Bund und Länder testen KatastrophenwarnsystemeWann und warum wir Warnungen ignorieren

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Eine Probewarnung, die über Cell Broadcasting versandt wurde, erscheint am bundesweiten Warntag als Push-Nachricht auf einem Smartphone.

Eine Probewarnung, die über Cell Broadcasting versandt wurde, erscheint am bundesweiten Warntag als Push-Nachricht auf einem Smartphone.

Warnungen sollen dabei helfen, Menschen vor Gefahren schützen. Dennoch nehmen wir sie mitunter nicht ernst und ignorieren sie, sagt Andrea Kiesel, Psychologin an der Uni Freiburg. Im Interview mit dem RND erklärt sie, warum Warnungen ihr Ziel oft verfehlen – und warum der Warntag trotzdem wichtig ist.

Andrea Kiesel, in unserem Alltag werden wir inzwischen ständig gewarnt: seien es Sturmwarnungen auf dem Handy, ein Fehlalarm vom Feuermelder oder der Testalarm für die Feuerübung. Stumpfen wir vor lauter Warnungen nicht irgendwann ab?

Andrea Kiesel: Ja, das ist ein Problem. Entscheidend ist, ob die Warnungen, die uns erreichen, tatsächlich eine Relevanz für unseren Alltag haben. Das ist oft nicht der Fall und kann dazu führen, dass wir irgendwann nicht mehr auf eine Warnung reagieren. Vor allem Warnapps sind in dieser Hinsicht problematisch. Einerseits geben sie manchmal – wie bei der Flutkatastrophe im Ahrtal – im Katastrophenfall keine Warnung weiter. Andererseits bekommen viele Nutzerinnen und Nutzer alle paar Tage eine Unwetterwarnung, bei der unklar ist, ob sie überhaupt für ihren Wohnort gilt. Irgendwann ignorieren sie die Warnung nur noch, weil sie keine Relevanz für sie haben. Denn je seltener ich nach einer Warnung eine Gefahrensituationen erlebt habe, desto stärker neige ich dazu, sie künftig zu ignorieren.

Ist eine Testwarnung wie die am heutigen bundesweiten Warntag vor diesem Hintergrund überhaupt sinnvoll?

Ja. Eine Testwarnung hat nicht zwingend negative Auswirkungen auf ernst gemeinte Warnungen. In der Schule gibt es ja auch oft Feuerwarnungen, in denen geübt wird, wie sich alle im Brandfall verhalten sollten. Das ist auch eine hilfreiche Übung, denn nur so wissen Schulklassen, wo die Sammelplätze in der Schule sind und welche Fluchtwege es gibt. Ich halte es vor allem auch für sinnvoll, alle technischen Möglichkeiten auszuprobieren, die man als Warnmittel verwenden kann. Denn viele wohnen gar nicht mehr in der Nähe von Sirenen – und auch die Kirchenglocken werden von den wenigsten noch als Warnung interpretiert. Insofern brauchen wir neue Warnkonzepte. Am besten so etwas wie früher, als man noch öfter das Radio anhatte und dann stets auf die Durchsagen reagiert hat – das tun ja auch viele nicht mehr. Mit dem Handy wäre es heutzutage wohl am einfachsten, Menschen zu warnen, aber die Warnung muss auch funktionieren und Menschen erreichen.

Wie kann es denn gelingen, dass Menschen eine Warnung ernst nehmen?

Das kommt darauf an, wovor man warnen möchte. Wenn es um eine Warnung geht, die beispielsweise in den nächsten Stunden passieren wird, dann brauchen Menschen spezifische Informationen darüber, was die Gefahr ist und wie sie sich verhalten müssen. Bei einem Schneesturm ist es zum Beispiel wichtig, dass man erst gar nicht ins Auto steigt und losfährt. Wenn es dagegen darum geht, Menschen auf eine dringende, unmittelbare Gefahr hinzuweisen, dann braucht es zunächst deutliche Warnsignale – zum Beispiel Signaltöne, die wir von Sirenen oder Feuermeldern kennen.

Wenn Menschen plötzlich auftretende und automatische Signale hören, stoppen sie ihre aktuelle Aufgabe und lenken ihre Aufmerksamkeit auf sie. Genau das will man in solchen Situationen auch erreichen. Wichtig ist daher, dass der Ton in unserem Alltag nicht einfach untergeht. In einem ruhigen Raum muss ein Ton nicht so lautstark sein, in einer lauten Umgebung aber schon – und unter Umständen muss das Warnsignal zusätzlich mit Licht behaftet sein. Das kennen wir beispielsweise vom Martinshorn.

Sicherlich brauchen Menschen aber auch in diesen Situationen Orientierung und Anweisungen, wie sie sich verhalten sollen.

Auf jeden Fall. Warnungen wirken oft nicht, wenn den Menschen nicht klar ist, wie sie sich verhalten sollen – und das ist genau das Problem bei Warnungen, wie wir sie am Warntag erleben. Es reicht nicht nur, die Leute aus ihrer momentanen Tätigkeit rauszuziehen und ihnen zu sagen: Da ist jetzt irgendwas. Sie sollen auch eine ganz spezifische Handlung ausführen, damit sie sich vor Gefahren schützen können. Wenn in der Schule ein Feuer brennt, müssen schließlich alle wissen, wie sie das Gebäude verlassen können. Natürlich kann man das auch trainieren, aber es ist wichtig, dass wir bei akuten Warnungen auch darüber informieren, wie sich alle verhalten müssen.

Ist es aber nicht beunruhigend, dass wir so stark darauf angewiesen sind?

In Deutschland sind die Menschen insgesamt sicherlich nicht so stark für Katastrophen sensibilisiert wie in anderen Ländern. Die älteren Generationen wussten noch, was verschiedene Signale bedeuten und wie man auf sie reagiert. Dieses Wissen ist meiner Meinung nach heute nicht mehr so stark vorhanden. Deutschland ist ja zum Glück ein sehr sicheres Land, auch deshalb schätzen wir Risiken als viel geringer ein. In Israel hat man einen ganz anderen Umgang mit potenziell gefährlichen Situationen – und auch in der Ukraine achten die Leute aufgrund des Krieges viel mehr auf Sirenen und andere Warnsignale. Denn wer Krisen und Katstrophen durchgemacht hat, schätzt sein eigenes Risiko viel höher ein. Menschen, die in Kriegsregionen gelebt haben, zucken auch viele Jahre später noch bei Geräuschen zusammen, die sie an den Krieg erinnert.

Wie gefährlich kann es sein, wenn wir bei Warnungen keine Handlungsanweisungen bekommen?

Das führt typischerweise dazu, dass die Leute gar nicht wissen, was sie machen sollen und vielleicht sogar in Panik geraten. Was man aber auch oft erlebt, ist, dass sich Menschen in eine Art privaten Raum zurückziehen und sich dort in falscher Sicherheit wiegen. Beispielsweise sind Menschen beim Brand im Gotthardtunnel in der Schweiz vor 20 Jahren in ihr eigenes Auto reingeflüchtet – das war für einige eine tödliche Falle. Das zeigt, wie wichtig es ist, Warnungen mit ganz klaren Handlungsanweisungen auszusprechen.

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