„Anne Will“Kölner Philosophin liefert sich Schlagabtausch mit Justizministerin

Lesezeit 4 Minuten
Anne Will Woopen und Lamprecht

Anne Will (Mitte) mit Christine Lambrecht (l.) und Christiane Woopen (r.)

In der ARD-Talkshow „Anne Will“ herrscht am Sonntagabend Uneinigkeit darüber, welche Grundrechte Geimpfte bereits jetzt zurückbekommen sollen - und, wie die Impfkampagne sozial Benachteiligte miteinbeziehen soll. So heißt die Fragestellung: „Änderung der Impfreihenfolge, Rückkehr zu Grundrechten – wer darf wann wieder was?“

Das Thema bei „Anne Will“

Rund acht Prozent der Deutschen sind vollständig geimpft und die Forderungen werden lauter, sie mit negativ Getesteten gleichzusetzen. Doch der Entwurf von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) geht darüber hinaus und möchte Geimpften und Genesenen unter anderem private Treffen ermöglichen.

Darüber hinaus diskutieren die Gäste über die Impfreihenfolge und wie gerecht sie ist. Denn die Infektionsrate ist besonders hoch in sozialen Brennpunkten, weswegen der Gedanke nahe liegt, dort vermehrt Impfstoff zu verteilen.

Die Gäste

Die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, Christine Lambrecht (SPD), möchte Geimpften die ersten Grundrechte wieder zurückgeben. „Doch warum bekommen Geimpfte nicht jetzt alle Grundrechte zurück?“, fragt Moderatorin Anne Will die Politikerin und spricht damit Restaurantbesuche an. „Ich bin fest davon überzeugt, dass beim Öffnen einiger Geschäftsbereiche andere Maßstäbe zu setzen sind.“ So gehe es nur noch um eine kurze Zeit, man solle laut Lambrecht nicht weitere Differenzierungen vornehmen.

Der CSU-Parteivorsitzende und Ministerpräsident von Bayern, Markus Söder, spricht sich ebenfalls dafür aus, Geimpfte und Genesene mit Getesteten gleichzusetzen. Aber er sagt auch: „Wir müssen die Impfungen beschleunigen.“ Das sei für ihn die Voraussetzung. Er würde vermeiden wollen, dass Menschen ihre Grundrechte zurückfordern und sich beklagen, dass noch nicht genügend Impfungen möglich sind. Außerdem argumentiert Söder, der aus Bayern zugeschaltet ist, für „gezieltes Impfen“ in Corona-Hotspots. „Eine Zusatzpriorisierung (...) wäre der falsche Weg.“

Christiane Woopen hat als Vorsitzende des Europäischen Ethikrats die Folgen im Blick. Die Argumentation und Kommunikation seitens der Politik sei nicht gut, urteilt die Kölner Philosophin. „Die Berufsfreiheit einzuschränken ist eine völlig andere Nummer, als jemanden zu verbieten, nach 10 Uhr abends zu drei Freunden zu spazieren.“ Woopen fordert gleiche Rechte für alle bei niedriger Inzidenz: „Alle sollen die selben Möglichen haben, aber mit unterschiedlichen Eingangsschneisen.“ Sie plädiert: „Wir müssen die Priosierung ergänzen und die Gruppen in den Blick zu nehmen, die in besonderer Weise unter den Maßnahmen leiden.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, vertritt die Interessen der Betriebe, hat aber den geringsten Redeanteil am Sonntagabend. So beklagt er, dass zu wenig über Öffnungsstrategien gesprochen wird. Doch diese Kritik stößt auf taube Ohren. Er fordert auch, die Menschen in sozialen Brennpunkten schnell zu impfen: „Wollen wir denen, die besonders gefährdet sind, helfen?“ Wenn ja, müsse man sich nun auf Sonderlösungen einigen.

Martin Stürmer ist der einzige Mediziner der Runde und Virologe in Frankfurt. Er pocht darauf, dass von Geimpften auch eine Gefahr ausgehe. „Trotz der Impfung ist weiter geboten, (...) Kontakte zu reduzieren und da kommen wir in eine Problematik.“ Er warnt vor impfresistenten Varianten: „Wir haben diese Varianten noch nicht gesehen, dass heißt aber nicht, dass sie nicht kommen.“ Laut ihm solle man die soziale Schwachen zur Gruppe drei hinzu nehmen.

Das Duell des Abends

Zwischen Woopen und Lambrecht entbrennt ein Streit darüber, wer welche Grundrechte zurückbekommen soll. Als Lambrecht sagt: „Wir leben in einem Rechtsstaat und uns als Bürgern stehen die Grundrechte zu“, ruft Woopen dazwischen: „Ja, aber allen!“

Es kommt zu einem Schlagabtausch. Die Bundesjustizministerin erklärt: „Wenn ein minimales Restrisiko vorhanden ist, habe ich als Staat keine Begründung mehr Grundrechte einzuschränken“ Laut des Robert-Koch-instituts gehe von vollständig Geimpften wenig Gefahr aus, so habe man als Rechtsstaat keinen Spielraum mehr. Woopen hält dagegen: „Aber warum haben Sie als Staat den Spielraum bei den Restaurants (...) oder der Berufsausübung?“

„Weil ich verpflichtet bin Leben und Gesundheit zu schützen“, antwortet Lambrecht unter anderem. Das sei eine Unterteilung, die man nicht in der Gesellschaft rechtfertigen könne. Lambrecht blickt Woopen an und fragt: „Glauben Sie, das fällt jemandem in der Politik leicht?“

Die besten Zitate

CSU-Chef Söder lässt es nicht aus, seine eigene Impfkampagne in Bayern zu loben. So erwähnt der Ministerpräsident die niedrige Inzidenz unter den 80-Jährigen. „Es ist ein ganz großer Erfolg, dass wir unglaublich viele Leben retten und schützen konnten“, sagt Söder.

Lambrecht überzeugt mit dem Satz: „Die Grundrechte sind weder ein Bonbon, noch ein Privileg.“

Fazit

Die Fragestellungen des Abends werden nur teilweise beantwortet. Die Gäste sind sich weitgehend einig darüber, vollständig Geimpfte und Genesene mit Getesteten gleichzusetzen. Nun Woopen kontert, man solle bei niedriger Inzidenz allen Menschen mit unterschiedlichen Bedingungen ihre Grundrechte wieder zurückgeben.

Doch die entscheidende Frage - inwieweit besonders gefährdete Menschen schneller geimpft werden sollen - kommt viel zu kurz. Obwohl Einigkeit darüber besteht, sozial Benachteiligte zu schützen, ist unklar wie. Der Mediziner Stürmer plädiert dafür, die Impfpriorisierung offiziell zu erweitern, aber Söder möchte weiterhin gezielter in den betroffenen Vierteln impfen. Dass diese Debatte genauso wichtig ist, wie die der Grundrechte, gerät leider aus dem Fokus.

KStA abonnieren