Analyse zum CSU-ParteitagSöder und der freie Störer

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Markus Söder auf dem CSU-Parteitag

Markus Söder auf dem CSU-Parteitag

Der CSU-Parteitag stimmt die Basis auf den Wahlkampfendspurt ein. Markus Söder will Ministerpräsident bleiben. Doch wie stark werden die Freien Wähler, und was bedeutet das für die „bürgerliche Koalition“? Eine Wahl mit Unwägbarkeiten.

Der Applaus ist verhalten, als Markus Söder in die Parteitagshalle in München tritt. Einige der rund 700 Delegierten sitzen noch gar nicht an ihrem Platz – Söder scheint etwas zu früh dran zu sein. Die Stimmung hebt sich, als der Parteichef kurze Zeit später mit schnellen Schritten ans Pult tritt. „Ich möchte überhaupt keinen Zweifel lassen“, führt er mit immer lauter werdender Stimme aus: „Wir werden diese Wahl als christlich-soziale Union gewinnen!“ Applaus im Saal.

Das ist ein Versprechen, das Söder halten kann. Andere traut er sich an diesem Tag nicht zu geben.

Die CSU hat ihre Delegierten am Samstag auf dem Parteitag auf den Wahlkampfendspurt eingestimmt. Der 56-jährige Söder ließ sich als Vorsitzender bestätigen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: 96,6 Prozent der abgegebenen Stimmen entfielen auf den Parteichef.

Die Nervosität ist groß

Intern ist die Nervosität in der Partei nach der Causa um Hubert Aiwanger und ein antisemitisches Flugblatt dennoch groß. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet im August, dass der Freie-Wähler-Chef und stellvertretende Ministerpräsident das Pamphlet als Jugendlicher verfasst haben soll. Zwar meldet sich kurz darauf Aiwangers Bruder zu Wort und gibt an, Urheber zu sein. Doch die Aiwanger-Causa schlägt in den Wahlkampf ein wie eine Bombe.

Die Freien Wähler träumen von Berlin, sie haben aber null Einfluss auf die deutsche Politik!
Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident

Einen Antisemitismusskandal von Aiwanger kann die CSU überhaupt nicht gebrauchen. Immerhin hat sie sich an die Freien Wähler gekettet. Söder tourt seit Monaten mit einer hohen Schlagzahl durch Bayern und betont bei jedem Auftritt, die „Bayern-Koalition“ oder die „bürgerliche Koalition“ weiterführen zu wollen. Wenn er Aiwanger jetzt entlässt, wäre das Geschichte. Und Aiwanger könnte sich als Märtyrer aufspielen. Also lässt Söder ihn im Amt. Der CSU-Chef spielt in seiner anderthalbstündigen Parteitagsrede nur einmal auf den Skandal an: „Am 8. Oktober geht es nicht um ein Flugblatt, das vor 30 Jahren geschrieben wurde, sondern um die nächsten zehn Jahre.“

Er will nicht zurückgucken, sondern nach vorne. Es kommt eben auf den Machterhalt an, „damit ein Nürnberger Ministerpräsident bleibt“, wie es auf Söders Wahlplakat für seine Heimatstadt heißt.

Als das Plakat enthüllt wird, am Morgen des 25. August, ist noch alles gut. Da liegt die CSU bei etwa 39 Prozent in den Umfragen der Meinungsforschungsinstitute. Das Ziel von 40 Prozent, das öffentlich keiner aussprechen will, ist in greifbarer Nähe. Abends wird das Flugblatt bekannt.Nun hoffen Parteifunktionäre, dass die CSU zumindest nicht unter dem Ergebnis der vergangenen Wahl landen wird. 2018 hatte die CSU nur 37,2 Prozent erreicht, das schlechteste Ergebnis seit 1950. Jetzt liegt sie bei 36 Prozent. Trotzdem gibt es an Söders Handhabung mit dem Skandal kaum Kritik. Einer sagt, Söder habe das mit Aiwanger „perfekt“ gelöst.

CDU auf Kletterkurs?

