensleute, die die Täter einst deckten, die den Missbrauch so begünstigt hätten, die mitschuldig geworden seien. Und Leute, die meinen, dass Öffentlichkeit dem Ansehen der Institution schadeten. Dass die Opfer ja schließlich entschädigt worden seien. Hat Patrick Bauer das Geld angenommen? „Ja, klar, und ich habe die 5000 Euro mit Genuss verjubelt“, erzählt der Seelsorger.

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In der JVA hat er nun auch mit Gefangenen zu tun, die ebenfalls Missbrauchsopfer sind. Sein Engagement habe sich herumgesprochen: „Es gab schon Dank, dass ich Betroffenen eine Stimme gebe.“ Er sei aber genauso ein Ansprechpartner für die Täter, das belaste ihn nicht: „Jeder hat seine Geschichte.“ Die Konfession spiele hinter Gittern keine große Rolle: „Wir Gefängnisseelsorger haben durch die Schweigepflicht eine besondere Stellung. Man kann uns alles erzählen.“

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