Leiters des Gymnasiums zum AltenforstDie Finnen sind sein großes Vorbild

Gerhard Fischer, ehemaliger Leiter des Gymnasiums zum Altenforst
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Troisdorf – Fast 30 Jahre lang war Gerhard Fischer Leiter des Gymnasiums zum Altenforst. Doch ausgerechnet in den letzten Jahren vor dem Ruhestand, den er jetzt antrat, sah er sich einer Reform gegenüber, die sich kaum mit seinen Prinzipien vereinbaren ließ. Von G 8, der Verkürzung der Lernzeit von neun auf acht Jahre bis zum Abitur, hält er auch heute noch nichts. Eine Schule, die industrialisiertes Lernen anbiete und sich vor allem mit Fragen der Organisation beschäftige, ist ihm ein Gräuel. Für ihn gehört immer das Kind mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt.
Das hatte er auch im Blick, als er 2007 die 60 Minuten Stunde statt der üblichen 45-Minuten-Einheiten einführte. Anders wäre G 8 seiner Ansicht nach nicht zu realisieren gewesen. „Die Schüler waren mit bis zu acht verschiedenen Fächern am Tag einfach überfordert. Das allgemeine Zurückrudern wie in Niedersachsen, wo die Rückkehr zu G 9 beschlossen wurde, oder entsprechende Modellversuche in Nordrhein-Westfalen wundern ihn nicht. „Heute will es keiner mehr gewesen sein.“
Für stichhaltig hielt und hält er keines der für G 8 vorgebrachten Argumente. Schon gar nicht, dass zeitliche Verluste bei 13 Schuljahren zum Nachteil gegenüber Schülern aus anderen Ländern werden könnten. „Diese Verluste sind eher im Studium als in der Schule entstanden.“ Vor allem, wenn Studenten bei hohen Mieten und niedrigen BAföG-Sätzen nicht ohne Job über die Runden kämen. „Wer will, dass möglichst viele Kinder studieren, muss sich auch fragen, wer das finanziert.“ Jetzt kämen zudem viele Erstsemester vor dem Erreichen der Volljährigkeit an die Universitäten. Doch wer sich mit bestimmten Dingen auseinandersetze, brauche eine gewisse Reife, gerade wenn es um Philosophie, Geschichte oder Literatur gehe. Fischer sieht aber auch einen anderen Trend: „Die Schüler reagieren vernünftig und gehen erst einmal ins Ausland.“
In Bayern wurde Gerhard Fischer 1948 geboren. Er zog mit seinen Eltern nach Essen, als sein Vater, von Beruf Bäcker, eine Stelle als Bergmann antrat. Dem Studium in Bonn schloss sich 1976 ein Referendariat am Bodelschwingh-Gymnasium in Herchen an, dann folgten Stationen in Essen und bei der fachlichen Lehrerausbildung in Hennef. Im Dezember
Schulleiter wurde er 1985 am Gymnasium zum Altenforst Troisdorf. Fischer ist verheiratet und hat einen 27 Jahre alten Sohn.
Der Pädagoge ist begeisterter Leichtathlet und will sich im Ruhestand wieder stärker dem Sport widmen. 1971 wurde er Deutscher Meister in der Vier-Mal-400 Meter-Staffel. (ah)
Fischer wurde 1948 in Bayern geboren und zog nach Essen, als sein Vater den Beruf wechselte und vom Bäcker zum Hauer im Bergbau wurde. In Essen reifte auch sein Wunsch heran, Lehrer zu werden. Vorbild war sein Deutsch- und Geschichtslehrer Klaus Bergmann, mit dem er heute befreundet ist. Jahrgang 1937, habe dieser zu den jüngeren Lehrern im Kollegium des Gymnasiums gehört. Sein Geschichtsunterricht sei weiter gegangen als bis zum Ersten Weltkrieg- und ein klares Bekenntnis dazu enthalten, dass sich der Nationalsozialismus nie wiederholen dürfe.
