Historiker Rödder„Die Klimabewegung ist undemokratisch“

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Andreas Rödder ist Professor für Geschichte an der Universität Mainz. Er ist CDU-Mitglied. In Rheinland-Pfalz war er zwei Mal als Minister für Bildung und Wissenschaft im Schattenkabinett der damaligen CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner.

Herr Rödder, Greta Thunberg hat keinen Friedensnobelpreis bekommen. Finden Sie das schade oder richtig so?

Der Hype um Greta Thunberg hat unnatürliche Dimensionen angenommen. Deshalb finde ich es heilsam, einer 16-jährigen Schülerin nicht auch noch den Friedensnobelpreis zu geben. Das hätte weiter Öl ins mediale Feuer gegossen. Solche Formen von Erregungszuständen tun einer reflektierten Öffentlichkeit nicht gut.

Das Ziel von Thunberg und anderen Fridays-for-Future-Demonstranten ist, wenn man so will, Bewahrung unserer Welt. Finden Sie sich als bekennender Konservativer darin wieder?

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Es gibt zweifellos eine Schnittmenge zwischen Umweltschützern und Konservativen, die die Schöpfung bewahren wollen. Das können Sie schon bei den Anfängen der Anti-Atomkraft-Bewegung nachvollziehen. Die ersten Demonstranten gegen das geplante Kernkraftwerk in Wyhl in Baden waren nicht Autonome wie hinterher in Brokdorf, sondern badische Winzer. Es gibt also immer schon eine konservative Strömung in der Umweltbewegung, die sich aber von allen anderen dort auch erheblich unterscheidet.

Wodurch genau?

Die Vorstellung der Bewahrung der Schöpfung aus christlich-konservativen Gründen geht immer einher mit dem biblischen Satz: „Macht euch die Erde Untertan.“ Die konservativen Umweltschützer verbinden mit ihrem Engagement immer zugleich auch die Nutzung der Natur. Linke Ökoaktivisten sehen diesen Aspekt nicht. Sie verfallen vielmehr einer ökologischen Romantik, die unter dem Schlagwort „Zurück zu Natur“ auch einen Protest gegen die moderne Industriegesellschaft beinhaltet.

Thunberg und andere Demonstranten für eine konsequentere Klimapolitik sagen, schnelle Änderungen seien im Kampf gegen den Klimawandel unabdingbar. Demokratie ist aber oft langsam. Gibt es hier einen grundlegenden Widerspruch?

Ja, ich sehe sogar einen eklatanten Widerspruch, es gibt einen Zielkonflikt zwischen Klimaschutz und Demokratie. Die Klimaaktivisten erheben – mit Verweis auf das, was sie für objektive Wissenschaften und unbestreitbare Befunde halten – einen Anspruch auf Wahrheit, den sie mit dem Konzept des allgemeinen Willens des Philosophen Jean-Jacques Rousseau verbinden. Das heißt: Sie erheben einen uneingeschränkten Deutungsanspruch, das Gemeinwohl zu kennen. Demokratie besteht aber immer aus dem Wettbewerb von unterschiedlichen Meinungen. Genau hier liegt das Problem.

Der Befund der großen Menge führender Wissenschaftler ist ja tatsächlich sehr klar. Ist es da nicht logisch, dass junge Menschen die Politik auffordern, schnell zu handeln?

Ich stecke ja selbst in diesem Dilemma. Als Historiker bin ich einerseits extrem skeptisch gegenüber wissenschaftlichen Absolutheitsansprüchen. Einen solchen Absolutheitsanspruch hat auch der Marxismus im sowjetischen Kommunismus erhoben. Auf der anderen Seite leuchtet mir ein, dass die klimawissenschaftlichen Aussagen mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig sein dürften.

