Visionen fürs RheinlandWie werden wir im Jahr 2030 leben?

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Strahlend oder eher düster? Wie die Zukunft des Rheinlands aussieht, haben wir selbst in der Hand.

  • Das Rheinland erstickt im Verkehr, Wohnen wird in den Metropolen für viele Menschen unbezahlbar, Gewerbe- und Industrieflächen sind knapp, der Flächenverbrauch enorm, zudem zwingt der Klimawandel zum Umdenken.
  • Welche Auswege gibt es aus dieser Krise für eine Region, in der immer mehr Menschen leben wollen?

Deutlicher kann man es nicht formulieren. „Das Rheinland investiert Milliarden ohne ein Ziel vor Augen“, sagt Reimar Molitor (49), Geschäftsführer des Kommunalvereins Region Köln/Bonn. Der Verein wurde vor knapp einem Vierteljahrhundert gegründet. Er ist ein Zusammenschluss von Köln, Bonn, Leverkusen, den Kreisen Rhein-Sieg und Rhein-Erft, des Rhein-Kreises Neuss, des Oberbergischen und des Rheinisch-Bergischen Kreises. In dieser Region leben rund 3,6 Millionen Menschen. Das sind 20,3 Prozent der Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen auf einer Fläche, die gerade mal 12,9 Prozent des Landes ausmacht.

Bis 2040 werden es noch einmal 200 000 Menschen mehr sein. Das Wachstum wird sich – wie in der Vergangenheit – jedoch sehr unterschiedlich verteilen. Die Einwohnerzahl von Köln stieg zwischen 2000 und 2016 um zehn Prozent, im gleichen Zeitraum verlor der Oberbergische Kreis fünf Prozent seiner Bürger. Im Durchschnitt lag der Bevölkerungszuwachs bei 4,7 Prozent. In Köln wohnen auf einem Quadratkilometer 2657 Menschen, im Oberbergischen sind es 297.

Und diese prosperierende Region investiert Milliarden „ohne ein Ziel vor Augen?“ Das ist eine steile These und angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen die rheinischen Metropolen, allen voran Köln, aber auch Bonn und Düsseldorf stehen, einer Überprüfung wert. Das Rheinland erstickt im Verkehr, der Wohnungsmarkt ist ausgereizt, Mieten und Immobilienpreise haben die Grenzen des Bezahlbaren längst überschritten, Gewerbe- und Industrieflächen werden knapp, der Flächenverbrauch ist enorm, der Klimawandel zwingt zum Umdenken.

Wie wollen wir leben?

Molitor

”Wir schaffen eine Startrampe für einen Regionalplan, der uns bis 2040 trägt“, sagt Reimar Molitor.

Wie wollen wir im Rheinland 2030 leben? Welche Visionen müssen wir entwickeln, um für all diese Probleme Lösungen zu finden, damit die Lebensqualität des Ballungsraums zumindest erhalten bleibt? Der Bevölkerungsdruck auf die „dicken Hunde“, wie Reimar Molitor Köln, Düsseldorf und Bonn bezeichnet, ist dermaßen groß, dass es auch um die Frage geht, wer sich das Rheinland in zehn bis 15 Jahren überhaupt noch leisten kann. Eine Region, die für Lokführer, Krankenschwestern, Altenpfleger, für den klassischen Mittelstand unbezahlbar wird, ist auf Dauer nicht konkurrenzfähig.

Immerhin: Die Erkenntnis ist gereift, dass es so nicht weitergehen kann. Der Kommunalverein Region Köln/Bonn ist endlich aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Im Sommer 2019 will er ein Strukturkonzept vorlegen, das den mehr als 3200 Kommunalpolitikern der Region helfen könnte, kluge Entscheidungen zu treffen. Kein Leitbild, sondern ein Leitfaden, der kontinuierlich weitergesponnen werden soll. Zumindest stellt sich das der Verein Region Köln/Bonn so vor.

