125 Jahre JVA Siegburg„Du bist nun ein gefangener Mann“ – Hausordnung mahnte zu Reue

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Nur zwei Pferdestärken: Gefangenentransportwagen von 1938.

Siegburg – „Du bist nun ein gefangener Mann“, steht in der Hausordnung für die Strafanstalt Michaelsberg von 1890. Gitter, Kleidung und geschlossene Tür „sagen dir, dass du deine Freiheit verloren hast“. Aber, so heißt es einige Zeilen weiter: „Aus der Strafe soll für dich ein Gutes hervorgehen.“ Damit der Gefangene „in ernster Reue über dein vergangenes Leben Kraft gewinnst zu einem neuen, Gott und den Menschen wohlgefälligen“. Die Haltung, die aus dieser Hausordnung spricht, dürfte auch noch gegolten haben, als am 22. November 1896 auf dem Brückberg die neue Strafanstalt ihren Betrieb aufnahm.

Auf 125 Jahre Gefängnisgeschichte und die Entwicklung vom Zuchthaus hin zu einer Einrichtung, die das Ziel der Resozialisierung verfolgen soll, haben in den vergangenen Monaten Beschäftigte der Justizvollzugsanstalt geschaut. Die Resultate ihrer Forschung in Archiven und eigener Erinnerung liegen nun als Buch vor.

Bis zum Ersten Weltkrieg gab es auch eine Haftanstalt für „Weiber“

Drei Jahre war an den neuen Haftanstalten gebaut worden, außer der Anstalt 1 mit 527 Plätzen für Männer gab es bis zum Ersten Weltkrieg auch die Anstalt 2 für 200 „Weiber“. Disziplinarmaßnahmen trafen damals nicht nur die Häftlinge, wie das Kapitel „kurzer Ausflug in Personalangelegenheiten des Jahres 1911“ zeigt: „Er vernachlässigte seinen Dienst gröblich, durchwärmte die Nächte, verspätete sich zum Dienst und meldete sich oft krank, um die Dienstversäumnisse zu bemänteln“, schrieb im August der damalige Anstaltsleiter Kraetke über einen Aufseher an den Regierungspräsidenten in Köln.

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Historische Quellen seit der Gründung 1896 haben Tobias Michaelis und Stephanie Schade ausgewertet.

Alte Personalakten und Baupläne, alte Fotoalben und Verwaltungsquellen haben für die Publikation Stephanie Schade und Tobias Michaelis zwischen Dezember und April ausgewertet, damals im dualen Studium zum Regierungsinspektor. Stets an ihrer Seite: Matthias Bartsch, der Leiter der Arbeitstherapie Printwork, der schon seit Jahren den Plan einer solchen Schrift verfolgt hatte und dafür mehrfach ins NRW-Landesarchiv reiste. „Diese Anstalt atmet Geschichte“, stellt auch Ruth Welten erfreut fest, seit September die Leiterin der JVA.

Auch englische und französische Soldaten nutzten die Gebäude

Während des Ersten Weltkriegs wurden vor allem Kriegsgefangene hier festgehalten, danach nutzte die englische Armee die Gebäude als Kaserne, 1923 bis 1926 die französische Besatzungsmacht als Gefängnis. Im „Zuchthaus Siegburg“, so die neue Bezeichnung ab 1. April 1936, wurden zunehmend politische Gefangene inhaftiert: am häufigsten wegen „Rundfunkverbrechen“ – das Abhören von ausländischen Sendern –, wegen Hochverrats und der Vorbereitung dazu. Nach Kriegsbeginn wurden mehr und mehr Zellen mit Kriegsgefangenen belegt; jüdische Häftlinge wurden im Laufe des Jahres 1942 in die Vernichtungslager deportiert.

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Im Sommer 1944 drängten sich mehr als 3500 politische Gefangene in Gebäuden, die für 720 Menschen ausgelegt waren. „Unvorstellbare Lebensbedingungen“ schildert Ruth Welten, wohl einer der Auslöser für die verheerende Fleckfieberepidemie im folgenden Jahr mit 300 Opfern. „Trauriger Höhepunkt dieser Zeit“ ist für den Anstaltsleiter Wolfgang Klein die Erschießung dreier luxemburgischer Geiseln durch Siegburger Beamte am 23. August 1944 – und zugleich „Tiefpunkt der Geschichte dieser Anstalt“.

Marianne Sebastian, die 44 Jahre lang als Sozialarbeiterin in der Siegburger JVA arbeitete, teilt in dem Buch ihre Erinnerungen an „Jugendstrafvollzug im Wandel der Zeit“. Mit 700 bis 1000 jungen männlichen Gefangenen stand Mitte der 70er Jahre auf dem Brückberg die größte Jugendstrafanstalt Europas. Einmalig in NRW war die Schaffung einer Sozialtherapeutischen Abteilung, angeregt und geleitet von Psychologen.

Mord an einem jungen Mithäftling war eine „schreckliche Zäsur“

Auch die „schreckliche Zäsur“ (Welten) des Mordes an einem jungen Häftling, den Mitgefangene im November 2006 zu Tode quälten, fehlt in der Chronik nicht. „Es hat lange gedauert, bis sich die Anstalt davon erholt hat“, erinnert sich die Anstaltsleiterin, die selbst 2008 wieder nach Siegburg gekommen war.

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Fotografien des Gefängnisalltags wurden für die Publikation gesichtet.

Regelrecht traumatisiert seien viele Beschäftigte damals gewesen. Die Tat von Siegburg veränderte den Jugendstrafvollzug nicht nur in der Kreisstadt, die Einzelunterbringung wurde gesetzlich geregelt, 2011 hat Ruth Welten schließlich „dem letzten Gefangenentransport nach Ronsdorf nachgewunken“.

Seither sind in Siegburg nur noch erwachsene Gefangene inhaftiert. Geblieben ist das Bemühen, durch Angebote wie Sozialtherapie, die Möglichkeit, Schulabschluss oder Ausbildung zu machen, durch Sport oder kreatives Tun nach der Haftentlassung „die Weichen für ein besseres Leben [zu] stellen“, wie Bürgermeister Stefan Rosemann im Grußwort schreibt.

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