Das große RätselWarum sterben in der Oder Tausende Fische?

Lesezeit 7 Minuten
Fischsterben in der Oder_001

Arbeiter in Polen beteiligen sich an einer Aktion zur Reinigung der Oder von toten Fischen mit Hilfe eines flexiblen Damms.

Das Fischsterben in der Oder bleibt ein Rätsel: Noch immer steht nicht fest, was genau das massive Sterben der Tiere im deutsch-polnischen Grenzfluss verursacht hat. Die Behörden in Brandenburg wussten vom Fischsterben erst, als es zu spät war. Nun wollen Deutschland und Polen enger zusammen­arbeiten. In Warschau wird indes ein Umwelt­verbrechen vermutet. Was ist in der Oder passiert? Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Seit wann ist das Fischsterben bekannt?

Am 9. August hatte das Brandenburger Umweltamt erste Hinweise auf eine Umwelt­verschmutzung in der Oder erhalten. Ein Schiffsführer hatte das massive Fischsterben beim Landeslabor Berlin-Brandenburg gemeldet. Aus Polen seien hingegen keine Informationen an die Behörden in Deutschland übermittelt worden – erst als bereits Tausende Fische auf der Oder trieben. Dort hatte es nach Regierungs­angaben allerdings bereits Ende Juli Hinweise gegeben, dass in dem Fluss massenweise verendete Fische treiben.

Was wissen wir über die Ursache für das Fischsterben?

Anhand von aktuellen Labortests aus Polen ist ein hoher Salzgehalt in der Oder nachgewiesen worden, wo zahlreiche Fische gestorben sind. Schwermetalle oder erhöhte Quersilberwerte wurden zuvor als Gründe für das Fischsterben ausgeschlossen. Das erklärte am Samstag die polnische Umweltministerin Anna Moskwa.

Auch Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel stellte zuletzt „sehr stark erhöhte Salzfrachten“ fest, die im Zusammenhang mit dem Fischsterben stehen könnten. Der Begriff Salzfrachten bezeichnet im Wasser gelöste Salze. „Nach jetzigen Erkenntnissen wird es jedoch nicht ein einziger Faktor sein, der das Fischsterben in der Oder verursacht hat“, hieß es in einer Mitteilung. Die Ergebnisse seien aber „noch nicht voll aussagefähig und nicht abschließend“, hieß es. Weitere Untersuchungs­daten soll es in der kommenden Woche geben.

Spekuliert wird, dass Chemieabfälle verantwortlich für die organische Verschmutzung in der Oder seien könnten. „Es ist wahrscheinlich, dass eine riesige Menge an chemischen Abfällen in den Fluss gekippt wurde, und das in voller Kenntnis der Risiken und Folgen“, sagte Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki am Freitag. Ermittlungen wegen eines Umwelt­verbrechens liefen bereits.

Wo läuft die Oder entlang?

Die Oder entspringt in Tschechien, fließt durch Polen und bildet einen Teil der Grenze zwischen Polen und Deutschland in Brandenburg. Zu den größten Städten, die an der Oder liegen, zählen Frankfurt (Oder) und Schwedt.

Der 840 Kilometer lange Fluss mündet durch das Stettiner Haff und um die Inseln Usedom und Wolin herum in die Ostsee.

Fischsterben in der Oder: Welche Gebiete sind verseucht?

Am Dienstag rechnete das Land Brandenburg mit Auswirkungen bis Schwedt im Nordosten Brandenburgs. Mittlerweile rechnet auch Mecklenburg-Vorpommern mit einer Umwelt­belastung im polnischen Stettin. Dort mündet die Oder in die Ostsee. Damit sind sämtliche Gebiete in Brandenburg an der Oder von der Umwelt­verschmutzung betroffen. Dem Umwelt­ministerium in Mecklenburg-Vorpommern zufolge sind bisher keine Fischkadaver im deutschen Teil des Stettiner Haffs entdeckt worden.

Fischsterben in der Oder_004

Ein freiwilliger Helfer holt in Brandenburg mit einem Kescher tote Fische aus dem Wasser

Laborergebnissen zufolge sei bereits am 8. August eine „starke Welle organischer Substanzen durch Frankfurt (Oder)“ gegangen, die sich flussabwärts fortsetze, heißt es aus Potsdam. Die Wasserwelle soll einer Höhe von etwa 30 Zentimetern entsprochen haben – das lässt auf eine riesige Menge an Verunreinigung schließen.

Ist die Ostsee auch vom Fischsterben betroffen?

Die Landesregierung in Schwerin rechnet mit Auswirkungen des Fischsterbens in der Oder auf die Ostsee. Das Umwelt­ministerium in Mecklenburg-Vorpommern zeigte sich zuletzt besonders besorgt um das Stettiner Haff vor der Ostsee: Schwerin erklärte zuletzt, dass die Oder­mündung nahe Stettin (Polen) sowie der vorpommersche Teil des Stettiner Haffs bereits am Wochenende von einer Belastung betroffen sein könnten.

Das Ministerium von Till Backhaus (SPD) rief daher die Anlieger vorsorglich dazu auf, auf das Fischen in und die Wasser­entnahme – unabhängig von der Nutzung – aus dem Gewässer zu verzichten. Die zuständigen Behörden in Mecklenburg-Vorpommern bereiten demnach aktuell Gewässer- und Fischproben vor.

Ist das Schwimmen und Angeln in der Oder noch möglich?

Das Land Brandenburg rät vom Schwimmen und Angeln in der Oder deutlich ab: „Solange die Ursache noch nicht geklärt ist, bitten wir die Anwohnerinnen und Anwohner, weder im Fluss zu schwimmen noch Fische aus der Oder zu verzehren oder Tiere ans Wasser zu lassen“, erklärte der branden­burgische Umweltminister Alex Vogel zuletzt. Die Warn-App NINA warnt auch vor dem Angeln in Neben­gewässern der Oder.