Vier Teams von Stadt-, Verkehrs- und Landschaftsplanern arbeiten seit zwei Jahren an Lösungen, entstehen soll eine Art Handbuch für die Region. Darin zusammengefasst die besten Ideen als Basis für einen neuen Regionalplan, den die Bezirksregierung Köln aufstellen und der dann bis ins Jahr 2040 gelten wird.

Neue Serie „Rheinland 2030. Unsere Zukunft“

Molitor spricht von einem So-wäre-es-gut-für-uns-alle-Bild, das die Region in einen stabilen Zustand bringen soll. Solche Gesamtpläne für Ballungsräume sind in der Schweiz längst üblich. In Fachkreisen werden sie Agglomerationskonzepte genannt. Kommunen, die nur ihre eigenen Interessen verfolgen und die Region vernachlässigen, haben dort kaum noch Chancen, an Fördergelder zu kommen.

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ nimmt das Projekt der Region Köln/Bonn zum Anlass für eine neuen Serie: „Rheinland 2030. Unsere Zukunft“. Wir analysieren den Ist-Zustand, sprechen mit Wissenschaftlern, Verkehrs- und Umweltexperten sowie Unternehmern, die sich detailliert den Problemen einer Wachstumsregion stellen. Die Serie geht damit deutlich über das hinaus, was die vier Städteplaner-Teams im Auftrag des Kommunalvereins Region Köln/Bonn erarbeiten.

Das ist schon deshalb notwendig, weil das Rheinland nicht an der Stadtgrenze zu Düsseldorf endet. Auch die Region Aachen ist selbstverständlich einbezogen, beides Gebiete, denen sich der Kommunalverein nur am Rande widmet, weil sie nicht zu seinen Mitgliedern zählen. Damit ist zugleich ein Problem benannt, das in unserer Serie auch zum Thema wird: Wo beginnt das Rheinland, wo hört es auf? Wo macht die Zusammenarbeit Sinn? Wie weit darf sie gehen, ohne die lokalen Identitäten zu beschädigen?

„Wir müssen dahin gehen, wo es wehtut“, sagt Reimar Molitor. Die Region müsse spätestens 2040 in einer Balance sein, dürfe nicht weiter auseinanderfallen. „Das ist das Hauptziel. Drunter können wir es nicht angehen. Wir liefern die Vorarbeit, drei Jahre lang haben wir uns damit befasst, und schaffen damit eine Startrampe für einen Regionalplan, der uns trägt.“ Es gehe um eine integrierte Siedlungs- und Mobilitätsentwicklung. Der öffentliche Nahverkehr spiele dabei die entscheidende Rolle. „Wenn wir das System nicht massiv ausbauen, wird die Region ihre Bewegungsfähigkeit endgültig verlieren.“

So viel steht jetzt schon fest: Die Lösung der Verkehrsprobleme ist für alle Experten der Schlüssel für die Entwicklung des Rheinlands in den kommenden 20 Jahren.

Mehr Mobilität, weniger Verkehr

Der private Verkehr wird bis 2040 im Rheinland noch etwas zunehmen, in den Stadtzentren aber leicht an Bedeutung verlieren. Auf den Autobahnen des Rheinlands wird sich die Lage trotz des Ausbaus weiter verschärfen. Das liegt vor allem am Transitverkehr, an dem Lkw einen immer höheren Anteil haben werden. Im Berufsverkehr werden Autofahrer auf dem Kölner Ring und auf den Autobahnen Richtung Bonn doppelt so lange unterwegs sein wie zu Schwachlastzeiten. Das gilt auch für die Bahntrassen entlang der Rheinschiene, weil es bis 2040 nicht gelingen wird, den Personen- und Güterverkehr strikt voneinander zu trennen.

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Das Rheinland erstickt im Verkehr.

