Sturm, Hitze, BorkenkäferWas wird nur aus den Wäldern im Rheinland?

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Sehnsuchtsort Wald: ein Spaziergänger im dichten Grün.

  • Stürme, Hitze und Käferplagen machen den deutschen Wäldern seit Jahren zu schaffen.
  • Mittlerweile hat auch die Politik erkannt, dass ihr Zustand bedrohlich ist.
  • Aber was nun? Die große Analyse.

Köln – Wenn es überhaupt etwas Positives gibt am Zustand des Waldes, dann dies: An Ausmaß und Verschärfung der Krise kann man sich nicht gewöhnen – sie finden ja vor aller Augen statt, jeder kann den Realitätstest machen – in der Eifel, im Sauerland, im Königsforst: Die toten Fichten, die fehlenden Rinden, die gelichteten Kronen – es ist „wirklich besorgniserregend“, wie Umweltministerin Ursula Heinen-Esser im Waldzustandsbericht für NRW feststellt.

Die Zahlen, die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner im März bei der Vorstellung der Waldzustandserhebung 2020 nannte, sind schockierend: Allein 2020 gingen 138000 Hektar Wald verloren, insgesamt müssen 277000 Hektar aufgeforstet werden. Das Saarland, beliebter Größenvergleich-Goldstandard, misst 257000 Hektar. 171 Millionen Kubikmeter Schadholz warten in den Wäldern auf den Abtransport. In normalen Jahren wurden zwischen 70 und 80 Millionen Kubikmeter Holz entnommen.

Aber das war vor der menschengemachten Heimsuchung, die Heinen-Esser mit dem apokalyptischen Dreisatz beschreibt: „Orkanartige Stürme, extreme Dürrephasen und in der Folge eine explosionsartige Vermehrung von Borkenkäfern.“ Ergebnis: „In weiten Teilen Nordrhein-Westfalens sind die Fichtenbestände auf großen Flächen inzwischen vollständig abgestorben.“ Die Gründe dafür sind vielschichtig. Ein Überblick

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Wetter und Klima

Pünktlich zum Frühlingsanfang gab es fast so etwas wie eine gute Nachricht: „Der Wald in Nordrhein-Westfalen ist besser aus dem Winter gekommen als in den Jahren zuvor“, teilte Ministerin Ursula Heinen-Esser mit: „Nach drei schweren Jahren gibt es einen Lichtblick im Kampf gegen den Borkenkäfer, und der feuchte Oberboden bietet Jungpflanzen gute Startbedingungen.“ Der Bonner Klimatologe Karsten Brandt verweist darauf, dass der zurückliegende Winter im Schnitt erneut deutlich zu warm war – trotz der teils erheblichen Frostperioden und Temperaturschwankungen von 40 Grad innerhalb weniger Tage von minus 20 auf plus 20 Grad – was selbst für den Borkenkäfer zu viel gewesen sein könnte.

Waldserie-Online-Teil-1-Fichte

Die Regenmenge im Januar sei recht erfreulich gewesen, sagt Brandt, in den Höhenlagen ab etwa 500 Meter gab es zudem ausgedehnte Schneedecken, was dem Boden auch guttut. Aber Wetter ist das eine, Klima ist das andere: „Die Niederschlagsmenge hat in den letzten über 120 Jahren eigentlich nicht abgenommen“, sagt Brandt, „im Jahresmittel hat sie sogar eher zugenommen. Da versteht man eigentlich nicht, warum die Bäume solche Probleme haben.“

Es kommt aber nicht auf die Menge an – entscheidend sei, dass Pflanzen das Wasser dann zur Verfügung haben, wenn sie es brauchen – in den Blüh- und Wachstumsphasen rund um den April. „Wichtig ist nicht nur, wie viel Wasser reingeht in den Wald, sondern auch was wieder rausgeht“, sagt Brandt, der in Bonn den Wetterdienst „Donnerwetter“ betreibt. „Wir haben also seit 100 Jahren eine ganz leichte Zunahme des Niederschlags, aber jetzt eine drastische Zunahme der Verdunstung. Das und die immer längeren Trocken- und Hitzeperioden in den Vegetationsphasen der Pflanzen – das führt zu dem Waldschadensbild, das wir zurzeit haben.“

Waldserie-Online-Teil-1-Kiefer

Brandt beschreibt den aufgeheizten Kreislauf der vergangen drei Jahre: „Bei Wärmewellen steigen die Temperaturen nicht auf 30 oder 33 Grad – wie noch in den 90ern. Nein, es werden jetzt 40 Grad und mehr. Das ist der Unterschied, ein extremes Aufheizen in kürzester Zeit: wenn der Boden dann ausgetrocknet ist – dann kann nichts verdunsten; und wenn nichts verdunstet, heizt sich der Boden noch mehr auf.“

Im Wald

Man sieht den Bäumen nicht immer an, wie es ihnen geht. Friedrich Louen vom Landesbetrieb Wald und Holz NRW erzählt: „Wenn der Borkenkäfer eine Fichte angreift, dann kann es gut sein, dass die Krone noch intakt ist und die Nadeln grün und gesund aussehen – am Stamm haftet aber keine Rinde mehr: Dieser Baum ist dann schon tot, er weiß es vielleicht noch gar nicht so richtig. Das gilt auch für andere Bäume – wenn die Rinde sich ablöst, besteht kaum Hoffnung.“