Was geschieht mit den toten Fischen?

Die Kadaver sind nach Angaben der uckermärkischen Kreis­verwaltung in eine Verbrennungs­anlage gebracht worden. Das berichtete am Sonntag die „Märkische Allgemeine Zeitung“ (MAZ). Die Fische würden in einer vom Landes­umwelt­amt zugelassenen Anlage entsorgt, sagte die Sprecherin der Kreises, Ramona Fischer. Die Verbrennungs­anlage liegt in Schwedt auf dem Gelände der Raffinerie PCK.

Was sind die Folgen für die Umwelt?

Die Folgen für die Tier- und Umwelt sind noch nicht absehbar. Polen spricht von Schäden in Millionenhöhe. Natur­schützer bangen seit Beginn des Fischsterbens besonders um den Nationalpark Unteres Odertal. Im Nationalpark an der Oder zwischen Polen und Deutschland sind normalerweise Paddler, Angler und auch Vogel­kundler unterwegs. Doch jetzt dürfte der Natur­tourismus stark leiden, so die Befürchtungen. Vor jeglichem Kontakt mit dem Fluss­wasser wird gewarnt.

„Die Auswirkungen sind einfach furchtbar“, erklärte der Nationalpark weiter. Über die gesamte Strombreite habe man tote Fische treiben sehen. Betroffen seien etwa Zander, Welse, Gründlinge und Steinbeißer. Seeadler und andere Vögel könnten Gift durch die toten Fische aufnehmen. Der Nationalpark Unteres Odertal verbindet Polen und Deutschland – er zählt zu den artenreichsten Lebens­räumen in Deutschland.

Wie reagiert die deutsche Politik?

Bundesumwelt­ministerin Steffi Lemke (Grüne) zeigte sich nach den ersten Berichten über das Fischsterben besorgt. „Das Fischsterben in der Oder erschüttert und besorgt mich sehr“, sagte die Grünen-Politikerin dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND). „Hier bahnt sich eine Umwelt­katastrophe an.“ Lemke besuchte am Samstag die Einsatzkräfte an der Oder, um sich ein Bild von der Lage zu machen. „Das immer noch bestehende Unwissen über das Ausmaß der Katastrophe, die Länge sowie die Folgen für die Nahrungskette und die Natur, das treibt mich massiv um“, hatte sie dort gesagt.

Die Grünen-Politikerin bedankte sich auch bei den Freiwilligen, die im Oder­grenz­gebiet am Samstag tonnen­weise tote Fische einsammelten. Gleichzeitig gestand sich Lemke auch Fehler bei der Aufklärung des Fischsterbens ein. „Die Frage der deutsch-polnischen Zusammen­arbeit hat an dieser Stelle ganz offensichtlich nicht funktioniert“, sagte die Ministerin. „Sonst hätten wir früher Informationen erhalten, zumindest das Land Brandenburg oder auch die Anrainer­kommunen.“ Lemke kündigte zuletzt eine intensive Zusammen­arbeit mit Polen an, um das Fischsterben aufzuklären.

Fischsterben in der Oder_003

Polen: Soldaten und Feuerwehrleute entfernen tote Fische aus der Oder.

Auch aus den Reihen der Grünen in Brandenburg wurde deutliche Kritik an den polnischen Behörden laut. Für den Grünen-Fraktions­vorsitzenden im brandenburgischen Landtag, Benjamin Raschke, habe die Informations­kette aus Polen versagt. Wenn bei einer ökologischen Katastrophe einfache Meldeketten nicht funktionierten, gebe es grund­sätzlichen Gesprächs­bedarf, sagte Raschke am Freitag.

Der Bundestags­abgeordnete der Linken, Christian Görke, hat vom Bund finanzielle Hilfen für die vom Fischsterben betroffenen Städte und Betriebe entlang der Oder gefordert. Görke sagte, neben der Bewältigung der Umwelt­schäden brauche es gerade jetzt klare Zusagen für Hilfs­maß­nahmen gegenüber den Städten und Landkreisen sowie den Fischerei- und Land­wirt­schafts­betrieben. „Insofern erwarte ich, dass die Bundes­regierung und speziell die Bundes­umwelt­ministerin, sich klar zu finanziellen Hilfen gegenüber den Betroffenen bekennt und unbürokratisch ausreicht.“

Wie reagiert die Politik in Polen auf das Fisch­sterben?

Polnische Behörden hatten nach Regierungs­angaben bereits Ende Juli Hinweise darauf, dass in dem Fluss massen­weise verendete Fische treiben. Nun stehen Regierung und Behörden in der Kritik, gezögert zu haben. Am Freitagabend entließ Regierungschef Mateusz Morawiecki deshalb die Leiter der Wasserbehörde und der Umweltbehörde. Er selbst habe erst am Mittwoch von dem massiven Fischsterben erfahren. „Ich wurde auf jeden Fall zu spät informiert.“

Polens Regierung vermutet, dass der Fluss mit Chemieabfällen vergiftet wurde. Die polnische Polizei hat eine Belohnung von umgerechnet 210.000 Euro für die Aufklärung ausgesetzt. Nach Angaben des Innen­ministeriums in Warschau sind derzeit 2000 Polizisten, mehr als 300 Feuerwehrleute sowie 200 Soldaten an den Ufern der Oder im Einsatz. Sie helfen bei der Bergung verendeter Fische und warnen Bürger vor Kontakt mit dem Wasser. (rnd, dpa, afp)

KStA abonnieren