Intelligentes Mobilitätsmanagement wird zukünftig vor allem in den Großstädten zu einem deutlich veränderten Nutzerverhalten führen, der private Pkw-Anteil in den Zentren von Köln, Bonn und Leverkusen zurückgehen. Angebote von Car- und Bike-Sharing werden zum Alltag gehören. „In meinem Idealbild müssen wir so schnell wie möglich dazu kommen, dass innerhalb der Kölner Ringe keiner mehr individuell fahren kann“, sagt Professor Günther Schuh von der RWTH Aachen, der Erfinder des Postautos Streetscooter und des mit Strom betriebenen Kleinwagens e.Go. „Dort bewegt man sich mit autonom fahrenden E-Movern fort.“

Diese Kleinbusse mit Elektroantrieb sollen zusätzlich zum Stadtbahnnetz einen großen Teil des Transportaufkommens übernehmen. „Sie fahren wie ein Pkw, passen auf jeden Pkw-Parkplatz und dominieren das Straßenbild.“ Die ersten Testgebiete soll es schon in dem kommenden Jahren geben – zum Beispiel in Monheim. Keine Staus mehr, kein Herumfahren, keine Parkplatzsuche.

Keine Einfamilienhaus-Teppiche mehr

Einfamilienhaus-Siedlungen ohne Bahnanschluss wie im Kölner Stadtteil Widdersdorf-Süd müssen nach Ansicht der Stadtplaner zur absoluten Ausnahme werden. Für Robert Broesi und Jan Benden, Geschäftsführer des Stadtplanungsbüros Must in Köln, sind sie aus zwei Gründen tabu. Weil sie viel Fläche verbrauchen, noch mehr Individualverkehr erzeugen und damit die Straßen weiter verstopfen. Weil der Bau von Bahntrassen in Deutschland viel zu lange dauert, wollen sie den umgekehrten Weg gehen: „Wir untersuchen, an welchen Bahnhaltepunkten es noch Potenzial für Wohnungsbau mit einer verträglichen Dichte gibt. Und dabei kann es dann nur um Geschosswohnungsbau gehen.“

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Die beiden Stadtplaner fordern, dass die kleineren Städte rund um Köln und Bonn urbaner werden. „Junge Familien, die aus Köln wegziehen, tun das mit Bauchschmerzen. Wir müssen den Druck über die Region verteilen. Das ist gut für Köln und Bonn und stärkt die anderen Ortskerne“, sagt Broesi. Von einer „Perlenkette neuer Städtchen rund um Köln “, spricht der Kölner Stadtplaner Dominik Geyer.

Die Schiene als Rückgrat

Trotz Rhein-Ruhr-Express, der mit fünf Linien und im 15-Minuten-Takt zwischen Dortmund und Köln 2030 fahren soll, und des Ausbaus des S-Bahnnetzes rund um Köln – bis 2040 wird diese Kapazitätserweiterung von der Nachfrage wegen der wachsenden Bevölkerung vollständig aufgesogen. Zu diesem Ergebnis kommen die Verkehrsexperten in ihrer Untersuchung. Die Zahl der Bahnpendler wird wachsen, das Nahverkehrsnetz im Zulauf auf die Zentren überlastet bleiben. Zusätzliche Reserven für weitere Urbanisierungsprozesse und steigende Einwohnerzahlen gibt es auf der Schiene nicht mehr.

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Alle wollen und müssen mobil sein. Die Wirklichkeit heißt aber häufig: Stillstand und Verspätung.

Hinzu kommt: Weil im Umland, vor allem im ländlich geprägten Oberbergischen und in weiten Teilen der Eifel das Bahnangebot so unterentwickelt ist, sind die Menschen weiterhin gezwungen, mit dem Auto zur Arbeit nach Köln oder Bonn zu fahren.

„Die Modernisierung und der Teilausbau der Infrastruktur ist zwingend notwendig, um die Mobilität in der Region zu sichern“, schreiben die Verkehrsexperten in ihrer Grundlagenstudie. Das sei aber kein „dauerhafter und universeller Problemlöser“. Der Ausbau sichere zwar die Mobilität, aber es seien kaum Steigerungen in der Qualität zu erwarten.

„Kölns Stärke ist Kölns Schwäche“, sagt Tristan Lannuzel, Stadtplaner des Büros Urbanista aus Hamburg. „Wir müssen die Fokussierung auf die Zentren durchbrechen. Die radiale Weiterentwicklung von Köln, Bonn und Düsseldorf erstickt sich selbst.“

Problem erkannt. Die Serie „Rheinland 2030 – Unsere Zukunft“ sucht nach Auswegen aus diesem Dilemma.

