Galeria Karstadt KaufhofWie ein fragwürdiger Plan die Beschäftigten den Job kostete

Lesezeit 7 Minuten
  • Aus den Kaufhaus-Ketten Galeria Kaufhof und Karstadt wurde Galeria Karstadt Kaufhof.
  • Eine Fusion, die vor allem Kaufhof-Beschäftigte einiges kostete.
  • Die Kölnerin Martina Müller arbeitete 40 Jahre lang bei Kaufhof. Nun verliert sie ihren Job. Ihr Schicksal steht für das vieler Menschen – und für die Zerrissenheit einer ganzen Branche.

Köln – Die beiden Briefe aus der Leonard-Tietz-Straße erreichten sie quasi zeitgleich: Der eine enthielt die Kündigung als Angestellte der Kölner Kaufhof-Verwaltungszentrale, wie sie im Zuge der Fusion mit Karstadt schon zu befürchten gewesen war. Im anderen steckte die Einladung zur sommerlichen Schiffspartie auf dem Rhein, wie sie für Mitarbeiter ab dem 25. Dienstjubiläum üblich ist.

Martina Müller ist Mitte 50, war mehr als 40 Jahre Kaufhofmitarbeiterin. Ihr Schicksal steht für das vieler Menschen. Etliche langjährige Kollegen müssen dem wirtschaftlichen Überleben der fusionierten Warenhaus-AG Galeria Karstadt Kaufhof gerade weichen, vor allem jene aus der Verwaltung. Wie viele genau, ist unklar, denn von 2600 gestrichenen Stellen sind viele nur Teilzeitstellen.

Martina Müllers ist ein Schicksal, das für etwas Größeres steht: die Zerrissenheit einer Branche, die sich von Altbewährtem nicht trennen mag und in der Zukunft immer noch nicht angekommen ist. Ist der Tempel Warenhaus, der die Konsumgesellschaft des 20. Jahrhundert prägte, verloren?

Die Fusion von Karstadt und Kaufhof

Vor gut einem Jahr wurde die Zwangsehe der letzten beiden deutschen Kaufhauskonzerne besiegelt, an einem regnerischer Tag Ende Januar. Die Belegschaft sollte sich im Innenhof des dunkelgrünen Verwaltungsbaus versammeln. Das Bild dieses Tages in den Lokalmedien hätte sich keiner treffender ausmalen können: vor den Müllcontainern die Mitarbeiter, auf der Rampe vom Regen geschützt Vorstandschef Stephan Fanderl, der kurzerhand nicht nur die Stellenstreichungen und den Ausstieg aus dem Flächentarifvertrag verkündete, sondern auch die Verlegung der Gesamtverwaltung nach Essen.

Genau genommen: die Schließung der Kaufhof-Zentrale in Köln zugunsten von Karstadt. Das Ende einer mehr als hundert Jahre langen Stadtgeschichte. Das Begräbnis einer Institution, vielleicht des Herzstücks der Warenhauslandschaft.

Folge der Kündigungen: 200 Kaufhof-Klagen am Arbeitsgericht Köln

Mit Mitarbeitern wie Martina Müller geht ein Stück Kaufhof-Geschichte. Das wird jedem klar, der ihr nur eine kleine Weile zuhört. Martina Müller ist nicht ihr richtiger Name, biografische oder berufliche Details, die auf ihre Person schließen lassen, möchte sie nicht veröffentlichen. Zu groß ist die Verunsicherung seit der Kündigung, ihrer Klage dagegen und dem schwebenden juristischen Verfahren, in dem sie sich befindet.

200 Kaufhof-Klagen sind seit November am Arbeitsgericht Köln anhängig, viele Kündigungen wurden bereits für unwirksam erklärt, mehr als 100 Mitarbeiter vertritt die Anwaltskanzlei HMS Barthelmeß Görzel, auch Martina Müller. In ihren Büros ist sie zu einem Treffen bereit, zusammen mit ihrem Mann, zwei rheinische Urgesteine. Wut sei da nicht, betont sie immer wieder, „ich bin einfach so enttäuscht“.

Investor René Benko: Europas größter Warenhausbetreiber

Zwei Konkurrenten kurz vor dem Konkurs, „die Grünen“ und „die Blauen“, wie sich die Angestellten von Kaufhof und Karstadt intern gegenseitig nennen, verschmelzen in diesen Wochen zu einem. Zwei Kranke machen noch keinen Gesunden, meinen Handelsexperten.

