Ex-US-Sicherheitsberater zu Afghanistan„Es drohen neue nukleare Risiken“

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Ein Kämpfer der Taliban

  • Donald Trump holte John Bolton im April 2018 als Nationalen Sicherheitsberater ins Weiße Haus.
  • Diesen Job warf der heute 73-Jährige nur 17 Monate später wieder hin, unter anderem wegen eines Streits um das Thema Afghanistan.

Mr. Bolton, Sie haben sich, solange Sie noch im Weißen Haus waren, gegen den schon damals von Trump geplanten Abzug aus Afghanistan gestemmt. Warum? Sind 20 Jahre Stationierung von US-Soldaten am Hindukusch nicht genug?

Jetzt mal ehrlich: Was sind schon 20 Jahre? In Deutschland waren wir 45 Jahre stationiert, bis die Mauer fiel. Auch danach sind wir, wie Sie wissen, geblieben. Und das ist genau richtig so. Denn Amerikas Präsenz in Mitteleuropa liegt im beiderseitigen strategischen Interesse. Jede Abzugsdebatte schadet da nur. Für Südkorea und Japan gilt das Gleiche. In diesem Sinne hätte man auch über Zentralasien reden sollen: ganz nüchtern, interessenorientiert.

Die Mehrheit der Amerikaner war aber, wie Umfragen gezeigt haben, des Afghanistan-Einsatzes längst müde.

Heute ist eine Mehrheit entsetzt über das Chaos in Kabul. Es kommt sehr darauf an, wie ein US-Präsident seine Politik begründet. Die Amerikaner können, das Beispiel Deutschland zeigt es, in Wirklichkeit auch sehr geduldig sein, wenn ihnen klar wird, dass es um langfristige strategische Interessen geht.

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John Bolton

In Afghanistan war feierlich von „nation building“ die Rede, man bohrte Brunnen, baute Mädchenschulen. Hat der Westen sich selbst und anderen die falsche Geschichte erzählt?

Ich war immer dafür, den Leuten reinen Wein einzuschenken. Wir sind nicht nach Afghanistan gegangen, um dort ein zentralasiatisches Musterland aufzubauen, so sehr ich den Afghanen jeden zivilen Fortschritt wünsche. Es ging in Afghanistan um Sicherheitsinteressen der USA und des westlichen Bündnisses, Punkt. Nach dem Anschlag aufs World Trade Center haben wir das Terrornetzwerk Al-Kaida zerstört, dem das Taliban-Regime Schutz und Schirm geboten hatte. Und danach haben wir es auch hinbekommen, dass die Taliban nicht zurückkehren. Jetzt aber, nach dem von Trump geplanten und von Biden durchgezogenen Rückzug, einem gravierenden weltpolitischen Stockfehler, bei dem die Kontrahenten kurioserweise einig sind wie Tweedledee und Tweedledum, passiert genau das: Wir fallen zurück in einen Zustand wie vor dem 11. September 2001. Darin liegt sicherheitspolitisch ein Risiko für die gesamte Welt.

Viele sagen, die Taliban seien doch inzwischen gemäßigt.

Wir dürfen jetzt bitte nicht naiv sein, sondern müssen genau hinsehen. Was genau machen sie mit den Frauen? Wie gehen sie mit ihren politischen Gegnern um? Ich bin da ehrlich gesagt nicht optimistisch. Die haben sich doch nicht 20 Jahre lang mühsam versteckt, um jetzt zu sagen: Okay, nun ist ein guter Moment gekommen, um unsere Grundsätze aufzugeben. Statt neue Illusionen aufzubauen, sollten wir den neu entstehenden Bedrohungen ins Auge sehen.

Was haben Sie da konkret vor Augen?

In Afghanistan drohen neue nukleare Risiken, nicht morgen oder in 30 Tagen, aber mittelfristig. Viele übersehen einen wichtigen Punkt. In Afghanistan ging es nie nur um Afghanistan. Unsere Präsenz dort hat immer auch dazu gedient, Informationen aus zwei problematischen Nachbarländern mit Nuklearprogrammen zu sammeln, Pakistan und Iran. Unsere Fähigkeit, die Region zu durchleuchten wird jetzt durch den Abzug reduziert. Dass auch die Taliban an Atomwaffen interessiert sind, wissen wir bereits seit 2001.

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Ist es nicht aber für das arme Afghanistan noch ein weiter Weg bis zur Atommacht?

Gegenfrage: Was passiert im Fall eines Umsturzes in Pakistan? In einem Szenario mit Kontrollverlust könnten Fundamentalisten, die bereits den Einsturz des World Trade Centers bejubelt haben, in den Besitz der Atombombe gelangen. Man braucht keinen B-52-Bomber, um sie dann etwa in die USA zu bringen. Man kann damit über die mexikanische Grenze fahren, man kann damit auch in den Hafen von New York segeln. Ich bin für „forward defense“, für wachsame Präsenz in problematischen Regionen. Leider haben mittlerweile schon drei US-Präsidenten hintereinander wenig Verständnis für diesen Ansatz gezeigt: Biden, Trump und Obama. Aus dieser fortgesetzten Politik der Schwäche zieht jetzt die Welt ihre Schlüsse. Für viele Menschen ist das bedrückend, etwa in Taiwan, der Ukraine oder Belarus.

In China höhnte eine Staatszeitung, die zerstobene reguläre Regierung in Kabul zeige, wie es jenen ergehe, die auf die USA vertrauten.

Damit beschreiben Sie exakt das Glaubwürdigkeitsproblem, das Biden jetzt für die USA geschaffen hat – und nebenbei gesagt auch für sich persönlich. Die Wirren in Kabul haben sein Ansehen als außenpolitisch besonders engagierter und versierter Präsident beschädigt. Noch schlimmer ist, dass Biden seine gute Idee, die Demokratien der Erde enger zusammenzuführen, eigenhändig sabotiert. Eben noch sprach er davon, Amerika sei zurück, nun gehe es um ein Bündnis aller Menschen, denen Freiheit wichtig ist. Und dann schubst er die Afghanen unter den Bus. Beim besten Willen: Das passt nicht zusammen.

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