Ab in die TonneWie Amazon im großen Stil Retouren vernichtet

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Der Online-Handel lässt die Innenstädte zunehmen veröden. 

Ressourcen schonen, ehrgeizige Klimaziele erreichen, umdenken? Für den Onlineversandhändler scheint das alles nicht zu gelten. Weiterhin lässt das Unternehmen regelmäßig neuwertige Ware, darunter Kleidung, Spielzeug, T-Shirts, Bücher und Elektroartikel, vernichten. Undercover ließ die Umweltorganisation Greenpeace einen Mitarbeiter in das Amazon-Logistikzentrum im niedersächsischen Winsen (Luhe) einschleusen, der dort mehrere Wochen gearbeitet und zahlreiche Vorfälle dokumentiert hat.

Im Vorfeld der Recherche hatte Greenpeace Hinweise bekommen, Amazon plane eine Umgehung gesetzlicher Bestimmungen. Recherchen des ARD-Magazins „Panorama“ und der Wochenzeitung „Die Zeit“ belegen das. Die Aufnahmen und Aussagen dokumentieren eine offenbar fest in den Produktionsablauf des Winsener Zentrums integrierte Abteilung mit acht Arbeitsplätzen, an denen regelmäßig Neuware entsorgt wird.

Dort holen Amazon-Beschäftigte originalverpackte Ware aus der Verpackung und sortieren die noch gebrauchsfähigen Produkte nach den Kriterien der Mülltrennung in die jeweiligen Müllpaletten. Die Arbeitsbereiche sind als „Destroy-Stationen“ gekennzeichnet. Allein aus dem Lager in Winsen soll mehrmals im Monat Neuware abgeholt und zu einem Entsorgungsunternehmen gebracht werden, das die Ware verbrennt oder zu Putzlappen verarbeitet.

Vernichtet wird laut den Recherchen in Winsen vor allem nichtverkaufte Ware von Dritthändlern, die ihre Ware über das Onlineportal von Amazon verkaufen.

Amazon bietet ihnen unter anderem die Entsorgung an, wenn etwa ihre bei Amazon gelagerten Waren über einen bestimmten Zeitraum hinweg nicht verkauft wurden. Einer der Betroffenen, Christian Pietsch, dessen Unternehmen über Amazon Lederwaren anbietet, bestätigte das gegenüber „Panorama“. Man müsse die Artikel binnen einer gewissen Zeit verkaufen, weil sonst hohe Langzeitlagergebühren anfielen, hieß es da.

Eine öffentlich zugängliche Preisliste von Amazon für Dritthändler, „gültig ab April 2021“, belegt das. Darin heißt es: „Die Langzeitlagergebühr wird nicht berechnet, wenn vor der Erhebung der Gebühr eine Entfernung oder Entsorgung der Einheiten angefordert wurde.“

Selbst für die Entsorgung gibt es eine Gebühr, wie einer Preisliste zu entnehmen ist. Der Onlineversandhändler bestreitet die Vernichtung von Neuwaren nicht. Man arbeite aber daran, möglichst gar keine Produkte zu deponieren. „Nur wenn wir keine andere Möglichkeit mehr haben, geben wir Artikel zum Recycling oder zur Energierückgewinnung – oder als allerletzte Option – zur Deponierung“, hieß es vom Unternehmen. Es handele sich dabei um wenige Produkte, die Zahl befände sich im „Promillebereich“. Wie viele Tonnen Neuware das übersetzt bedeutet, verrät der Konzern allerdings nicht.

Amazon steht wegen der Entsorgung von Neu- oder Retourware nicht erstmals in der Kritik. Nach einer Reihe von Medienberichten kündigte Bundesumweltministerin Svenja Schulze im Februar 2020 an, die Unternehmen stärker in die Verantwortung zu nehmen: Man wisse, dass neuwertige Ware vernichtet wird. „Das ist etwas, dem ich jetzt endlich einen Riegel vorschieben will“, so Schulze damals. Die Unternehmen hätten dafür zu sorgen, dass die „Gebrauchstauglichkeit“ ihrer Waren erhalten bleibe. Eine sogenannte Obhutspflicht sollte Abhilfe schaffen, damit neuwertige Produkte nicht einfach im Abfall landen.

Gesetz wird nicht umgesetzt

Das Gesetz gilt seit 2020, aber es wird bislang mangels notwendiger Verordnungen nicht umgesetzt. An denen werde bereits gearbeitet, so Schulze vor mehr als 15 Monaten. Bis heute kam es aber zu keiner einzigen Verordnung. Das Bundesumweltministerium verweist darauf, man betrete mit der gesetzlichen Obhutspflicht juristisches Neuland. Vor konkreten Rechtsverordnungen müsse man wissen, wie viele Waren überhaupt vernichtet werden.

Angesichts der Pandemie geht es dem weltgrößten Onlinehändler wirtschaftlich ausgezeichnet. Im ersten Quartal nahm der Umsatz im Jahresvergleich um 44 Prozent auf 108,5 Milliarden Dollar (89,5 Mrd Euro) zu, wie der Konzern Ende April mitteilte. Den Gewinn erhöhte Amazon um mehr als das Dreifache auf den Rekordwert von 8,1 Milliarden Dollar. Für das laufende Vierteljahr erwartet man trotz pandemiebedingter Sonderkosten einen Betriebsgewinn von 8 Milliarden Dollar.

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