Doch wirtschaftlich steht mit dem österreichischen Investor René Benko ein Schwergewicht hinter der Fusion. Er ist Immobilientycoon, Multimilliardär und mit gerade einmal 42 Jahren nun Europas größter Warenhausbetreiber. Aber hat er eine Idee? Ein Ideal? Einen Plan? „Wenn ich die Kaufhof-Rettung für aussichtslos hielte, würde ich sie schlicht nicht angehen“, sagt er dem „Handelsblatt“ in einem seiner seltenen Interviews. Und: „Die Innenstädte haben eine goldene Zukunft, glauben Sie mir!“

Zukunft des Warenhauses: René Benko plant das Comeback der Innenstädte

Nur: Wie soll die aussehen? Wie soll die Kaufkraft aus dem Netz wieder ins Analoge fließen, was ist das Mehr, das Warenhäuser Kunden bieten können?

René Benko sieht vor allem Standortvorteile: Mit den rund 200 Filialen erreiche er künftig 80 Prozent der städtischen Bevölkerung in unmittelbarer Nachbarschaft. Benko spricht von „einzigartigen Chancen“, einem „Marktplatz der Zukunft in bester Citylage“ und „nachhaltigen Perspektiven“. Nach einem Bericht des aktuellen „Manager Magazins“ soll Benkos „Geheimplan“ aus eher wenig revolutionären Schritten bestehen: Die 95 Eigenmarken des Karstadt-Kaufhof-Sortiments sollen auf drei zusammengestrichen werden, auch um Designeroutlet-Konzepten mehr Raum zu geben. Die Gastronomie mit Plastiktablettcharme soll aufpoliert und auf alle Etagen verteilt werden.

Außerdem sollen jede Menge „Untermieter“ in die Häuser einziehen: Die Reisebüros von Pleitier Thomas Cook, die Benko für einen kleinen Millionenbetrag erworben hat, außerdem Bankfilialen, Büros und Coworking-Spaces. Nachhaltig dürften höchstens die „City-Hubs“ sein, die Benko plant: Einkaufszentren als reine Lagerflächen für Sofortbestelldienste, die Waren von der Innenstadt direkt zu Kunden liefern – etwa mit umweltfreundlichen Lastenrädern oder Elektrofahrzeugen.

Toplagen der Warenhäuser schlecht genutzt

Für den Handelsforscher Joachim Zentes kommt Benkos Engagement einige Jahrzehnte zu spät. Das Bemühen um Onlinegeschäfte, Shop-in-Shop-Konzepte und moderne Gastronomie seien letztlich Schönheitskorrekturen. „Die Innenstädte wird das garantiert nicht retten“, sagt der emeritierte Professor der Universität des Saarlandes. Der Umsatz des Einzelhandels in städtischen Bereichen sei schon lange rückläufig gewesen, bevor es den Onlinehandel überhaupt gegeben habe. „Das Internet ist nicht der Totengräber der Warenhäuser“, sagt Zentes. „Die Kaufhauskultur nimmt seit den 70er-Jahren eine permanent rückläufige Entwicklung, das ist ein lang anhaltender Prozess, überhaupt kein neues Phänomen.“

Aber die Warenhäuser hätten ihre entscheidenden Vorteile nicht genutzt: die Toplage, die Parkflächen, eben ihr Immobilienpotenzial. Vor hundert Jahren waren Kaufhäuser das Versprechen der Zukunft, Sehnsuchtsorte, Hoffnungsträger, Fantasieerfüller. Hochgezogen als Kathedralen des Konsums, schon allein architektonisch: außen mit klassizistisch-prachtvollen Fassaden, innen mit imposanten Lichthöfen, Säulengängen und offenen Galerien. Warenhäuser wurden als Sehenswürdigkeiten inszeniert, ein Einkaufsbummel als angesehene Freizeitgestaltung. Konsum war Kultur. So glichen das Pariser Bon Marché oder das Kaufhaus Wertheim in Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts Institutionen, die zu einer modernen Metropole gehörten wie die ersten Straßenbahnen oder die elektrische Beleuchtung.