Waldserie-Online-Teil-1-Buche

Im Jahr 2020 hatten vier von fünf Bäumen lichte Kronen – das betraf 89 Prozent aller Buchen, 80 Prozent aller Eichen und Kiefern sowie 79 Prozent der Fichten. „Es gibt eine Faustregel“, sagt Louen, „wenn man im Sommer durch die Baumkronen hindurch den Himmel sehen kann, ist das ein schlechtes Zeichen. Mal fehlen einzelne Blätter, mal ganze Äste – je mehr fehlt, desto schlechter geht es dem Baum.“ Ein gesunder Baum ist bestrebt, so viel Licht wie möglich zu nutzen. Bäume unter Trockenstress aber verkleinern ihre Fläche. „Das ist das Zeichen, dass sie leiden“, sagt Louen.

Aufforstung

„Waldwirtschaft“, sagt Louen, „muss 100 Jahre und mehr vorausschauen – was natürlich einerseits ausgesprochen ambitioniert ist, andererseits aber in etwa einer Baumgeneration entspricht.“

Das Waldbaukonzept NRW sieht vor, dass in erster Linie der Standort entscheidend ist für die Frage, welche Baumart gepflanzt oder gefördert werden sollte. Und es soll gemischt werden: „Es darf nicht auf eine Baumart gesetzt werden, wie das in der Vergangenheit mit der Fichte geschehen ist.“ Das NRW-Konzept sieht eine Mischung von vier Baumarten vor.

Waldserie-Online-Teil-1-Eiche

Die Idee ist, dass die Baumarten sich ergänzen und unterschiedliche Bodenarten und -tiefen erschließen und nutzen. Es besteht die Hoffnung, dass wenn eine Art leidet oder gar abstirbt, die drei anderen Baumarten noch da sind. „Das Ziel ist eine gewisse Stabilität im System Wald“, sagt Louen, „und nicht solche Totalausfälle wie im Augenblick.“

Einheimische Baumarten wie Buchen und Eichen, die sich über Jahrhunderte evolutionär angepasst haben, sollen den Kern der Wiederbewaldung bilden. Diese können ergänzt werden durch Baumarten, mit denen längerfristige Erfahrungen vorliegen – die Douglasie, die Weißtanne, auch die Edelkastanie, die Esskastanie, die amerikanische Roteiche. „Man muss auch auf die genetischen Herkünfte schauen“, sagt Louen, „manche einheimischen Eichenarten wachsen ja bis hinunter nach Kroatien, die sind hinreichend trockentolerant.“

Im Königsforst

Die Leute von Wald und Holz NRW begegnen regelmäßig der Forderung, man solle den Naturwald sich selbst überlassen. Forstamtsleiter Stephan Schütte arbeitet im Königsforst und hat dazu eine dezidierte Haltung; „Es gibt in Deutschland keinen Naturwald.“ Aller Wald im Land sei Kulturwald, menschengemacht. Als 1815 die Preußen ihre Fichtenkulturen anlegten, war die Landschaft kahl. Holz wurde in Ermangelung anderer stabiler und günstiger Baustoffe verbaut und vor der industriellen Förderung der Kohle wurde das Holz einfach verheizt – bis nichts mehr da war.

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Die nächsten großen Aufforstprogramme waren notwendig nach dem Zweiten Weltkrieg: Das was vom deutschen Wald noch stand, wurde als Reparationsleistung etwa nach England transportiert. 100.000 Hektar Wald wurden alleine dafür gerodet. Dann brauchte Deutschland wieder Holz, und wieder wurde auf die Fichte gesetzt. In kommunalen Wäldern ebenso wie in Privatwäldern, die in NRW zwei Drittel der Flächen ausmachen. „Diese Entscheidung sollte man im Nachhinein nicht kritisieren“, sagt Schütte, „das hat ja gut geklappt, bis der Klimawandel durchschlug.“

Der Baum hat sich bewährt, bis der Mensch die Bedingungen geändert hat. Seither stirbt der Baum auch in Kanada und in den USA. In NRW werden 70000 Hektar Wald aufgeforstet, allein im Königsforst 3000 bis 4000 Hektar. Das braucht Handarbeit und Expertise. „Der neue Wald entsteht nicht von selbst“, sagt Schütte. Er verweist auf ein Wäldchen, das man vor Jahren schon sich selbst überlassen hat. Ergebnis: „Es ist immer die Birke, die sich durchsetzt“, sagt er. Sie ist der Baum, der zuerst anschlägt im Jahr und sich dann durchsetzt.

Eine Million Bäume werden im Forstamtsbereich Rhein-Sieg-Erft in diesem Winterhalbjahr gepflanzt – Eichen, Buchen, Hainbuchen, drei Jahre alte Pflanzen, zu groß für das Rehwild und trotzdem in Hüllen geschützt gegen Bissattacken. Birken, Weiden und Kiefern kommen auf natürlichem Weg dazu. Wenn alles klappt.

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