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Das ändert aber nichts an meiner Analyse zum Zielkonflikt von Demokratie und Klimaschutz: Die Klimaaktivisten akzeptieren andere Meinungen nicht, weil sie ihre eigene Meinung für wissenschaftlich alternativlos halten. Die Klimabewegung ist undemokratisch.

Lässt sich das, was Sie als Zielkonflikt beschreiben, irgendwie auflösen?

Es gibt keinen intellektuell überzeugenden Ausweg aus dem beschriebenen Dilemma. Es täte der Debatte allerdings gut, wenn alle zunächst anerkennen würden, dass es diesen Zielkonflikt gibt. Aus einer liberal-konservativen Haltung heraus sehe ich aber einen pragmatischen Ausweg: Auf der einen Seite werde ich weiter die Absolutheit der klimapolitischen Ansprüche zurückweisen. Auf der anderen Seite halte ich es für klug, eine möglichst umfangreiche Klimapolitik zu betreiben. Im Nachhinein wäre der Schaden fraglos am größten, wenn sich die Vorhersagen als richtig erweisen, wir aber nichts oder zu wenig unternommen haben.

Gibt es ein vergleichbares Problem in der Geschichte?

Umwelthistorisch ist das Muster der Klimadebatte exakt jenes, das wir aus den achtziger Jahren um den sauren Regen und das Waldsterben kennen. Auch damals gab es eine wissenschaftliche Expertise, die sich als unanfechtbar gab. Sie wurde mit der Attitüde kommuniziert: „Es ist fünf vor zwölf.“ Oder auch: „Es ist schon fünf nach zwölf. Und wenn wir nicht sofort handeln, ist alles zu spät.“ In den Neunzigern zeigte sich dann: Der Wald ist gar nicht gestorben. Die unbeantwortete Frage ist nur: Lag das daran, dass die Prognosen falsch oder die ergriffenen Maßnahmen richtig waren?

Die Blockade von Kreuzungen überschreitet keine Grenzen, die in der Demokratie nicht auszuhalten wären. Mein Eindruck ist aber, dass bei Extinction Rebellion gewaltsames Eskalationspotenzial in der Bewegung steckt.

Finden Sie es legitim, wenn Schüler dem Unterricht fernbleiben, um für den Klimaschutz zu demonstrieren?

Es ist mehr als legitim, dass die Schüler ihre Haltung zum Klimaschutz artikulieren und in die Öffentlichkeit tragen. Ich halte es auch für legitim, dafür begrenzte Regelvorstöße auszuüben. Wer ernst genommen werden will, muss dann aber auch die Konsequenzen dafür tragen. Das heißt: Die unentschuldigten Fehlstunden gehören ins Zeugnis.

Geht Extinction Rebellion, anders als die demonstrierenden Schüler, zu weit?

Die Blockade von Kreuzungen überschreitet keine Grenzen, die in der Demokratie nicht auszuhalten wären. Mein Eindruck ist aber, dass bei Extinction Rebellion gewaltsames Eskalationspotenzial in der Bewegung steckt. Extinction Rebellion erhebt noch einmal stärker als andere für sich den Anspruch auf Wahrheit. In der Geschichte hat sich immer wieder gezeigt, dass dies mit immer weiterer Radikalisierung einhergehen kann. Der Staat muss Extinction Rebellion also genau im Auge behalten.

Wird die Klimafrage Union und Grüne in schwarz-grünen Koalitionen zusammenbringen oder auseinandertreiben?

Das hängt sehr von beiden Seiten ab. Die Union hat gerade einen Schritt hin zu mehr Klimaschutz gemacht – nachdem sie sich jahrelang in der Frage nicht bewegt hat. Bei den Grünen ist die spannende Frage, wie sie sich zwischen den Polen von Absolutheitsanspruch und Kompromissfähigkeit bewegen. Der Prototyp des konservativen Umweltschützers ist in Deutschland heute ein Grüner, der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Gehen die Grünen seinen Weg, wird Schwarz-Grün ein praktikables Modell sein.

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