Amerika-Experte„Wären die Wahlen 2022, wäre Trumps Kandidatur sehr sicher“

Ex-Präsident Donald Trump
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Die USA stecken in der Krise: Die Gesellschaft ist gespalten, Präsident Joe Biden scheitert an den eigenen Parteikollegen und Donald Trump erwägt eine weitere Kandidatur. Der Politologe Martin Thunert ist Wissenschaftler am Center for American Studies an der Universität Heidelberg und erklärt im Interview, was Bidens bisherige Bilanz und Trumps mögliche Rückkehr für Europa bedeutet.
Herr Thunert, Ex-Präsident Donald Trump erwägt laut Berichten 2024 eine erneute Kandidatur. Wie realistisch ist das?
Martin Thunert: Wenn die Wahlen dieses Jahr wären, wäre Donald Trumps Kandidatur sehr sicher. Ob er in zwei Jahren antreten wird, ist heute schwer prognostizierbar. Trump wird aber weiterhin großen Einfluss haben, man sollte ihn nicht unterschätzen. Sicher lässt sich sagen, dass es ein Never-Trumper aus der Republikanischen Partei schwer haben wird, nominiert zu werden.
Ein republikanischer Hardliner ist also wahrscheinlich: Floridas Gouverneur Ron DeSantis zum Beispiel. Wohin entwickelt sich die USA politisch?
Die USA steuern weiterhin in einen kalten Bürgerkrieg, wie es der Kollege Torben Lütjen in seinem Buch schreibt. Die gesellschaftliche Spaltung in den USA – politisch, soziokulturell, regional - wird sich verstärken. Nur ein externer Schock, ein Terroranschlag oder militärische Auseinandersetzungen, könnte die Gesellschaft kurzzeitig zusammenrücken lassen. Die US-Demokratie wird immer instabiler.
Was bedeutet das für Europa?
Unabhängig wie sich die USA entwickeln, sind sie für Deutschland sicherheitspolitisch ein wichtiger Partner. Daran wird sich nichts ändern, auch wenn wieder ein Hardliner wie DeSantis gewählt wird oder die Spaltung der Gesellschaft zunimmt.
Wie muss sich die EU aufstellen?
Die europäische Haltung sollte nicht danach ausgerichtet werden, wer Präsident ist. Die langen Linien sind entscheidend: Europa und Deutschland müssen erkennen, dass der indopazifische Raum für die USA zentral ist. China ist die Herausforderung, das gilt für US-Politiker beider Parteien. Der Unterschied: Präsident Joe Biden will die Herausforderung mit den Alliierten angehen und Trump alleine. Hier muss Europa ansetzen, nicht nur an transatlantischen Fragen. Gegenüber der Großmacht Russland wird Europa nicht alleine auftreten können.
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Bei seinen großen Vorhaben scheitert Präsident Joe Biden oftmals an zwei Senatoren seiner eigenen Partei. Wie fällt seine bisherige Bilanz aus?
Gemischt. Zwar hatte Biden mit der Wahl und der daraus resultierenden knappen Mehrheit im Senat einen fulminanten Start hingelegt, seit dem Sommer hakt es aber gewaltig. Sein Covid- und Infrastrukturpaket hat er abgespeckt durchbekommen, bei seinem gigantischen Sozial- und Klimaprogramm kann er West Virginias Senator Joe Manchin nicht überzeugen. Biden versteht sich selbst als genialer Verhandler, aktuell demonstriert er das nicht.
Hat Europa nach Trump zu große Hoffnungen in Biden gesetzt?
Biden ist ein solider Politiker, als Führungsfigur ist er aber selten hervorgetreten. Es ist kein Zufall, dass Biden zwei Mal an der Präsidentschaft gescheitert ist. Viele in Europa haben das übersehen, weil sie sich so sehr nach einer anderen Person als Trump gesehnt hatten. Die Frustration über Trump saß tief, sodass er als Lichtgestalt unter anderem in den Medien dargestellt worden war. Wenn er die Ukraine-Krise lösen könnte, würde seine Statur wachsen. Auch innenpolitisch gibt es für Biden beim Klimapaket noch Erfolgsmöglichkeiten.
Inwiefern wirkt sich Bidens schwächelnde Performance auf sein Bild in der EU aus?
Aus Sicht der EU ist Biden, obwohl er gerade schwächelt, ein guter Präsident. Trump hatte die EU-Position stets lächerlich gemacht. Biden respektiert die EU. Einzelne Länder machen jedoch unterschiedliche Erfahrungen. Beim U-Boot-Deal mit Australien und Großbritannien wurde Frankreich brüskiert. Deutschland wurde in Sachen Nordstream 2 verschont. Wie gut Biden für die Nato ist, wird sich in der Ukraine-Krise zeigen.