Vorwürfe gegen SchauspielerDer Fall Gérard Depardieu: Warum Frauen erst so spät zur Anzeige greifen

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Der französische Schauspieler Gérard Depardieu

Der französische Schauspieler Gérard Depardieu

Es könnte ein weiterer Me-Too-Fall sein: Mehrere Frauen beschuldigen den Schauspieler Gérard Depardieu, sie vergewaltigt zu haben. Was bekannt ist.

Es sind mehr als ein Dutzend Frauen, die Gérard Depardieu anklagen. Während der Dreharbeiten zu elf Filmen oder Serien soll der Schauspieler 13 Frauen sexuell berührt oder verbal belästigt haben. Die Frauen werfen dem Filmstar sexuelle Übergriffe und Gewalt vor. Sollen einige der Fälle erst im vergangenen Jahr stattgefunden haben, so gibt es auch einige, die mehr als 20 Jahre zurückliegen, wie etwa die Vorwürfe der spanischen Journalistin und Autorin Ruth Baza.

Sie habe bei der spanischen Polizei Anzeige gegen den 74-Jährigen eingereicht, sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. Der 23 Jahre ältere Depardieu habe sie im Oktober 1995 in Paris vergewaltigt, als sie ihn für das Magazin „Cinemanía“ interviewt habe.

Dass manche Fälle so weit zurückliegen und jetzt erst an die Öffentlichkeit kommen, hat vor allem mit den Gefühlen der Frauen nach solchen Taten zu tun. Das erklärt Claudia Igney vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland. „Es erschüttert, kann innerlich aufrühren“, sagt Igney dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die meisten Frauen spürten schon, dass eine Grenzüberschreitung stattgefunden habe. „Aber es sorgt erst einmal für Verwirrung, für Angst und Scham. Wer will schon öffentlich über sehr persönliche, intime Dinge sprechen?“

Es braucht viele Frauen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen

Zu sich zu stehen, müsse man von klein auf gelernt haben. An die Öffentlichkeit zu gehen, sei ein großer Schritt, ebenso wie eine Anzeige.

Und: Nur ein kleiner Teil der Fälle von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung wird am Ende auch tatsächlich zur Anzeige gebracht. Die Täter werden meistens also gar nicht erst ermittelt. Die Taten, die zur Anzeige gebracht werden, das ist in Deutschland mutmaßlich jede zehnte, landen im sogenannten Hellfeld – also der offiziellen, polizeilichen Kriminalstatistik. Die übrigen Taten liegen im Dunkeln. Das zeigt auch die sogenannte „Dunkelfeldstudie“, die 2020 vom Bundeskriminalamt veröffentlicht wurde. Sie zeigt, dass die meisten Opfer von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung Frauen sind.

In einem Interviewraum, wie es die spanische Journalistin Ruth Baza beschreibt, passieren im seltensten Fall Vergewaltigungen oder sexueller Missbrauch. 70 Prozent finden in einer privaten Wohnung statt. Und: Die meisten Täter sind den Frauen vorher bekannt. Zu dem Ergebnis kommt die BKA-Dunkelfeldstudie „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“(SkiD). In etwa 16 Prozent der Fälle ist der Täter der Partner oder Ex-Partner, in über 40 Prozent der Fälle ein Freund oder Bekannter. Mehr als die Hälfte der Täter stammen also aus dem privaten Umfeld.

Angst vor Hassnachrichten und Sexismus

Bei Vorfällen mit Prominenten gebe es ein Machtgefälle, das den Prozess für die Frauen erschwere, erklärt Igney. Manche Frauen fürchteten sich vor einem Karriereende. Andere vor einem regelrechten Backlash in den sozialen Netzwerken, vor Hassnachrichten und Sexismus. Vor allem bei Anschuldigungen gegen Prominente sei die Gefahr groß, sagt Igney. Es bestehe zusätzlich die Gefahr einer Verleumdungsklage, die psychischen und finanziellen Druck erzeugen könne.

Die Me-Too-Bewegung habe einen großen Teil dazu beigetragen, dass sich immer mehr Frauen an die Öffentlichkeit trauten. „Es sind oft machtvolle Männer, die meinen, sich alles nehmen zu können.“ Dass die Betroffenen gehört werden, gelinge am ehesten, wenn sich viele Frauen zu Wort melden. „Die vielen Frauen hat es häufig gebraucht, um einen mächtigen Mann zu Fall zu bringen.“

Es steht meist Aussage gegen Aussage

Entscheidet sich eine Frau für eine Anzeige und landet der Fall vor Gericht, muss sie nicht zwingen auf die Zeugenbank. Seit 2019 ist es Pflicht, dass ihre Aussage bei Gericht als Video aufgenommen und abgespielt werden kann. Eine Aussage im Angesicht des Beschuldigten bleibt also aus.

Ein Problem ist damit aber nicht gelöst, denn oft steht Aussage gegen Aussage. Im Rechtssystem gelte berechtigterweise die Unschuldsvermutung, sagt Igney. Aber: „Bei den Vorwürfen von sexualisierter Gewalt haben wir immer ein Problem, dass es keine weiteren Zeugen gab, und wenn es keine Sachbeweise gibt, dann ist es rechtlich schwierig.“

Zwar sei der Staat an der Aufklärung des Vergewaltigungsvorwurfs interessiert, er gilt als sogenanntes Offizialdelikt, vor Gericht komme es aber häufig zu einem Freispruch. Ein Freispruch bedeute aber noch lange nicht, dass nichts passiert sei. Und die Vorwürfe der Frauen nicht weniger glaubhaft sind, auch wenn sie erst Jahre oder Jahrzehnte später darüber sprechen können.

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