Vor Zeiten des Onlineshoppings galt: Gutes Kaufhaus, gute Stadt

Lange Zeit waren Kaufhäuser entscheidend für das Maß an Attraktivität einer Stadt. Besonders beim Wiederaufbau der Innenstädte nach dem Zweiten Weltkrieg fungierten sie als Fixpunkte mit Magnetwirkung: Wo ein Warenhaus (ent)stand, siedelte sich weiteres händlerisches Leben an: Gastronomie, Fachgeschäfte, Dienstleister. Ihre goldenen Zeiten hatten gerade die deutschen Innenstädte auch der wettbewerbsorientierten Wirtschaftspolitik der Fünfzigerjahre zu verdanken. Umsatzwachstum und Renditen der Kaufhäuser waren rekordverdächtig. „Es kam eine Zeit, da kannte man in Deutschland nur die zwei Ks und die zwei Hs“, sagt Mitarbeiterin Martina Müller: Karstadt und Kaufhof, Hertie und Horten. Es war die Zeit um 1970, die Zeit, in der sie erwachsen wurde, als Kind der Kaufhof-Familie.

Mehr als 80 Prozent der Kaufhof-Mitarbeiter haben nie woanders gearbeitet

„Nach der Schule ging man zur Stadt Köln oder man ging eben zum Tietz“, sagt Müller. Der jüdische Unternehmer Leonard Tietz hatte 1879 den Grundstein für das Kaufhof-Imperium gelegt. Sie erinnert sich noch an ihr Bewerbungsgespräch, bei dem ihr Vater anwesend sein musste, auch weil man damals erst mit 21 Jahren volljährig war. Sie erinnert sich an ihren Ausbildungsvertrag, auf dem „Bürokaufmann“ stand, weil das damals so korrekt war. Und sie erinnert sich, wie sie nach der Lehre „nur mal ein bisschen“ bleiben wollte – und daraus mehr als 40 Jahre wurden.

Es ist die beispielhafte Biografie einer Generation, die wenig Fluktuation erlebt und vielleicht nie mehr als eine Bewerbung geschrieben hat. Weil Arbeitgeber Arbeitnehmer umworben haben und nicht umgekehrt – mit Betriebsrenten, automatischer Gehaltssteigerung, Jubiläumsgeldern. „Mehr als 80 Prozent der Kaufhof-Mitarbeiter haben in ihrem Leben nie woanders gearbeitet“, sagt Anwalt Volker Görzel, der viele von ihnen vertritt. „In denen fließt grünes Blut.“

Was dann bei Karstadt und Kaufhof schief ging

Mitarbeiter wie Martina Müller sind Kronzeugen einer Entwicklung, die ihr Arbeitsleben überdauern wird. „Der Kaufhof bietet tausendfach alles unter einem Dach“ – der Slogan aus der Kaufhof-Blütezeit gilt schon längst nicht mehr. Möbel-, Bau- und Elektroabteilungen wurden bereits in den Achtzigern mit dem Aufkommen der Center „auf der grünen Wiese“ wieder abgeschafft, großen Textilpionieren wie H&M bis heute nichts Modernes entgegengesetzt.

Die Kunden wurden anspruchsvoller, die Angebote anderer spezifischer, „nur die Kaufhäuser haben ihren generalistischen Anspruch der 50er-Jahre viel zu lange weiterverfolgt“, meint Handelsforscher Zentes. Den Mittelstandsbürger, der zufrieden war mit dem, was die anderen auch alle hatten, gab es da längst nicht mehr. „Kaufhof und Karstadt hätten viel früher als Immobilienhändler auftreten, selbst Shoppingcenter errichten und sich so neu positionieren müssen.“

Experte hält Benkos Zukunftspläne für unwahrscheinlich

Investor René Benko hat 200 äußerst attraktive Standorte erworben, das stimmt. Er ist eben auch als Immobilienhändler reich geworden, nicht als Kaufmann. Für die Zukunft der Innenstädte, wie wir sie kennen und Benko sie sich vorstellt, sieht Ökonom Zentes trotzdem schwarz. Während in den 70er-Jahren Städte Bundeszuschüsse bekamen, um Fußgängerzonen auszubauen, könnte das bald umgekehrt laufen: dass Fußgängerzonen verkürzt werden. Bestenfalls zugunsten von Wohnflächen.

KStA abonnieren