„Es ist wichtig, dass man als Lehrer Kinder mag und gerne mit ihnen arbeitet“, ist Fischer überzeugt. Junge Kollegen müssten sich darüber Rechenschaft ablegen, ob das tatsächlich der Fall ist. Mit einem guten Examen und guten Fachkenntnissen sei es nicht getan. „Das ist nur die Basis. Wer sich nicht mit in der Rolle als Lehrer zurechtfände, frage sich sonst als Referendar »warum hat mir das keiner gesagt«.“ Vor allem müsse ein Lehrer Schüler für sein Fach begeistern können. Bei Fremdsprachenkenntnissen etwa werde das oft schwierig. „Fremdsprachenkompetenz bleibt eigentlich den Studenten überlassen“, so Fischer. Zu wenige gingen für einige Zeit ins Ausland, um die Sprachen auch wirklich zu beherrschen.
Auch für ihn ist Finnland ein Vorbild, wo aus 2000 Bewerbern nur 200 Lehrer durch ausführliche Interviews ausgewählt würden. „Das ist das eigentliche Geheimnis des finnischen Pisa-Erfolgs.“ Und da die erfolgreiche Bewerbung auch etwas über die Persönlichkeit der Bewerber aussage, hätten diese auch besonders gute Chancen auf dem Heiratsmarkt.
Fischer hat sich eingehend mit Reformpädagogik beschäftigt, vor allem mit der Jenaplan-Schule, deren Grundzüge schon in den 20er-Jahren entwickelt wurden und die seit 1989 unter anderem in Jena auch in die Praxis umgesetzt wurde. Mehrmals hat Fischer die thüringischen Kollegen besucht, was nicht ohne Eindruck blieb. In der Jenaplan-Schule werden Kinder von jeweils drei Jahrgängen gemeinsam betreut und unterrichtet, ab dem Vorschulalter bis zum Abitur. „Man diskutiert immer nur über horizontale Lösungen“, sagt Fischer, der überzeugt ist, dass bestimmte Probleme und Konkurrenzverhalten erst gar nicht entstehen, wenn Kinder unterschiedlichen Alters aufeinandertreffen und gegenseitige Hilfe und Verantwortung selbstverständlich sind. „Dass sich Kinder bestmöglich entwickeln, in dieser Umgebung geht das.“ Zu Mobbing könne es wahrscheinlich gar nicht erst kommen.
Genau diese Entwicklung ist in Fischers Vorstellung unabdingbar, denn er glaubt nicht mehr daran, dass die Schule Lücken schließen kann, die Kinder aus dem Elternhaus mit in die Schule bringen – auch wenn das 1968 noch anders gewesen sei. „Wir können nur dafür sorgen, das sich alle aufwärts entwickeln.“ Auch den „Bewertungszwang“ durch Noten hält er für kontraproduktiv. „Wenn es richtig ist, dass Lernen individuell ist, dann kann es nicht den einen Maßstab geben.“ Kinder dürften nicht an „Wissensquanten“ gemessen werden, sie bräuchten individuelle Rückmeldungen. Er fragt sich auch, ob das Schulsystem für Inklusion überhaupt geeignet ist, wenn schon über andere Lernziele für behinderte Schüler nachgedacht werde. „Zieldifferentes Unterrichten kann nicht funktionieren. Nicht in einem System, das auf Exklusion und auf Aussortieren beruht.“
Seine Idealvorstellung sind kleine Schulen mit maximal 400 Schülern und altersgemischten Klassen, nicht die großen „Fabriken der Gesamtschulen“, die schon alleine aus der Notwendigkeit entstünden, die riesigen Schulbauten aus den 70er- und 80er-Jahren weiter zu nutzen. Die Jenaplan-Schule habe für ihn und viele andere den Blick auf die Schule geändert. „Lehrer sollten erleben, dass Schule ganz anders aussehen kann.“