Die Funktionäre spekulieren darauf, dass die Freien Wähler den Höhepunkt in den Umfragen erreicht haben und dass die CSU noch mal nach oben klettert. Intern wird zur Sicherheit bereits vorgebaut. Die Flugblattaffäre hätte Aiwanger im bürgerlichen Spektrum nicht geschadet, sondern nutze ihm, heißt es in der CSU als Erklärung. Viele Wählerinnen und Wähler von CSU und FW solidarisierten sich mit ihm.

Die Basis dürfte dennoch nervös werden, wenn die CSU am Wahlabend bei den 36 Prozent verhaftet. Für Söder wäre es wichtig, an die 40 Prozent heranzukommen, vor allem wenn er noch mal nach der Kanzlerkandidatur greifen sollte. „Ich verspreche euch keine Prozentzahl nach den Ereignissen in den vergangenen Wochen“, sagt Söder am Samstag. „Ich verspreche euch, dass Bayern stark bleibt.“

Die Grünen befinden sich ebenfalls in einer schwierigen Lage. Aktuell zeichnet sich ein Dreikampf zwischen der Ökopartei, der AfD und den Freien Wählern um Platz zwei ab. Für die Grünen wäre es schmerzhaft, wenn sie nicht erneut zweitstärkste Kraft würden. Das ist das Ziel der Grünen-Spitzenkandidaten Ludwig Hartmann und Katharina Schulze.

Aggressiver Wahlkampf

Die Werbetrommel rührt Schulze an einem Tag im August bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Nürnberger Innenstadt. „Auf ein Eis mit“ heißt die Terminreihe der Grünen. Katharina Schulze, die oft laut lacht, wirbt für Unterstützung, beantwortet Fragen von Passanten und verschenkt Eisgutscheine. „Ich bin die Katha“, stellt sie sich vor. Die Stimmung ist gut.

Es gibt zwar kritische Fragen, zur Definition von Nachhaltigkeit etwa, aber der Applaus ist laut. Hass schlägt den Grünen hier nicht entgegen – im Gegensatz zu anderen Teilen des Landes. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Neu-Ulm hat ein Mann einen Stein auf das Duo Hartmann/Schulze geworfen. „Es ist der aggressivste Wahlkampf, den ich bisher erlebt habe. Das liegt auch an der Polarisierung. Leider gießen Markus Söder und Hubert Aiwanger auch noch Öl ins Feuer“, kritisiert Schulze im RND-Gespräch. Sie meint die Anti-Grünen-Kampagne der CSU.

Auf Kritik gegen die Grünen verzichtet Söder beim Parteitag auch nicht, verurteilt „grüne Ideologie“ bei der Atomkraft und wettert gegen das geplante Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel von Grünen-Agrarminister Cem Özdemir. „Bürger entscheiden, was sie essen wollen, und nicht grünverhungerte Funktionäre!“ Trotz solcher Aussagen weiß Schulze, dass die Grünen allein zahlentechnisch nur mit der CSU regieren können. „Wir haben eine klare Haltung: Wir wollen in Regierungsverantwortung kommen“, sagt sie kämpferisch. Das ist ausgeschlossen, Söder hat sich festgelegt. „Es wird kein Schwarz-Grün in Bayern geben.“ Dabei hatte Söder vor einigen Jahren selbst mal Bäume umarmt und mit einem Bündnis mit der Ökopartei geflirtet. Andere Zeiten.

Die FDP hingegen bangt, ob sie überhaupt in den Landtag einziehen wird

Und die bayerische SPD, die in der Bundespartei sowieso einen schlechten Ruf hat, hat das Problem, dass ihr Spitzenkandidat Florian von Brunn im Land kaum bekannt ist. Wenn die Sozialdemokraten ein zweistelliges Ergebnis erhalten, dürfte das schon als Erfolg gewertet werden.

