Zeitzeuge in SiegburgWerner Buhrow erzählt vom Ende des Krieges

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Werner Buhrow

Der heute 93-Jährige überlebte die letzten Kriegstage nur mit Glück.

Siegburg/Hennef – Das Panorama von Werner Buhrows Terrasse aus ist etwas Besonderes. Der Blick schweift über sanft geschwungene Wiesen in die Ferne, bis zu den beiden Wolsbergen, die in schönster Symmetrie den Michaelsberg rahmen, ein friedliches Bild. Doch vor etwas mehr als 75 Jahren hätte man sich kaum in diese Landschaft getraut, in alten Stollen und tiefen Kellern war man besser aufgehoben, wollte man nicht das Opfer der Maschinenkanonen von Tieffliegern oder der Artillerie der US-Truppen werden.

Für Buhrow, damals 18, gehörte ein gutes Quäntchen Glück dazu, die letzten Kriegstage an der Sieg zu überleben. In Köln-Kalk war seine Familie ausgebombt worden, mit seiner Mutter kam er bei der Großmutter in Weingartsgasse unter. Sein Vater war als Seefahrer eher selten bei der Familie.

So endete das NS-Regime in der Kreisstadt Amerikanische GIs gehen an der an der Siegburger Ringstraße.

So endete das NS-Regime in der Kreisstadt Amerikanische GIs gehen an der an der Siegburger Ringstraße.

Ein halbes Jahr Arbeitsdienst hatte Buhrow schon geleistet und das Weihnachtsfest 1944 mit Scharlach und Fieber in Wipperfürth verbracht. An der Sieg wurde er wie viele Altersgenossen für den Volkssturm verpflichtet und nach Merten gebracht, von dort sollte es weiter nach Siegen in den Einsatz gehen.

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In der Nacht versuchte er, noch ein paar Kameraden zur Flucht zu bewegen, ohne Erfolg. „Das war gefährlich, dafür drohte die standrechtliche Erschießung.“ Schließlich traute er sich allein, kletterte irgendwie über die Trümmer der gesprengten Eisenbahnbrücke und schaffte es nach Oberauel. Aber wie weiter? Nach zwei Stunden stellte er verzweifelt fest, dass er im Kreis gelaufen war. Er nahm all seinen Mut zusammen und klopfte an der Tür eines Fachwerkhauses. Größer hätte der Schrecken nicht sein können, als ihm ein Mann in deutscher Offiziersuniform öffnete. „Der sah mich an und wusste sofort, was los war“, schildert Buhrow. „Aber er schickte mich wieder weg.“

Die Stollen der Grube Ziethen wurden zum Luftschutz erweitert und mit Holzstempeln und Holzbalken gesichert.

Die Stollen der Grube Ziethen wurden zum Luftschutz erweitert und mit Holzstempeln und Holzbalken gesichert.

Buhrow schaffte es zurück nach Weingartsgasse, versteckte sich im Keller und schlief auf der Kartoffelkiste. Dann schloss er sich einem Treck von Heimkehrern an, die durch eine Furt in ihre Häuser nach Hennef wollten, wo bereits die Amerikaner lagen. Mehr als hüfttief war das Wasser, aus einiger Entfernung schossen deutsche Soldaten auf die Gruppe. Buhrow trug ein Kleinkind ans andere Ufer.

Drei Wochen Unterschlupf

Ein etwa 15 Jahre alter Junge mit einer Behinderung blieb zurück, weil sich sein schwerer Mantel mit Wasser vollgesogen hatte. Da ging seine Mutter noch einmal zurück, um ihm zu helfen, beide schafften es in Sicherheit. „Ein Fanatiker hatte den Schießbefehl gegeben“, ist sich Buhrow heute sicher, „aber die anderen schossen absichtlich daneben“. Sonst hätte wohl niemand überlebt. Bei der Familie durfte er drei Wochen bleiben, bis es am Ende die Amerikaner waren, die die Sieg in der anderen Richtung überquerten.

Die Ummigsbachbrücke in Seligenthal, 1927 fertiggestellt, wurde zum Kriegsende im April 1945 gesprengt.

Die Ummigsbachbrücke in Seligenthal, 1927 fertiggestellt, wurde zum Kriegsende im April 1945 gesprengt.

Der heute 93-Jährige, der 1962 in Seligenthal sein Haus baute, erinnert sich auch an die Sprengung der erst 1927 eröffneten Ummigsbachbrücke am 8. April 1945, den lauten Knall habe man weithin hören können. Oder an jenen Tag, als zwei Pferde Opfer von Tieffliegern auf der Wahnbachtalstraße wurden. Anwohner schnitten Fleisch aus den Kadavern, seine Mutter legte Keulenstücke für Sauerbraten in Essig ein.

Quälender Hunger

Immer wieder suchten die Menschen Schutz in den alten Bergwerksstollen der Grube Ziethen, was Buhrow schon aus Köln kannte, wo er sich im Luftschutzkeller hatte verbergen müssen. Schlimmer als die permanente Lebensbedrohung aber sei der stets quälende Hunger gewesen. „Heute gibt es wieder Symphonie-Suppe“, habe seine Mutter immer im Scherz gesagt, wenn sie irgendetwas halbwegs Koch- und Essbares aufgetrieben hatte. „Zum Glück hatten in Weingartsgasse alle ein bisschen Landwirtschaft.“ Einmal bekam er den Auftrag, in der Eifel Kleidung gegen Saatkartoffeln einzutauschen. „Die Fahrt habe ich auf dem Dach eines Eisenbahnwaggons verbracht.“

So wenig wie mit dem Volkssturm hatte er auch schon mit den Kölner Nazis zu tun haben wollen. Da er in Kalk Messdiener gewesen sei, habe er einen guten Draht zu den Pfarrern gehabt, und die hätten ihm immer wieder geholfen, sich den Appellen der Hitlerjugend zu entziehen. Seine politische Heimat sollte eine demokratische Partei werden: 1975 wurde er Stadtverordneter für die CDU.

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