Biden über RusslandWenn das Blut in den Adern gefriert

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Biden vor den UN

US-Präsident Joe Biden spricht vor den Vereinten Nationen

Washington – Der Versammlungssaal der Vereinten Nationen war gut gefüllt, als Joe Biden am Mittwoch als siebter Redner des Tages ans Pult trat. Doch der zentrale Adressat seiner kämpferischen Ausführungen saß nicht in dem Gebäude am New Yorker East River. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte mit der Teilmobilmachung seiner Streitkräfte und der Drohung mit einem Atomschlag wenige Stunden zuvor aus Moskau die Agenda des Tages gesetzt. Und sein amerikanischer Gegenspieler hielt sich nicht lange mit einführenden Worten auf.

„Das ist ein brutaler und unnötiger Krieg“, verurteilte Biden den russischen Überfall auf die Ukraine: „Ein Krieg, der von einem Mann angezettelt wurde.“ Das Verdikt des Redners fiel scharf und eindeutig aus: „Ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist in sein Nachbarland eingedrungen und hat versucht, den souveränen Staat von der Landkarte zu tilgen“, sagte Biden. Damit habe Russland „schändlich die Kern-Grundsätze der UN-Charta verletzt“.

„Niemand hat Russland bedroht“

„Ungeheuerlich“ nannte der US-Präsident die jüngsten Drohungen Putins und die Scheinreferenden in den besetzten Gebieten, und er widersprach entschieden der Behauptung, Moskau müsse sich gegen eine äußere Gefahr zur Wehr setzen: „Niemand hat Russland bedroht und niemand außer Russland hat den Konflikt gesucht.“

Ansonsten aber musste Biden das Manuskript seines Vortrags nach Angaben seiner Berater nicht groß verändern. Seit längerem wird im Weißen Haus mit wachsender Sorge beobachtet, mit welcher Ruchlosigkeit Putin den Krieg trotz oder wegen seiner Niederlagen immer weiter voranzutreiben versucht.  

„Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden“

Schon in einem Fernsehinterview vor einer Woche war Biden gefragt worden, wie die USA auf den möglichen Einsatz von nuklearen Waffen durch Putin reagieren würden. Der amerikanische Präsident nannte keine konkreten Reaktionen. Stattdessen antwortete er sehr ernst: „Don't. Don't. Don't“ (Mach es nicht!). In seiner Rede nun mahnt er ohne direkten Bezug zu Russland: „Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen und darf nicht geführt werden.“

Der düstere Ton kontrastierte scharf zum letztjährigem Auftritt vor der Weltgemeinschaft. Es war die erste Vollversammlung nach der Trump-Zeit, und viele im Publikum atmeten spürbar auf, als der neue Bewohner des Weißen Hauses auf dem Podium weder polterte, noch drohte, noch bombastisches Selbstlob ausschüttete, sondern schlicht erklärte, Amerika sei zurück im Kreis der Nationen, die an faire Regeln und gemeinsame Zusammenarbeit glauben. Das klang geradezu hoffnungsvoll.

Russland verdrängt andere Themen

Doch in diesem Jahr ist vieles anders. Nicht nur kam Biden einen Tag später als üblich nach New York, weil er an der Beerdigung der britischen Königin Elizabeth II. teilgenommen hatte. Auch thematisch wurden die von Biden eigentlich für vordringlich gehaltene Klimakrise und die Auseinandersetzung mit dem geopolitischen Rivalen China durch den Ukraine-Krieg deutlich an den Rand gedrückt. Zwar hob der US-Präsident sein milliardenschweres Klima-Paket hervor und kritisierte die chinesischen Drohgebärden gegen Taiwan.

Doch im Mittelpunkt seines Vortrags stand eindeutig das Sicherheitsratsmitglied Russland, das Gräueltaten begehe, die „einem das Blut in den Adern gefrieren lässt“ und anschließend mit seinem Veto deren Verurteilung im UN-Sicherheitsrat verhindert. Diese Perfidie untergräbt nicht nur das Selbstverständnis der Vereinten Nationen, sondern schädigt auch deren ohnehin eher bescheidenes Ansehen in den USA weiter.

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Biden drang daher auf eine Einschränkung des Veto-Rechts und eine Aufstockung des Sicherheitsrats vor allem um Staaten des Südens. Doch die Chancen einer solchen Reform, die auch Deutschland zu einem Sitz im Sicherheitsrat verhelfen könnte, sind mehr als ungewiss.

Nach 20 Minuten beschloss der US-Präsident seine Ausführungen mit einer ungewöhnlichen Wendung. „Vielen Dank für Ihre Toleranz, mir zuzuhören“, sagt er ebenso höflich wie ruhig. In Zeiten wie diesen ist das längst nicht mehr selbstverständlich.

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