Der Aiwanger – intern auch Hubi oder Hubsi genannt – stilisiert sich derweil als Opfer und nennt die Medienberichte über die Flugblattaffäre eine „Schmutzkampagne“. Aiwanger hat in den Umfragen so viel an Zuspruch dazugewonnen, dass er nun gar ein viertes Ministerium für die Freien Wähler fordert, am liebsten Landwirtschaft. Das wäre der Super-GAU für die CSU, eine Bayern-Partei muss den engen Draht zur Landwirtschaft behalten. Söder stellt deshalb klar: „Die CSU wird das Landwirtschaftsministerium und (die bisherige Ministerin) Michaela Kaniber behalten.“ Gerichtet an die Freien Wähler sagt er: „Keine Hoffnung!“ Und er rät Aiwanger zu „mehr Demut vor Wahl und Wähler“. Es ist nur ein Seitenhieb von vielen gegen die FW am Samstag.

Auch andere Christsoziale denken sich: genug. „Hubert, halt endlich die Klappe“, schrieb etwa der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CDU) auf Facebook. Mit der „Verfolgungsgeschichte“ und der „bizarren Täter-Opfer-Umkehr“ setze Aiwanger bewusst „den Sprech der Rechtsaußen und klassische Verschwörungsmythen ein“.

Christian Doleschal, der Chef der Jungen Union Bayern und Europaabgeordneter ist, sagt: „Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger mag zwar laut im Bierzelt sein, bei den bayerischen Zukunftsthemen, bei der Förderung Ostbayerns oder bei den Funklöchern herrscht Funkstille bei Aiwanger. Da sind es die CSU-Minister, die bei Hightech-Agenda und Wohlstand von morgen die Themen setzen.“

Die dauerhafte Gefahr

Aiwanger bleibt eine dauerhafte Gefahr für die CSU. Er fischt im bürgerlichen Lager, hat bundespolitische Ambitionen und gilt als politisch unberechenbar. Ein Grund für die Zweifel mancher an Söders Strategie, schon früh einen Koalitionswahlkampf zu führen. Weil CSU-Wählern klar sei, dass Söder ohnehin Regierungschef bleibe, wollten manche nun Aiwanger ihre Stimme geben, heißt es. Söder will nun nach innen sowie nach draußen signalisieren, dass es einen Unterschied macht, wie stark die Christsozialen werden: „Die Freien Wähler träumen von Berlin, sie haben aber null Einfluss auf die deutsche Politik!“, ruft er den Delegierten zu.

Am 8. Oktober geht es nicht um ein Flugblatt, das vor 30 Jahren geschrieben wurde, sondern um die nächsten zehn Jahre.
Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident

Stärker ins Visier nimmt der CSU-Chef seit einigen Wochen zudem die AfD. Inhaltlich geht er mit der in Teilen als rechtsextrem geltenden Partei hart ins Gericht: Weil die AfD den Austritt Deutschlands aus der Nato fordert, fragt Söder: „Wie bescheuert muss man eigentlich sein?“ Wenn Deutschland rausgehe, komme Putin her. „Die wahrsten Kremlknechte sind die von der AfD“, warnt er.

Migration im Vordergrund

In Bayern, wo die AfD als besonders völkisch gilt, erreicht sie mit 13 Prozent deutlich geringere Werte als im Bund. Trotzdem profitiert sie vom Bundestrend. Das Erstarken der AfD dürfte auch ein Grund sein, warum Söder das Thema Migration jetzt wieder stärker in den Mittelpunkt stellt. In der Partei gab es lange eine gewisse Zurückhaltung – aus Sorge, dass die AfD profitieren könnte. Der CSU-Chef, der seine Politik gern an Umfragen ausrichtet, weiß, dass Migration eines der drängendsten Themen der Bevölkerung ist. Und er wolle Aiwanger in dieser Frage nicht das Feld überlassen, erzählt ein Parteifreund.

Söder fordert eine „Wende in der Migrationspolitik“ und bekräftigt seine Forderung nach einer „Integrationsgrenze“. Quasi eine Obergrenze light. Lampedusa zeige, dass die Lage in Europa außer Kontrolle gerate.Der Applaus für Markus Söder, der zum Ende seiner Rede an den Zusammenhalt der Christsozialen appelliert, dauert mehr als fünf Minuten an. Bayerns Ministerpräsident tritt neben das Rednerpult, legt die Hände aneinander und verbeugt sich kurz, während die Delegierten laut klatschen – wie lange der Beifall nachhallt, wird sich am 8. Oktober zeigen. (RND)

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