Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

CoronaWie verstolpert war der deutsche und europäische Impfstart wirklich?

Lesezeit 5 Minuten
Impfen Januar

Auch in Deutschland haben die Impfungen gegen das Coronavirus begonnen. (Symbolbild)

Peter Liese (CDU) ist gesundheitspolitischer Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP). Die EVP stellt die größte Fraktion im Europaparlament. Ein Interview zur Frage, wie schleppend der Impfstart in Deutschland gelaufen ist.

Herr Liese, wie läuft die Impfkampagne in Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsländern?

Nichts ist perfekt, aber im Vergleich zu anderen EU-Ländern stehen wir in Deutschland relativ gut da. In den Niederlanden etwa haben die Impfungen erst vor wenigen Tagen begonnen, bei uns war das schon am 27. Dezember. Ich höre, dass in wenigen Tagen schon alle Bewohner der Altenheime in Deutschland, die dies wollen, die erste Impfung erhalten haben. Das ist sehr wichtig, weil es hier die meisten Todesfälle gibt.

Wäre es möglich, die Impfungen zu beschleunigen? Immerhin sind wir in einem Lockdown und zugleich beginnt wegen der neuen Virusmutation ein Wettlauf gegen die Zeit.

In keinem Land der Welt können die Menschen derzeit wegen der anlaufenden Impfungen auf die Kontaktbeschränkungen verzichten. Das geht selbst in Großbritannien nicht, das als erstes europäisches Land mit den Impfungen begonnen hat. Ganz im Gegenteil: In London ist der Lockdown sogar noch verschärft worden. Wir müssen uns, so schwer uns das fallen mag, von dem Gedanken lösen, dass sich an dieser Situation kurzfristig etwas ändern würde, wenn wir anders impfen würden. Leider können wir nicht auf einen Schlag alle Menschen impfen. Und weil das so ist, müssen wir priorisieren.

Die EU hat jetzt etwa 2,3 Milliarden Impfdosen bestellt. Die USA sind anders vorgegangen und haben alles geordert, was sie bekommen konnten. War das besser?

Im Nachhinein betrachtet wäre es sicherlich besser gewesen, wenn die EU noch mehr Impfdosen von Biontech/Pfizer und Moderna bestellt hätte. Aber es nützt wenig, über die Vergangenheit zu lamentieren. Niemand, und das meine ich wörtlich, niemand hat im vergangenen Sommer mehr Bestellungen bei Biontech und Moderna gefordert. Die Debatte lief genau umgekehrt. Es gab extrem viel Kritik an den mRNA-Impfstoffen generell. Und viele Grüne, Linke und auch einige Sozialdemokraten haben der EU vorgeworfen, der Pharmaindustrie das Geld in den Rachen zu werfen.

Welche anderen Gründe gab es für die Entscheidung der EU, zunächst vergleichsweise wenig Biontech-Impfstoff zu ordern?

Das größte Problem war Pfizer, der US-amerikanische Partner von Biontech. Pfizer hat lange Zeit nicht verstanden, dass die EU keinen Impfstoff bestellen kann, wenn der Hersteller nicht haften will. Ein anderer Grund war: Die EU wollte sich nicht zu sehr von den USA abhängig machen. Wir sehen, dass der noch amtierende US-Präsident zu allem in der Lage ist. Die EU hatte die nicht unbegründete Sorge, dass Trump alles, was in den USA produziert würde, für die USA beanspruchen würde. Wir wären also gar nicht an den Impfstoff herangekommen. Deswegen verstehe ich die Entscheidung, das Portfolio zu verbreitern und auch auf europäische Hersteller wie Curevac oder Sanofi zu setzen.

Sanofi ist ein französischer Konzern. Hat Frankreich Druck gemacht, um Sanofi zu fördern?

Das glaube ich nicht. Wir sollten uns davor hüten, die Franzosen in die nationalistische Ecke zu stellen. Sanofi mag auf dem Papier wie ein französisches Unternehmen aussehen. Doch in Wirklichkeit ist Sanofi ein internationaler Konzern, dessen größter Einzelstandort in Frankfurt-Höchst ist. Der Grund, den Impfstoff aufzunehmen, war vor allem, dass er auf einem anderen Verfahren als die anderen Impfstoffe basiert.

Aber nationale Alleingänge sind keine Seltenheit in der EU. Die Bundesregierung hat sich auch nicht an die Verabredung innerhalb der EU gehalten und sich in Parallelverhandlungen zusätzliche Impfdosen von Biontech/Pfizer gesichert. Wie bewerten Sie das?

Ich habe Verständnis dafür. In vielen EU-Ländern war die Skepsis gegenüber Biontech groß, unter anderem weil der Impfstoff so stark gekühlt werden muss. Diese Bedenken gab es auch in Deutschland. Aber es ist verständlich, dass sich die Bundesregierung den in Deutschland entwickelten Impfstoff von Biontech in ausreichender Menge sichern wollte. Doch das ist alles kalter Kaffee.

Wie meinen Sie das?

Das Problem ist gelöst. Die deutsche Sonderbestellung geht komplett auf in der Nachbestellung der EU, die vergangene Woche zusätzlich 300 Millionen Dosen bei Biontech geordert hat. Wer jetzt noch ein Haar in der Suppe sucht, der wird keines mehr finden. Auf die zukünftige Impfkampagne in Deutschland hat das überhaupt keine Auswirkungen.

Hätte die EU mehr Geld für den Ausbau der Produktionskapazitäten ausgeben müssen?

Hätte, hätte, Fahrradkette. Natürlich hätte man den Ausbau der Produktion aus heutiger Sicht noch besser machen können. Ich habe das nach Rücksprache mit meiner Fraktion schon im März gefordert und könnte jetzt sagen, man hätte auch mich hören müssen. Aber dieses rückwärtsgewandte Lamento nützt nichts. Die EU hat massiv in die deutschen Impfprojekte Curevac und Biontech investiert. Das kann sich sehen lassen. Ohne die EU gäbe es den Biontech-Impfstoff nicht. Aber nichts ist so gut, dass man es nicht besser machen könnte. Wenn wir das Schlimmste hinter uns haben, müssen wir über die Schaffung einer europäischen Agentur für Medikamenten- und Impfstoffentwicklung reden. Die Amerikaner haben so eine Behörde, die in Notfällen sehr schnell und unbürokratisch viel Geld für die Pharmaindustrie mobilisieren kann. Das brauchen wir in der EU auch. Ich bin mal gespannt, wie die Debatte laufen wird, wenn es um die Finanzierung einer solchen europäischen Agentur geht.

Wann haben wir das Schlimmste hinter uns?

Wir müssen noch ein paar Monate durchhalten und aufpassen. Denn ich mache mir große Sorgen wegen der Virusmutation aus England. Aber wenn uns diese Mutation nicht komplett einen Strich durch die Rechnung macht, dann ist Ende März, Anfang April das Schlimmste überstanden. Und wenn wir es dann schaffen, dass alle Menschen, die geimpft werden können, sich auch impfen lassen, dann ist die Pandemie in Deutschland und der EU im Sommer, spätestens im Herbst vorbei.

Das Gespräch führte Damir Fras