4 Thesen zur Zukunft im Rheinland

These 1: Kernstädte vom Wachstumsdruck entlasten

Um den Wachstumsdruck zu entlasten, der auf den Kernstädten Köln, Bonn und Düsseldorf liegt, gilt es, die nachgefragten Standortqualitäten mehr über die gesamte Region zu verteilen. Das geht nur durch dichteres Bauen. Die Nachteile der Verdichtung können durch die Strategie einer dreifachen Innenentwicklung ausgeglichen werden. Erstens Nutzungen von Wohnen und Gewerbe mischen, Gebäude hinzufügen und erweitern, zweitens Dächer und Fassaden begrünen, drittens Siedlungen mit Car-Sharing, Fahrrad-Verleihstationen und ÖPNV-Anschluss ausstatten. Die Nachfrage nach urbanen integrierten Standorten können Köln und Bonn nicht mehr erfüllen. Das müssen die kleineren Kommunen übernehmen.

Must Städtebau Köln/Amsterdam

These 2: Urbane Kandidaten auf der zweiten Ebene

Köln, Bonn und Düsseldorf müssen nicht alles alleine machen, sonst können sie ihre Metropolen-Funktion nicht mehr wahrnehmen. Sie ersticken sich selbst. Wir brauchen Kernstädte als zweite Ebene. Urbane Kandidaten mit gestärkten Zentren, dichterer Bebauung, vielfältigen, erschwinglichen Wohnangeboten. Sie entlasten die Metropolen. Die Region Köln-Bonn hat einen genauso hohen Anteil an Ein- und Zweifamilienhäusern wie das Schweizer Bergkanton Uri. Investitionen in Straßen werden das Problem nicht lösen. Der ÖPNV ist nicht an die Siedlungsstruktur angeschlossen und umgekehrt. Wir müssen in Einwohnern denken, nicht in Flächen.

Urbanista Stadtentwicklung, Hamburg

These 3: 2045plus – Die Region wird staufrei

Mobilität zeichnet sich nicht dadurch aus, so viele Wege wie möglich zurücklegen zu können. Sie zeichnet sich vielmehr dadurch aus, so wenig Wege wie möglich zurücklegen zu müssen. Die aktuelle regionale Arbeitsteilung wird dem nicht gerecht. Natürlich braucht man neue Verbindungen, aber wir setzen vor allem auf Verkehrsvermeidung. Es gibt viele Trends in der Mobilität: Sharing, Vernetzung, Digitalisierung. Wir müssen sie für spezifische Räume entwickeln. Dazu brauchen wir einen Mobilitätsverbund. Bike-Sharing funktioniert in Köln, aber nicht im Bergischen. Das Rheinland muss zur Experimentierregion für Mobilität werden. So können wir 2045 trotz mehr Mobilität staufrei werden. Auf der Straße und der Schiene.

Stadt- und Regionalplanung Dr. Jansen, Köln

These 4: Mülheim als zweiter Hauptbahnhof für Köln

Die Vielseitigkeit der Region ist ein großes Plus. Mit kleinen Maßnahmen einen Quantensprung erreichen – das ist unsere Hauptidee. Die Verkehrsprobleme des Rheinlands lassen sich nur auf der Schiene lösen. Dessen Basis ist extrem gut. Man könnte die Kapazität vervierfachen. Es gibt nur eine Engstelle, den Hauptbahnhof mit der Hohenzollernbrücke. Köln braucht einen zweiten Hauptbahnhof in Mülheim. Daran hängen Bergisch Gladbach und die Region Leverkusen. Die weiteren Hubs für den Fernverkehr sind Düsseldorf und Siegburg/Bonn. Das S-Bahn- und das Straßenbahn-System müssen strikt getrennt, die langen KVB-Linien 16 und 18 ins S-Bahnnetz integriert werden.

Van de Wetering, Atelier für Städtebau, Zürich

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